Im Kanzleramt brennt noch Licht

Diese Woche in unserem Thriller-Serial: Wie Helmut mit den Händen im Aktenschredder erwischt wurde.

Dass Wahlen an den tatsächlichen politischen Machtverhältnissen nichts ändern, ist bekannt. Trotzdem können sie durchaus ihren Unterhaltungswert haben: So verdanken wir die inzwischen schon einige Monate andauernden Enthüllungen über illegale Spenden, schwarze Konten usw. zum Gutteil der Bundestagswahl vom Herbst 1998 und dem daraus folgenden Regierungswechsel. Denn auch wenn die rot-grüne Bundesregierung bis auf einige Nuancen die gleiche Politik weiterführt wie die alte Regierung, so hat der Schichtwechsel in Ministerien und Kanzleramt immerhin zur Folge gehabt, dass nun einiges von dem zum Vorschein kommt, was die Vorgänger da hinter verschlossenen Türen so alles angestellt haben.

Auch die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein versprachen durchaus, unterhaltsam zu werden. Schließlich waren es die ersten Wahlen nach Bekanntwerden des CDU-Spendenskandals. Doch aus den hoch gesteckten Erwartungen wurde leider nichts: Weder stürzte die CDU in die Bedeutungslosigkeit ab, noch sind die Grünen unter die Fünf-Prozent-Hürde geplumpst. Statt Wut und Tränen gab es am Wahlabend einmal mehr routinierte Langeweile.

So legte die SPD wie zu erwarten leicht zu - um etwa drei Prozentpunkte - und kletterte auf 43,1 Prozent. Die CDU verlor rund zwei Prozentpunkte und kam auf 35,1 Prozent. Die Grünen, die in den vergangenen vier Jahren als Regierungspartei vor allem durch interne Querelen auf sich aufmerksam gemacht hatten, schafften mit 6,2 Prozent erneut den Einzug in den Landtag, ebenso die FDP, die sich um fast zwei Prozent auf 7,6 Prozent steigern konnte. Und auch der von der Fünf-Prozent-Klausel befreite Südschleswigsche Wählerverband (SSW) - die Wahlvereinigung der dänischsprachigen Minderheit - konnte auf 4,1 Prozent zulegen. Es bleibt in Kiel also alles beim Alten: SPD und Grüne werden auch weiterhin die Regierung bilden, Heide Simonis bleibt Ministerpräsidentin. Und ihr Konkurrent, CDU-Spitzenkandidat Volker Rühe, hat zwar verloren, aber immerhin so wenig, dass er sich weiterhin Hoffnungen auf den Vorsitz der Bundespartei machen kann. Nichts Neues also im Norden.

Da wird auf Bundesebene doch einiges mehr an Unterhaltung geboten. Die jüngsten Spiegel-Enthüllungen über die Machenschaften der alten CDU/FDP-Bundesregierung scheinen gar direkt aus einem schlechten Politthriller abgeschrieben: Ein Ex-Kanzler, der sich während seiner Amtszeit von seinen Leibwächtern zu einer Telefonzelle mitten in Bonn chauffieren lässt, um dort heimlich Telefongespräche mit wer weiß wem zu führen, und der nach seinem Machtverlust nächtliche Sonderschichten im Aktenvernichten einlegt. Ein Kanzleramtschef, der vor dem Regierungswechsel schnell noch Festplatten der hauseigenen Computer löschen lässt. Brisante Akten, die plötzlich verschwunden sind. Usw. usf.

Dass zahlreiche Akten über den Verkauf der Leuna-Raffinerie verschwunden sind, ist bereits seit Anfang des Jahres bekannt. Schon am 7. Januar bestätigte die Bundesregierung auf Anfrage der FDP, dass ein Leuna-Ordner nicht mehr vorhanden und von sechs weiteren nur noch so genannte B-Kopien vorhanden seien. Außerdem sei »der Datenbestand im IT-Netz des Bundeskanzleramtes weitestgehend gelöscht« worden. Inzwischen wurde darüber hinaus bekannt, dass die Akten über den Leuna-Deal nicht nur lückenhaft sind. Die noch vorhandenen Dokumente weisen zudem teilweise Manipulationsspuren auf. Und nicht zuletzt ist die Registraturkarteikarte über die Leuna-Unterlagen spurlos verschwunden. Damit ist nun auch nicht mehr nachzuprüfen, was für Akten in dieser Sache überhaupt genau vorhanden waren - ein deutlicher Hinweis darauf, dass gezielt brisante Daten vernichtet wurden.

Wie der amtierende Kanzleramtschef Walter Steinmeier (SPD) dem Parteispenden-Untersuchungsausschuss mitteilte, sind aber nicht nur Leuna-Akten verschwunden. Auch Unterlagen zu diversen Rüstungsgeschäften - etwa dem Panzerverkauf an Saudi-Arabien - sind nicht mehr auffindbar. Übrigens allesamt Vorgänge, in denen der Verdacht besteht, dass politischen Entscheidungen durch Schmiergeldzahlungen nachgeholfen wurde.

Bundesinnenminister Otto Schily spricht von einem »ungeheuerlichen Vorgang« und hat dem von der Bundesregierung eingesetzten Sonderermittler in Sachen Aktenschwund, Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP), inzwischen zwei Beamte des Bundeskriminalamtes zur Seite gestellt. Die beiden »Vernehmungsspezialisten« sollen Hirsch bei der Befragung der Kanzleramtsmitarbeiter helfen. Inzwischen ermittelt außerdem die Bonner Staatsanwaltschaft in dieser Angelegenheit wegen »Verwahrungsbruch« bzw. »Aktenunterdrückung«.

Vorerst richten sich die Ermittlungen noch gegen Unbekannt. Doch gut möglich, dass die Beamten demnächst Helmut Kohl ins Kreuzverhör nehmen werden. Zumindest entkam der Ex-Bundeskanzler in der vergangenen Woche nur knapp einer Hausdurchsuchung. Dass die Staatsanwaltschaft Bonn schließlich doch nicht wie geplant Kohls Privatgemächer und sein Büro durchwühlen ließ, lag ausschließlich an einer Indiskretion innerhalb der Behörde: Irgendwer steckte dem Spiegel die Nachricht von der anstehenden Durchsuchung - und weil eine in der Presse angekündigte Hausdurchsuchung meist nur noch wenig Überraschendes zu Tage fördert, ließen die Fahnder es schließlich bleiben. Stattdessen nahmen sie sich am Dienstag vergangener Woche die Räume des CDU-Landesverbandes Rheinland-Pfalz vor. Denn dorthin soll Kohl nach der verlorenen Bundestagswahl 1998 Dokumente aus dem Bundeskanzleramt geschafft haben. So zumindest die Behauptung eines anonymen Insiders. In dem Durchsuchungsbefehl heißt es - so zitiert jedenfalls der Spiegel -, Kohl habe nach der verlorenen Bundestagswahl »jeweils spät abends« Akten »gesichtet und ausgesondert«, wobei es sich indes nicht um Regierungsakten gehandelt haben soll, sondern um Dokumente, über die Kohl »privat oder in seiner Eigenschaft als Parteivorsitzender der CDU verfügte«.

Kohl hat inzwischen über seinen Sprecher erklären lassen, dass er keinesfalls Akten beiseite geschafft habe. Er habe der Mainzer Landtagsfraktion lediglich Bücher »aus seiner Bonner Privatbibliothek« zum Thema Rheinland-Pfalz zukommen lassen. Kohls einstiger Kanzleramtschef Friedrich Bohl hat inzwischen zumindest zugegeben, dass im Kanzleramt gezielt Computerdaten gelöscht wurden - wenn auch nur »politische Konzepte und politische Überlegungen«. Dass er die Löschungen selbst angeordnet habe, hat Bohl mittlerweile dementiert. Und auch von den verschwundenen Leuna-Akten weiß er leider nichts: »In diesem Fall habe ich keine konkreten Erinnerungen mehr«, erklärte Bohl in der vergangenen Woche, nicht ohne sich eine Hintertür offen zu lassen: Vielleicht habe er es auch vergessen, weil er es nicht für wichtig hielt.

Dass die verschwundenen Akten wieder auftauchen, ist wenig wahrscheinlich. Immerhin soll nun versucht werden, die gelöschten Computer-Festplatten des Kanzleramtes wieder lesbar zu machen. Am vergangenen Wochenende haben sich außerdem Politiker fast aller Parteien dafür ausgesprochen, dem Waffenhändler Karlheinz Schreiber freies Geleit nach Deutschland zu gewähren und ihm so die Möglichkeit zu geben, vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss auszusagen. Schreiber hält sich derzeit in Kanada auf, weil gegen ihn in Deutschland ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung läuft. Sollte der Kauferinger Waffenhändler und CSU-Spezl tatsächlich vor dem Ausschuss aussagen und dabei auch nur einen Bruchteil seiner Drohungen gegen Politiker aus CDU und CSU wahr machen, dann wird es erst richtig unterhaltsam.

Wem es bis dahin noch zu lang hin ist, der richte seine Blicke nach Hessen. Dort wird es für die CDU und ihren Ministerpräsidenten Roland Koch schon in dieser Woche spannend: Da ist zum einen der FDP-Sonderparteitag am Wochenende, auf dem über die Zukunft der schwarz-gelben Koalition in Wiesbaden entschieden werden soll. Gut möglich, dass sich die Liberalen gegen ihre Landesspitze und damit für ein Ende der Koalition entscheiden werden. Denn fast ein Drittel der Delegierten hat sich bereits schriftlich gegen Koch ausgesprochen. Und da wäre außerdem noch die Sitzung des Wahlprüfungsausschusses, der am Freitag entscheiden will, ob die Landtagswahl vom vergangenen Jahr ungültig ist und wiederholt werden muss. Dass die hessische CDU bei Neuwahlen so gut wegkommt wie die schleswig-holsteinischen Christdemokraten am vergangenen Sonntag darf getrost bezweifelt werden.