U-Boot-Unglück in Russland

Manöver - versenkt

Während Rettungscrews an dem Wrack des gesunkenen U-Boots »Kursk« herumschrauben, wird über die Unfallursache spekuliert.

Über den Zustand der russischen Nordmeerflotte ist spätestens seit dem Report der norwegischen Umweltschutzorganisation Bellona aus dem Jahr 1996 fast alles bekannt. Der ehemalige Marineoffizier, der Ex-Atominspekteur Alexandr Nikitin, hatte da in zwei Kapiteln insbesondere auf die von Atom-U-Booten ausgehenden Gefahren hingewiesen. Seine Berichte über Lecks und die daraus resultierende Verschmutzung nicht nur der Barentssee sowie seine Schilderungen von sehr ernsten Unfällen wie der Explosion einer Rakete an Bord eines U-Boots führten zu Nikitins Verhaftung durch den Geheimdienst FSB wegen Geheimnisverrats. Nach mehr als zehn Monaten Haft wurde Nikitin im Herbst 1998 schließlich freigesprochen.

Nikitin arbeitet immer noch für die russische Sektion von Bellona, zur Zeit beobachten die Umweltschützer besonders aufmerksam die Katastrophe um das untergegangene russische Atom-U-Boot Kursk. Erhöhte Radioaktivität konnte zwar bisher nicht gemessen werden, aber ausschließen möchte man die Gefahr einer Umweltkatastrophe nicht. Darüber, ob der schlechte Zustand der russischen Nordmeerflotte mit zum Untergang der Kursk beigetragen hatte, wollte Nikitin gegenüber Jungle World »nicht spekulieren«. Immerhin erklärte er, dass es »in einer Situation, in der U-Boote den Kriegseinsatz üben, wie bei dem Manöver vor zwei Wochen, von höchster Wichtigkeit ist, dass alles reibungslos funktioniert«.

Auch zu der Frage, warum die Führung der Nordmeerflotte erst Tage nach dem Unglück die Öffentlichkeit informierte, möchte sich Nikitin ausdrücklich nicht weiter äußern. Es sei jedoch seiner Erfahrung nach »durchaus möglich, dass vom Unglückszeitpunkt bis zu dem Moment, als die Kursk wirklich vermisst wurde, eine gewisse Zeit verging. Außerdem kann es tatsächlich sein, dass die russische Marine selbst am vorletzten Sonntag noch keinen genauen Überblick über die Ausmaße des Unglücks hatte.«

Warum die angebotene ausländische Hilfe allerdings so spät angenommen wurde, bleibt weiter unklar. Wahrscheinlich wollten die Russen verhindern, dass die Nato sich auf diesem Weg Informationen über das erst fünf Jahre alte U-Boot verschafft.

1968 war der Untergang des sowjetischen Atom-U-Boots K-129, das 1 200 Kilometer nordwestlich von Hawai, in der Nähe der Nachschubroute der US-Army für den Vietnamkrieg, gesunken war, zu einer der bizarrsten Episoden des Kalten Krieges geworden. Während die Angehörigen der Opfer erst zwei Monate später informiert wurden, hatten die US-Amerikaner die vorausgehenden Explosionen an Bord abgehört. Weil man kaum Informationen über die neue U-Bootklasse hatte und besonders interessiert an den an Bord befindlichen Atomraketen war, beauftragte die CIA den Hughes-Konzern, ein Spezialschiff zu bauen, das das Wrack aus 5 000 Meter Tiefe bergen könne.

1974 war die Glomar Explorer endlich fertig, bis auf 1 500 Meter unter dem Meersspiegel konnte die K-129 auch tatsächlich angehoben werden. Dann brach sie in zwei Teile, und das Heck, wo sich die Atomraketen befanden, verschwand wieder im Meer. Der Vorderteil wurde jedoch durch ein speziell konstruiertes Loch im Boden der Glomar Explorer geborgen. Dort fand man lediglich die Überreste einiger Offiziere, die man auf See bestattete, worüber man die Sowjets sehr viel später informierte. Einen kleinen Erfolg hatte die 200 Millionen Dollar teure Operation jedoch: Man fand in der Tasche eines Toten ein Codebuch.

Ein solches Spezial-Boot wie die Glomar Explorer steht bei der Kursk-Rettung nicht zur Verfügung. »Warum müssen wir ausgerechnet die Supermacht Norwegen um Hilfe bitten?« spotteten russische Medien darüber, dass Russland nicht in der Lage ist, die eigenen Soldaten ohne fremde Hilfe zu retten. Trotzdem waren die Erwartungen an »die Hilfe aus dem Westen« nach einem Bericht der norwegischen Tageszeitung Aftenposten auch nach der offiziellen Mitteilung, dass wohl keiner der Matrosen an Bord der Kursk überlebt habe, noch »sehr groß«.

Nachdem das Tauch-Spezialistenteam jedoch am Samstag viel früher als erwartet an der Unglücksstelle ankam und eigentlich sofort mit dem Einsatz beginnen wollte, kam es wieder zu einer Verzögerung: »Die Führung des russischen Rettungseinsatzes bat uns zu warten«, sagte Vize-Admiral Einar Skorgen, der die Kommunikation zwischen russischen und westlichen Rettungsmannschaften koordiniert, sodass die Taucher, obwohl bereits um 19 Uhr startklar, bis zum nächsten Morgen um acht mit ihrem Einsatz warten mussten. Während die Taucher, die schon zuvor erklärt hatten, sie wollten »so schnell wie möglich anfangen und erst dann aufhören, wenn wirklich keinerlei Hoffnung mehr besteht«, sehr verärgert waren, hielt sich Skorgen mit Kritik an seinen russischen Kollegen merklich zurück. Skorgen und Vizeadmiral Popow sind alte Bekannte, beide waren früher U-Bootfahrer, man hat sich bereits mehrfach gegenseitig besucht und hält einander ständig auf dem Laufenden.

Nur über die Unglücksursache wissen auch die beiden Befehlshaber nichts Genaues. Norwegische Seismologen berichteten bereits Anfang letzter Woche, zum Zeitpunkt des Unglücks zwei Erschütterungen im Abstand von zwei Minuten aufgezeichnet zu haben. Während festzustehen scheint, dass die zweite, stärkere Explosion von der im Vorderteil des Bootes gelagerten Torpedo-Munition ausgelöst wurde, ist die eigentliche Unglücksursache weiterhin unklar. Ein Navigationsfehler bei einem schnellen Tauchmanöver, bei dem die »Kursk« in dem für U-Boot-Verhältnisse recht flachen Gewässer auf Grund lief, wird auch von Bellona nicht ausgeschlossen. Warum der Kapitän der Kursk jedoch ein solches Manöver befohlen haben sollte, weiß niemand - möglicherweise, so Bellona, wollte er einer Kollision ausweichen. Dafür spräche auch, dass das Periskop der Kursk angeblich ausgefahren und verbogen sei, das bei Tauchfahrten eigentlich eingezogen wird.

Auch eine - möglicherweise deutsche - Mine aus dem Zweiten Weltkrieg könnte den Untergang der Kursk verursacht haben. Immerhin rosten in den Meeren noch viele Tausend solcher alten, immer noch scharfen Minen vor sich hin, die auch ohne jegliche Berührung plötzlich explodieren können. Bereits kurz nach dem Unglück hatten russische Offizielle dies als mögliche Unfallursache ganz ausdrücklich nicht ausgeschlossen.

Russische Militärs gehen dagegen davon aus, dass die Kursk mit einem der das Manöver in der Barentssee beobachtenden US-amerikanischen oder britischen U-Boot zusammengestoßen sein könnte. Die gefundenen umfassenden Schäden schlössen eine so harmlose Ursache wie eine Grundberührung weitgehend aus. Es gibt Gerüchte, nach denen russische Seeleute in dem Gebiet, wo die Kursk sank, fremde, bei der Nordmeer-Flotte nicht gebräuchliche Rettungsbojen gefunden hätten.

Britische und US-Experten vermuten jedoch, dass ein Torpedo der Kursk beim Abschuss einfach stecken geblieben sein könnte. Daraufhin sei zunächst der Antrieb der Bombe explodiert, kurz darauf, nachdem es die Soldaten der Kursk nicht geschafft hätten, das brennende Torpedo aus seinem Abschussrohr zu entfernen, sei der Sprengstoff explodiert.

»Ich bin persönlich und fachlich schon sehr gespannt auf die Unglücksursache«, sagt Skorgen. Ganz sicher ist er nur in einem Punkt: Mit einem norwegischen U-Boot kann die Kursk nicht zusammengestoßen sein. »Unsere U-Boote lagen zu dem Zeitpunkt zu Hause im Hafen von Bergen.«