Europameisterschaft für Antideutsche

Tag der Grätsche

Die Deutschen sind zu schlecht. Selbst ihr Ausscheiden macht keinen Spaß.

Sie waren wieder wer: Die Mauer war gefallen, Deutschland taumelte im Vereinigungsrausch und wurde obendrein Weltmeister. Und der damalige Teamchef Franz Beckenbauer posaunte: »Wir sind die Nummer eins in der Welt. Aber die Auswahl wird noch größer, noch kompakter durch die ostdeutschen Spieler. Wir sind über Jahre nicht mehr zu besiegen.« Besonders niederschmetternd war dabei, dass sich die Deutschen 1990 nicht wie üblich ins Finale gemogelt hatten, sondern, sportlich betrachtet, den Titel wohl zu Recht holten.

Das antideutsche Interesse bei großen Turnieren war seitdem das schnelle Rausfliegen der Deutschen. Denn, wie größenwahnsinnig Beckenbauers Diktum auch war, die Angst davor, er könnte auch nur halbwegs Recht haben, drängte sportliche Aspekte in den Hintergrund. Erst musste Deutschland raus, dann konnte gewinnen, wer den schönsten Fußball spielte oder die schönsten Spieler auflaufen ließ.

Bei der WM 1994 traten die Deutschen mit einem mittelmäßigen Team an, aber bei ihrem sprichwörtlichen Glück konnte ein durchschnittlicher Kader noch lange kein durchschnittliches Abschneiden garantieren. Groß war daher der Jubel, als die bulgarischen Kicker die DFB-Auswahl vorzeitig nach Hause schickten. Selbst bei der WM 1998, als die Qualität des deutschen Teams bereits unterdurchschnittlich war, war der Sieg Kroatiens noch Grund genug, die Sektkorken knallen zu lassen.

Anders bei dieser Europameisterschaft. Dass die DFB-Auswahl die Vorrunde überstehen würde, brauchte niemand zu befürchten, überraschend war allenfalls das Ausmaß der Niederlage. Aber ein Aufatmen, ein Triumphgefühl gar, will sich nicht einstellen. Zu deutlich war die Unterlegenheit dieser Truppe.

Die Zeit, in der die Deutschen mit kampfbetontem Spiel ihre spielerischen Defizite kompensieren konnten, sind vorbei. Holland, Portugal oder Frankreich, die seit jeher einen sehr guten Kombinationsfußball spielen, haben auch kämpferisch nachgezogen. Abwehrspieler wie Laurent Blanc, Alessandro Nesta oder Jaap Stam beherrschen nicht nur die »deutschen Tugenden«, sondern spielen nach vorne mit und eröffnen aus der Abwehr heraus Angriffe. Das fußballerische Vermögen der deutschen Defensive hingegen beschränkt sich aufs Grätschen und Ablaufen.

Offensive Mittelfeldleute wie Luis Figo, Zinedine Zidane oder Edgar Davids zeichnen sich nicht nur durch technische Perfektion, Übersicht und exakte Pässe aus, sondern sind zudem lauf- und zweikampfstark. Und seitdem die anderen über robuste und kopfballstarke Verteidiger verfügen, bleibt der bewährten deutschen Offensivstrategie der Erfolg versagt. Wenn der Ball hoch in den gegnerischen Strafraum gedroschen wird, ist keineswegs mehr sicher, dass ein Oliver Bierhoff das Ding irgendwie reinköpft.

Nein, die Deutschen waren kein ebenbürtiger Gegner, ihr Scheitern - ebenso wie das ihres englischen Pendants - war ebenso zwingend wie witzlos. Der von den Deutschen präsentierte Fußball war so schlecht, dass er einem die antideutsche Freude raubte. Wenn, wie beim Spiel gegen Portugal, in ganz normalen deutschen Kneipen ganz normale, teilweise mit schwarz-rot-goldenen Trikots bekleidete deutsche Zuschauer die Portugiesen beklatschen, verliert das antideutsche Fußballgucken seinen Sinn.

Immerhin hat die Nationalelf ihre Funktion als Projektionsfläche eingebüßt. 1954, nach dem Wiederaufbau, und 1990, nach dem Mauerfall, transportierten die deutschen WM-Titel nationales Selbstbewusstsein. Die WM 1974 war auch das Duell gegen die DDR. Heute bedarf es derlei Ersatzschlachtfelder nicht mehr, die Deutschen mischen - wie im Kosovo - bei ganz anderen internationalen Turnieren mit, die EM-Niederlagen werden sie nicht in eine kollektive Depression stürzen.

So ist die Hoffnung vergeblich, das EM-Aus würde den deutschen Größenwahn dämpfen. Man übt sich, wie hierzulande nach Niederlagen üblich, in Dolchstoßlegenden: Hans-Hubert Vogts und Erich Ribbeck seien, so die B.Z., die »Totengräber des deutschen Fußballs«, das Team um Lothar Matthäus sei die »National-Elf der Schande« (Bild), ihr Auftreten sei »beschämend« (FAZ) etc. Ganz so, als ob es allein am Willen der Akteure gelegen hätte oder es unter den für Deutschland spielberechtigten Kickern wirkliche Alternativen gäbe. Hinter diesem Gezeter verbirgt sich der Wahn, ein natürliches Anrecht auf den Sieg oder zumindest auf die Finalteilnahme zu besitzen. Und dieser deutsche Wahn lässt sich nicht aus der Welt fegen, schon gar nicht durch Niederlagen.