RZ-Prozess in Berlin

Explosionen vor dem Knall

Vor dem Berliner Kammergericht beginnt der Prozess gegen vier angebliche RZ-Mitglieder.

Nicht nur ein Joseph Fischer muss sich mit seiner militanten Vergangenheit herumplagen. Ihm allerdings verzeihen zwei Drittel der deutschen Bevölkerung seine Jahre als »streetfighter«, ein Prozess steht ihm nicht bevor. Bei einigen anderen Personen über fünfzig ist die Bundesanwaltschaft (BAW) da weitaus hartnäckiger.

Seit über einem Jahr beschuldigt sie sechs Personen der Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen (RZ). Vier von ihnen sitzen im Augenblick in Untersuchungshaft. Der 52jährige Hausmeister des Berliner Mehringhofs, Axel Haug, und der 52jährige Mitarbeiter der ebenfalls im Mehringhof ansässigen Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, Harald Glöde, sowie die 54jährige Frankfurterin Sabine Eckle wurden am 19. Dezember 1999 festgenommen. Nach monatelangen Ermittlungen verhaftete die Polizei am 18. April 2000 wegen des gleichen Vorwurfs den 52jährigen Leiter des Akademischen Auslandsamts der Technischen Universität Berlin, Matthias Borgmann. Der ebenfalls in diesem Zusammenhang beschuldigte Rudolf Schindler befindet sich auf freiem Fuß und hat, wenn überhaupt, mit einem eigenen Verfahren zu rechnen. Über die Auslieferung des ehemaligen Mehringhof-Hausmeisters Lothar Ebke wird ab 22. Mai in Yellowknife/Kanada verhandelt.

Der Prozess gegen die vier Inhaftierten beginnt am Donnerstag, den 22. März, vor dem ersten Senat des Berliner Kammergerichts. Sie sollen Mitte der achtziger Jahre an Aktionen der RZ im Rahmen ihrer Flüchtlingskampagne »Für freies Fluten« beteiligt gewesen sein.

Im Wesentlichen wirft die BAW den Beschuldigten vor, am 28. Oktober 1986 den damaligen Leiter der Berliner Ausländerpolizei Harald Hollenberg beim Verlassen seines Hauses in Berlin-Zehlendorf durch zwei gezielte Pistolenschüsse in die Beine verletzt zu haben. In ihrer Erklärung nannten die RZ Hollenberg einen »Menschenjäger und Schreibtischtäter«. Außerdem sollen die Beschuldigten am 1. September 1987 den damaligen Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher, vor seinem Wohnhaus in Berlin-Lichterfelde durch gezielte Schüsse am Unterschenkel verletzt haben.

Zu diesem Attentat erklärten die RZ, Korbmacher habe kurz zuvor ein wegweisendes Urteil gefällt: Folter sei kein zwingender Asylgrund, sondern zum Beispiel in der Türkei »ein allgemein kriminalpolitisches Phänomen«.

Zwar gibt selbst die BAW in ihrer Anklageschrift zu, dass die Knieschüsse als »Körperverletzungsdelikt« verjährt sind. Aber mittels des Vorwurfs der »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« lässt sich diese juristische Klippe umschiffen.

Genau diese Beschuldigung hat sich für Rudolf Schindler inzwischen als Vorteil erwiesen. Bereits im Frankfurter Opec-Prozess wurde er außer der Beihilfe zum Mord auch der Rädelsführerschaft in den RZ von 1975 bis 1990 bezichtigt. Nach seinem Freispruch in Frankfurt musste das Berliner Kammergericht Ende Februar eine erneute Anklage gegen ihn ablehnen. Denn zweimal darf man wegen derselben Sache nicht angeklagt werden.

Die Anklage gegen die vier, deren Prozess jetzt beginnt, stützt sich auch auf den Vorwurf des »verbotenen Umgangs mit Explosivstoffen«, da hier die Verjährungsfrist zwanzig Jahre beträgt. Am 6. Februar 1987 explodierte an der Außenmauer des Gebäudes II der Zentralen Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) in Berlin-Wedding ein selbst hergestellter Sprengsatz, der die zentrale Gasversorgung des Gebäudes treffen sollte.

Im Prozess wird auch der Sprengstoffanschlag vom 15. Januar 1991 auf die Siegessäule in Berlin-Tiergarten eine Rolle spielen. Das eigentliche Ziel, die Figur »Victoria« zu sprengen, wurde nicht erreicht, doch der zentrale Kreisverkehr Berlins blieb vier Wochen lang wegen Absturzgefahr der so genannten Goldelse für den Verkehr gesperrt.

Die einzige Grundlage der Beschuldigungen und Haftbefehle bilden die Aussagen des im November 1999 unter ähnlichen Vorwürfen verhafteten Tarek Mousli. Wegen Sprengstoffspuren in seinem Keller und der Aussagen einer früheren Freundin glaubte die BAW, ihm zuerst die Unterstützung der RZ, nach weiteren Ermittlungen sogar die Mitgliedschaft nachweisen zu können.

Angesichts einer drohenden Haftstrafe von mehreren Jahren entschloss sich Mousli, die Kronzeugenregelung in Anspruch zu nehmen. Er glaubte wohl, jede weitere belastete Person würde seine Haftzeit um ein Jahr reduzieren. Bereits im Dezember letzten Jahres konnte er in seinem Prozess ungestört von kritischen Fragen der BAW oder des Gerichts seine Version der Ereignisse in die Welt setzen und mögliche MittäterInnen angeben (Jungle World, 51/00). Verurteilt zu zwei Jahren auf Bewährung, wurde er ins Zeugenschutzprogramm des BKA entlassen, 2 400 Mark plus Nebenkosten werden seitdem monatlich auf sein Konto überwiesen.

Der Prozess gegen die vier Inhaftierten, der jeweils donnerstags und freitags im Saal 500 des Moabiter Landgerichts stattfindet, ist vorerst auf vier Monate angesetzt. Die Vorsitzende Richterin plant, nach einer dreiwöchigen Sommerpause am 17. August das Urteil zu sprechen. Über fünfzig ZeugInnen sind geladen. Dass es der Kronzeuge Tarek Mousli nicht so leicht haben wird wie bisher, wenn er den von ihm denunzierten Angeklagten gegenüber sitzt, dafür will Wolfgang Kaleck, der Anwalt von Matthias Borgmann, sorgen. Mousli werde »sein blaues Wunder erleben«, kündigt er an. Das kann dann auch eine breite Öffentlichkeit verfolgen: Eine Zusammenfassung jedes Prozesstages soll bereits abends auf der Internetseite des Bündnisses für Freilassung unter www.freilassung.de zu finden sein, am nächsten Morgen folgt dann ein ausführlicher Bericht.