Der rechte Mann am rechten Ort

Jahrelang hat der bekannte Neonazi Thomas Dienel für den thüringischen Verfassungsschutz gearbeitet. Das hat VS-Präsident Roewer nun seinen Job gekostet.

Wieder einmal sind es Thüringens Schlapphüte, die für einen politischen Skandal gesorgt haben. Die jüngsten Enthüllungen um die Informantentätigkeit des Neonazis Thomas Dienel für den Landesverfassungsschutz (LfVS) hat diesmal sogar zur überfälligen Suspendierung des Präsidenten Helmut Roewer geführt. Die Amtsführung des politischen Rechtsaußen war schon länger kritisiert worden. Doch alle Proteste hatte Roewer - dank politischer Rückendeckung der CDU, der auch er angehört und die in Thüringen den Ministerpräsidenten stellt - bis dato ausgesessen.

Ausgerechnet die Affäre um einen der einflussreichsten thüringischen Neonazis hat Roewer nun zu Fall gebracht. Dabei war er doch nur seinem Auftrag gefolgt: Informationen über die »extremistischen Szenen« zu sammeln und sie notfalls auch durch finanzielle Zuwendungen zu erkaufen. Das »entgeltliche Abschöpfen von Informanten« sei ein übliches Verfahren von Verfassungsschutzämtern, erklärte denn auch das Thüringer Innenministerium Mitte letzter Woche.

Thomas Dienel hatte zuvor gegenüber dem ZDF-Magazin »Kennzeichen D« behauptet, für seine VS-Dienste sowohl Geld erhalten als auch Straffreiheit zugesichert bekommen zu haben. Ob sich diese Zusage auf konkrete Verfahren oder Straftaten bezog, erläuterte der 38jährige Vorsitzende der Deutsch-Nationalen Partei (DNP) nicht. Nachdem der thüringische CDU-Innenminister Christian Köckert zunächst Dienels Glaubwürdigkeit in Frage gestellt hatte, musste der Minister inzwischen die Zahlung von 25 000 Mark an den Nazi-Aktivisten und mindestens 80 Kontaktaufnahmen bestätigen. Mit dem Geld habe er, erklärte Dienel gegenüber »Kennzeichen D«, Propagandamaterial für die rechtsextreme Szene finanziert. Er habe das Geld stets als »Spende« verstanden.

Dienel soll dem LfVS Thüringen zwischen 1996 und 1998 Informationen über den mutmaßlichen Metro-Mörder Norman Franz und dessen Frau Sandra sowie über einen flüchtigen Mörder aus der Neonazi-Szene geliefert haben. Zu diesem Fall sei Dienel intensiv abgeschöpft worden, bestätigte das Landesamt. Die Polizei nahm den Täter im März 1997 in Nordrhein-Westfalen fest. Im selben Jahr habe Dienel Einzelheiten über eine geplante Rudolf-Heß-Aktionswoche und die Teilnehmer eines Koordinationstreffens verraten. Der VS soll Dienel im August 1997 angewiesen haben, weitere Kontaktaufnahmen zu unterlassen, weil er wegen seiner Alkoholprobleme nicht mehr in der Lage sei, Fantasie und Wirklichkeit zu unterscheiden.

In der Thüringer Landeszeitung wurde nach dem Bekanntwerden des Skandals spekuliert, dass es sich bei der Anwerbung von Dienel um »eine Verzweiflungstat« des VS gehandelt habe, da es dem Amt nicht gelungen sei, die rechtsextreme Szene anderweitig zu unterwandern. In der Tat muss man ziemlich verzweifelt sein, um jemanden wie Dienel als Quelle zu nutzen: Immer in Geldnöten und mit einem hemmungslosen Geltungsdrang ausgestattet - insbesondere Fernsehkameras haben es ihm angetan -, galt Dienel schon Anfang der neunziger Jahre bei Antifaschisten als - wenn auch gefährlicher - Spinner.

Der Absolvent der SED-Bezirksparteischule war zehn Jahre Mitglied der SED und bis 1989 Sekretär der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Mehrfach berichteten Zeitungen über Dienels angebliche Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit. Anfang 1990 tauchte er als Landesgeschäftsführer einer dubiosen Deutschen Sex Liga in Weimar auf, wechselte aber bald zur NPD. Deren ostdeutsche Landesverbände befanden sich zu dieser Zeit erst im Aufbau. Dienel fungierte zuerst als Geschäftsführer, im Oktober 1990 stieg er zum thüringischen Landesvorsitzenden auf.

Schnell wurde deutlich, dass Dienel zum radikalen Flügel des Rechtsextremismus zählt und auf kleinliche Abgrenzungen zum bekennenden SA-Flügel wenig gibt. Obschon Mitglied im Bundesvorstand der NPD, suchte er das Bündnis mit nationalsozialistischen Gruppierungen. Im November 1991 meldete er eine Demonstration in Halle/Saale an, zu der auch die heute verbotene Nationale Liste unter Christian Worch aufrief. In seiner Rede vor 400 Nazis hetzte Dienel gegen die bundesdeutsche »Schwulen- und Tuntenrepublik«.

Im selben Monat entließ ihn die NPD nach eigener Darstellung wegen »parteischädigendem Verhalten« aus allen Ämtern, es soll auch Unterschlagung im Spiel gewesen sein. Dienel blieb dem NS-Kurs treu und gründete die Deutsch-Nationale Partei. Am 20. April 1992 warf er mit drei Kameraden Schweinekopfhälften in den Hof der Erfurter Synagoge. Auf einem beigefügten Zettel hieß es: »Dieses Schwein Galinski ist endlich tot. Noch mehr Juden müssen es sein.« Kurz zuvor war Heinz Galinski, der damalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, gestorben.

Im September 1992 behauptete Dienel, diesmal gegenüber »Spiegel-TV«, seine Partei unterhalte Wehrsportgruppen, die Angriffe auf Flüchtlingsheime vorbereiten würden. In einer Gaststätte bei Saalfeld hielt er antisemitische Reden, nachdem er einen Heß-Gedenkmarsch mitorganisiert hatte, bei dem zweitausend Neonazis durch Rudolstadt marschiert waren. Dienel erklärte, er habe es satt, »ewig dafür zu bluten, dass sich Juden, Amerikaner, Franzosen und Russen irgendwelche Geschichtsfälschungen ausgedacht« hätten. Er bezeichnete die Bundesregierung als »Judenregime« und behauptete, dass in Auschwitz niemand umgebracht worden sei - »leider«.

Diese Aussagen führten zu seiner ersten Verurteilung zu zwei Jahren und acht Monaten Haft. Am Tag der Urteilsverkündung wurden Pläne der Bundesregierung bekannt, Dienel und seinem Mitstreiter Heinz Reisz aus Hessen die Bürgerrechte abzuerkennen. Noch während seiner Haft im Juli 1994 wurde Dienel ein weiteres Mal verurteilt. Noch im gleichen Jahr behauptete Dienel zum ersten Mal, er habe sich vom Rechtsextremismus abgewandt. Ende 1995 wurde er nach drei Jahren, zwei Dritteln seiner Gesamtstrafe, auf Bewährung entlassen.

Was nun folgte, könnte der erste Teil des behördlichen Deals gewesen sein, den die Landesregierung immer noch von sich weist. Im Juni 1996 lehnte das Bundesverfassungsgericht den Antrag der Bundesregierung ab, dem Thüringer die Bürgerrechte abzuerkennen - Dienel sei keine offensichtliche Gefahr für die grundgesetzliche Ordnung. Dem Neonazi wurde eine günstige Sozialprognose attestiert. Nur einen Monat später erging ein weiteres Urteil wegen seines »Spiegel-TV»-Auftrittes. Seine vorherigen Strafen wurden zu einer Gesamtstrafe von drei Jahren und drei Monaten zusammengerechnet, ins Gefängnis musste Dienel nicht mehr. Er erläuterte dem Gericht erneut - und in Anbetracht des Strafmaßes offensichtlich überzeugend -, er habe sich von der Szene getrennt.

In diesem Zeitraum begann Dienels Tätigkeit für das LfVS, die mindestens bis in den August 1997 hinein anhielt, als er zu den Organisatoren neonazistischer Aktivitäten in Saalfeld gehörte. Antifaschistische Gruppen hatten damals zu einer bundesweiten Demonstration gegen die Einrichtung eines »Nationalen Jugendzentrums« mobilisiert.

Abgeschaltet wurde der inoffizielle Mitarbeiter des Thüringischen VS - sofern man dem Amt Glauben schenken kann - erst Anfang 1998, als sich Dienel schon aus einer anderen Geldquelle bediente: der des Arbeitsamtes Erfurt. Im Mai 1998 wurde bekannt, dass er als Chefredakteur des Blättchens Stimme Deutschlands einen monatlichen Lohnkostenzuschuss von 2 000 Mark erhielt. Der Verlag Neues Denken, der die Zeitung herausgab, hatte zudem 18 000 Mark als Existenzgründungshilfe erhalten - obwohl er zeitgleich vom Verfassungsschutz beobachtet wurde.

Auf den bisherigen Informanten griff man dabei anscheinend nicht zurück - Dienel war zu dem Zeitpunkt schon zum Problem geworden. Neonazis waren in den Besitz einer polizei-internen Fotokartei gelangt, die über die extreme Rechte angelegt worden war. Nun erpressten sie die Sicherheitsbehörden. Dienel verlangte großspurig eine Erklärung und drohte mit dem Abdruck der Daten. Die Polizei nahm zwei Nazis fest, beschlagnahmte das Original und bei Dienel einige Kopien.

Dementis des VS rief die Behauptung hervor, Dienel sei bei polizeilichen Razzien in der rechtsextremen Szene vorab gewarnt worden. Dennoch ist das nicht auszuschließen: Im Januar 1998 verschwanden drei Neonazis aus Jena, die zuvor monatelang polizeilich observiert worden waren, da sie eine Bombenwerkstatt unterhielten. Am Tag des polizeilichen Zugriffs jedoch tauchten die zwei Männer und eine Frau in den rechtsterroristischen Untergrund ab.