Schatten-Boxen

Sport-Filme sind derzeit der große Trend. Aber die Faszination des American Football oder des Frauen-Boxens tatsächlich zu zeigen, gelingt nicht.

Ob dokumentarisch oder fiktional - Sport-Filme sind, so zeigte es u.a. auch die diesjährige Berlinale, zur Zeit in. Wohl weniger, weil den Drehbuchautoren die Themen ausgegangen wären, sondern eher, weil man hofft, die Millionen Menschen, die sich an jedem Wochenende in Stadien und vor den Fernsehern versammeln, damit ins Kino zu bekommen - jeder sieht halt gern Filme über sein großes Hobby. Die meisten dieser Filme sind jedoch nicht besonders geglückt.

Um seinen neuesten Film, das American-Football-Melodram »An jedem verdammten Sonntag«, zu realisieren, setzte Regisseur Oliver Stone zunächst auf die Hilfe der US-amerikanischen Profi-Liga NFL. Rasch wurde jedoch klar, dass Stones Film nicht dem Selbstbild des Verbandes entsprechen würde, Stone ließ seine Geschichte daher in einer fiktiven Liga spielen. »Plötzlich hatten wir die Freiheit, unseren ganz eigenen Look zu kreieren«, sagt der Produzent Clayton Townsend rückblickend, »Oliver wollte weg vom blank geputzten Image, das im Fensehen präsentiert wird, er vermied die unpersönlichen Kamera-Einstellungen, an die wir uns gewöhnt haben, und hielt direkt auf die Gesichter der Beteiligten - wortwörtlich, aber auch im dramaturgischen Sinn.«

Der Regisseur, der schon als kleiner Junge Football-Karten sammelte und damit »begann, meine eigene American-Football-League zu führen«, wollte dabei ausdrücklich nicht nur einen Sportfilm drehen: »Es geht auf einer subtileren Ebene um Tradition, Wandel und den Konflikt zwischen Eigeninteresse und Teamgeist. Das Private und das Geschäftliche wachsen im 21. Jahrhundert immer mehr zusammen (...). Wir alle haben vor dem Wandel Angst.«

Bei der Geschichte um den Teamchef Joe D'Amato, dessen erfolgreiche Zeit schon lange zurück liegt, die Besitzerin der Miami Sharks Christina Pagnacchi, den jungen Ersatzspieler Willie Beamen und die alte Quarterback-Legende Jack »Cap« Rooney geht es daher um mehr als nur um das, was »Any Given Sunday« auf Spielfeldern und in Umkleidekabinen passiert. Denn auch beim American Football spielt das Geldverdienen eine große Rolle.

Dagegen steht der alte Trainer, der den Sport nach wie vor vorrangig als Kampf definiert und der nicht einsehen mag, dass mittlerweile auch Clubs wie Unternehmen geführt werden müssen. Daraus wie auch aus dem Konflikt zwischen dem alten verletzten Quarterback, dessen Sportkarriere fast beendet ist, und seinem jungen Ersatzmann Willie Beamen, der glaubt, ein Star und daher auf die Mitspieler nicht angewiesen zu sein, könnte man einen typischen Hollywood-Kitschfilm drehen, einen mit viel Pathos, mit männlicher Ehre und pausenlosem Beschwören des Gemeinschaftsgeistes - und genau das hat Stone auch getan.

»Sieg oder Niederlage heißt es an jedem Sonntag. Worum es aber eigentlich geht: Sind wir Manns genug, zu gewinnen oder zu verlieren?« fragt D'Amato einmal sein Team, und so geht es ständig weiter, bis auch der letzte Depp im Publikum kapiert hat, dass American Football ein Sport von harten Männern für harte Männers ist - und da wird eben viel herumgeprolt, angemacht, gesoffen und gelitten.

Die Miami Sharks schaffen es dann zwar nicht ins Finale um den Pantheon-Cup, aber trotzdem wird alles gut, denn jede der Hauptfiguren hat am Ende etwas gelernt: Beamen, dass man Liebe nicht kaufen kann und ein Star nichts ohne sein Team ist, der Coach, dass man den Fortschritt nicht aufhalten kann, Pagnacchi, dass man die Seele einer Sportart nicht verkaufen darf, und der alternde Rooney, dass es ein Leben nach dem Football gibt. Und alle werden auch weiterhin an jedem verdammten Sonntag begeistert das Spiel verfolgen.

Aber auch im Dokumentarfilm schafft man es meistens nicht, über Klischees hinauszukommen. Wie in »Shadow Boxers« von Katya Bankowsky. Lucia Rijker ist Profi-Boxerin und die Hauptfigur dieses Dokumentarfilms. Die in den USA lebende Niederländerin Rijker sei auch, so sagt es ihr Promoter Bob Arum, sexy, und deswegen, nur deswegen organisiere er die Kämpfe für sie. Arum ist neben Don King einer der ganz Großen im internationalen Box-Geschäft. Lucia Rijker gehört zu den wenigen Stars der Frauen-Box-Szene, und sie ist obendrein eine exzellente Boxerin.

»Shadow Boxers« beginnt mit altem Material von den Golden-Gloves-Wettbewerben 1995. Das ist der bedeutendste Amateurwettbewerb in den USA, damals kämpften dort erstmals Frauen. Was man sieht, ist oft planloses Gehaue, es hat nichts zu tun mit dem, was Rijker bietet. Genauer: Es hat nichts zu tun damit, wie Rijker von Bankowsky inszeniert wird. Diese Bilder von 1995 sind, dokumentarisch betrachtet, schlecht. Einfach eine Totale aufgezogen und unbewegt eine Kamera draufgehalten - selbst wenn dort gute Kämpfe stattgefunden hätten, sähen sie schlecht aus, Kameraposition, -führung und Schnitt lassen nichts anderes zu.

Aber dann bekommt der Film seine Wendung: Lucia Rijker wird eingeführt. Immer wieder interviewt Bankowsky deren männliche Kollegen: Ihre Trainer, ihre Sparringspartner, und auch Oscar De La Hoya darf sich lobend äußern, ohne dass die Rede auf seine Vergewaltigungsprozesse kommt. Nicht befragt werden dagegen die Gegner des Frauen-Boxens, die es ja in der Männerwelt Profi-Boxen zuhauf gibt. Nicht befragt - und das wiegt schwerer - werden auch Rijkers Konkurrentinnen. Z.B. fehlt die US-Boxerin Christy Martin völlig, die in einer ähnlichen Gewichtsklasse wie Rijker boxt, aber von Don King promotet wird, weswegen es bislang nie zum Kampf Rijker-Martin kam.

Auch boxerisch ist von den Konkurrentinnen nicht viel zu erkennen. Ob Rijker gut boxt, ist in Bankowskys Film nicht zu sehen: Die Dokumentarfilmerin montiert Kampfszenen mit schnellen Schnitten - wie in einem Videoclip. Die Musik verstärkt den Effekt: Es ist ein bisschen Heldinnenproduktion. Die Fragen, die Rijker gestellt werden, beantwortet sie ruhig, zum Teil witzig, aber sie verlässt nie den Bereich erlaubter Aufmüpfigkeit: Im Trainingslager wird Rijker gezeigt, wie sie ein Stofftier auf ihr Kopfkissen legt, während sie darüber schimpft, dass ihre männlichen Kollegen nicht Geschirr spülen, der Duschteppich immer nass und nachts die Musik zu laut ist. Mit Gespür für stehempfangskompatiblen Feminismus sagt sie, es sei »eine große Erfahrung, mit acht Männern - oder sollte ich sagen: acht Tieren - ein Haus zu teilen.« Wird sie nach Gefahren ihres Sports gefragt oder nach bestimmten ökonomischen Abhängigkeiten, antwortet sie stets, dies sei »part of the game«.

1999, als der Film gerade fertig war, wechselte Bob Arum Rijker als Hauptkämpferin aus: Er lässt jetzt das Produkt Frauen-Boxen von Mia St. John vertreten, die schon im Playboy zu sehen war.

Lucia Rijker ist wirklich eine der besten Boxerinnen, aber Bankowsky gelingt es nicht, dies zu zeigen. Sie schneidet so wild drauf los, als vertraute sie ihrer Protagonistin nicht. Sie unterlegt die unpassende Musik so penetrant, dass man fast vermuten müsste, es sei nur ein Werbeclip. Dabei ist »Shadow Boxers« doch auch ein Dokumentarfilm.

»Shadow Boxers« USA 1999. R: Katya Bankowsky; M: Zöel; lief auf der Berlinale im Panorama
»An jedem verdammten Sonntag« USA 1999. R: Oliver Stone; D: Al Pacino, Cameron Diaz, Dennis Quaid, James Woods, Jamie Foxx, LL Cool J, Charlton Heston. Start: 9. März