Haiders Vierter Weg

Die sozialdemokratischen Rassisten der EU haben Haider ein Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten abgepresst. Es ist so verlogen wie wichtig.

Pure Heuchelei - oder weshalb drohte die EU den Österreichern in nie gekannter Schärfe und recht einstimmig mit Isolation, sollte die FPÖ an der Regierung beteiligt werden? Für einen Kommentator der linken Wochenzeitung Freitag ist die Angelegenheit glasklar: »Was Haider von den etablierten Demokraten in Europa unterscheidet, ist zweifelsfrei das Übermaß an Demagogie und ein Quantum an Xenophobie. Diese Differenz gilt es selbstverständlich zu berücksichtigen, man sollte aus ihr aber keinen Popanz machen. Es ist der gleiche Bottich. Gemessen an ihrer Realpolitik passt Haider gut zu ihnen und ihrem Schengenland. Er spitzt zu, was sie vorhaben.«

In ähnlicher Weise wurde als Kritik an den von der EU angedrohten Sanktionen wiederholt vorgetragen, Haider, sein Rassismus, seine Wähler und seine Kritiker seien doch lediglich Produkte oder Komponenten des herrschenden neoliberalen Systems. Das ist so zutreffend wie billig, zur Analyse trägt diese Erkenntnis nichts bei. Als globaler und sozialer Totalzusammenhang gebiert der Kapitalismus unablässig allerlei üble Erscheinungen, und man muss nicht jedesmals vage und vollmundig verlautbaren, in ihnen bilde sich nichts als die Krise des warenproduzierenden Systems oder anderweitig das Immer-Gleiche ab.

Ganz im Sinne solch beliebter Tautologisierungen lässt der an die europäischen Regierungen adressierte Vorwurf der Heuchelei einige Essentials außen vor, die den aktuellen Formierungsprozess der EU prägen. Erstens hat die EU in den Monaten seit dem Kosovo-Krieg vor allem militärpolitisch einiges unternommen, ihren alten imperialen Anspruch zur Eindämmung der globalen Vorherrschaft der USA endlich einzulösen. Zweitens hat die EU das waghalsige Vorhaben einer Erweiterung ihres Gebietes um bis zu zwölf osteuropäische Staaten in der jüngeren Vergangenheit energisch vorangetrieben. Drittens handelt es sich bei den Bemühungen um die Stärkung und die Vergrößerung der EU derzeit um ein ziemlich sozialdemokratisches Projekt. Wenn es um Integration geht, sind Sozialdemokraten kaum zu übertreffen.

Die aktuelle Hegemonie der so genannten modernen Sozialdemokratie in den meisten Staaten der EU beruht nicht zuletzt auf dem Niedergang der konservativen Konkurrenz. Deshalb ist diese Hegemonie wacklig. In Italien wurden die Christdemokraten pulverisiert, in Großbritannien, Frankreich und Deutschland sind die Konservativen derzeit im Wesentlichen mit Interna beschäftigt. Unabhängig vom jeweiligen Anlass spiegelt sich im Abtauchen der Konservativen ein kaum entrinnbarer Antagonismus: Der von ihnen seit den achtziger Jahren zum Programm erhobene Marktradikalismus kollidiert mit der hergebrachten Beschwörung solcher Werte wie Familie, Heimat, Tradition und bringt damit genau das voran, was Konservative gerne als »Entwurzelung« bezeichnen. Wo sie, wie Margret Thatcher in Großbritannien, mit der neoliberalen Deregulierung ernst machten, liefen ihnen irgendwann die Wähler weg; wo die Konservativen, wie etwa hierzulande, zögerlich hantierten, brachten sie die Eliten gegen sich auf.

Der Zusammenbruch des hergebrachten Konservatismus lässt vorerst zwei Alternativen zurück: die modernisierte Sozialdemokratie und den Rechtspopulismus. Mit ihrer Konzeption des Dritten Weges haben die führenden Sozialdemokraten hinter dem Rücken der eigenen Anhängerschaft eine Programmatik entwickelt, welche die Herrschaft des Marktes von ihrem sozialen Darwinismus befreien will: Der »aktivierende Staat« verteilt weniger Geld, schafft aber für alle, auch für die Verlierer, Chancen einer eigenverantwortlichen Bewältigung von Krise und Aufstieg. Das Problem der »Entwurzelung« beantwortet die neue Sozialdemokratie zivilgesellschaftlich und mit der Verheißung erweiterter demokratischer Teilhabemöglichkeiten. Ihre Vordenker behaupten, eine künftige Vergemeinschaftung sei nicht an die überlieferten Selbstverständlichkeiten von Tradition, Heimat und Scholle zu binden, sondern sie werde bewusst und reflektiert erfolgen. Das alles wird wahrscheinlich nicht funktionieren, es bleibt aber festzuhalten: Dieses Programm ist nicht antisemitisch, es hat aber eine kräftige rassistische Komponente, weil es als Drehbuch für die exklusiven Erfolgsstorys entwickelter westlicher Gesellschaften dient, die genau definieren, wen sie von jenseits der Grenzen hereinlassen.

Während moderne sozialdemokratische Führer Rassismus wesentlich als Sachzwang betrachten und ihn - etwa an den Außengrenzen der EU oder in Abschiebegefängnissen - eiskalt exekutieren lassen, verkörpert der Rechtspopulist Haider in der Tat etwas anderes. Politisch sozialisiert in einem aus ehemaligen SS- und Nazi-Funktionären bestehenden völkischen Sumpf, in dem die Ideen von Rassereinheit und Ausmerze blühten, vertritt er bis heute jene von Nazis und Konservativen (und vielen sozialdemokratischen Wählern) grundsätzlich geteilten Werte von Scholle und Heimat, Glaube und Sitte.

Diese Werte besitzen bekanntlich eine fundamental antisemitische und damit rassistische Potenz. Haiders Politik besteht in nichts anderem als der Mobilisierung der entsprechenden Ressentiments. Als politischer Führer ist er die personifizierte Androhung eines jederzeit möglichen Pogroms. Zutreffend hält ein Kundgebungsaufruf des Bündnisses gegen IG-Farben und der Redaktion der Zeitschrift Bahamas anlässlich der geplanten Talkshow-Teilnahme Haiders in Berlin am vergangenen Sonntag fest: »Die Haiderei hat in Österreich in den letzten Jahren bereits mehr als zehn Tote gekostet. Sinti und Roma und Antirassisten sind im Zuge des Wir-sind-Wir-Rausches von so genannten Einzeltätern ermordet worden. In Haiders Stammland Kärnten ist die slowenische Minderheit in Panik. In Wien schüchtern Burschenschaftler und Aktivbürger Juden, Migranten, Antifaschisten und Kommunisten seit der letzten Wahl gezielt ein.«

Es ist daher angebracht, den Reaktionen der israelischen Regierung etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Den demonstrativen Abzug ihres Botschafters aus Wien, die Verhängung eines Einreiseverbots für Haider und die dazu gehörenden Warnungen, in Österreich würden neonazistische und rassistische Elemente zum Bestandteil offizieller Politik geadelt, sollte man nicht einfach als historisch motivierten Reflex abtun, der Unterschiede macht, wo keine sind. Diese Maßnahmen künden vielmehr vom Wissen um die potenziell eliminatorischen Qualitäten der Rechtspopulisten vom Schlage Haiders. Dessen Populismus ist die augenzwinkernde Popularisierung des Nationalsozialismus, der Vernichtung des Anderen; zu den Lieblingsvokabeln des FPÖ-Chefs zählten immer schon die Begriffe »Ausmisten« und »Ordnung schaffen«. Auch wenn die Opfer rassistischer Gewalt sich einer solchen Unterscheidung sehr zu Recht verweigern, bleibt richtig, dass der von sozialdemokratischen Staatenlenkern betriebene Rassismus in beachtlichen Teilen anderen Motiven gehorcht als der Haidersche.

Die Konstellation der EU-Abmahnung für Haider war also die: Auf der einen Seite führende sozialdemokratische Politiker und Ideologen, die mit einem durch pragmatischen Rassismus angereicherten zivilgesellschaftlichen Programm die eigene, von den Eliten derzeit akzeptierte Hegemonie absichern und auf der gleichen Grundlage das imperialistische Projekt einer Ausweitung der EU betreiben wollen. Auf der anderen Seite Haider, dessen Partei mit fremdenfeindlichen und Anti-EU-Parolen faktisch die Macht in Wien übernimmt. Insofern gab es gleich zwei gute Gründe, die die sozialdemokratisch dominierte EU zu der energischen Intervention brachten.

Mit Haider kommt das Exemplar eines Führers nach oben, der mit dem Versprechen einer neuen Inwertsetzung der barbarischen Affekte und Ressentiments womöglich zum Modell für andere Bewegungen bzw. für eine Modernisierung des maroden Konservatismus werden kann. Nicht zufällig kam von fast allen in der Opposition befindlichen konservativen Parteien Europas harscher Protest gegen die angedrohte Isolierung Österreichs. Zudem ist den sozialdemokratischen Establishments, zumal in Deutschland, natürlich geläufig, dass auch in der eigenen Wählerschaft durchaus ansehnliche Sympathien für den von Haider propagierten Wahn herrschen.

Darüber hinaus wurde Haider exemplarisch zur Ordnung gerufen, weil seine Linie das sozialdemokratische Projekt der EU-Ausweitung ernstlich in Gefahr bringen könnte. Zum einen, weil in den entsprechenden Beschlüssen Einstimmigkeit gefordert ist, zum anderen und wahrscheinlich wichtiger, weil Haiders fremdenfeindliche Agitation gegen die Aufnahme osteuropäischer Staaten als quasi regierungsamtliche Verlautbarungen einen ungleich höheren Stellenwert bekämen, als sie es in der Vergangenheit hatten. In die Rechnung einbezogen wurde auch der Schrecken, den Haider auf Seiten der Beitrittskandidaten auslöst.

Dass die EU-Intervention eine Aktion zur Verteidigung der jungen und prekären sozialdemokratischen Hegemonie und gleichzeitig eine entsprechende Machtdemonstraion war, wurde von konservativer Seite mit Bitterkeit kommentiert. Am vergangenen Samstag schrieb die FAZ: »Es scheint, dass der Vierzehner-Beschluss gegen Wien unter dem doppelten Schatten der Holocaust-Gedächtnisveranstaltung in Stockholm und der Solidaritätsverabredungen zwischen den in der EU regierenden Parteiführungen der 'Sozialistischen Internationale' gefasst wurde.«

Haider kroch also erst einmal zu Kreuze und akzeptierte als Präambel zur Koalitionsvereinbarung ein wesentlich vom Stab des Bundespräsidenten Thomas Klestil verfasstes Papier, das auch von linken Sozialdemokraten oder Joseph Fischer stammen könnte. Es quillt geradezu über von Bekenntnissen zu Demokratie, Menschen- und Minderheitenrechten, distanziert sich von Rassismus und Nationalsozialismus, bezeichnet den Holocaust als einmaliges Verbrechen und stellt den NS-Zwangsarbeitern Entschädigung in Aussicht. Mit diesem Geständnis, im Grunde sei er ein anständiger demokratischer Normalo, tingelt Haider nun seit Tagen von Interview zu Interview. Die Examinierung hat etwas Obszönes. Auch, weil Haider seinem Anhang bei Bedarf demnächst glaubhaft klarmachen wird, er sei Opfer einer Erpressung. Seine Leute werden das verstehen. Man sieht sich immer zweimal im Leben.