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Fett, elektrisch, digital, HipHop und Rock - Mr. X & Mr. Y versöhnen Echt und Falsch, Straße und Disco

Stellt man sich die Frage, wo seit einigen Monaten all diese Neo-Achtziger- Electro-Tracks herkommen, so ist sie nicht einfach zu beantworten. Fast scheint es, als wären sie nie verschwunden gewesen, als habe sich der Electrosound nur einige Jahre in bzw. hinter anderen Genres der elektronischen Musik oder dem HipHop verborgen. In diesen Tagen, in denen Electro nun wieder allerorten um die Ecke quietscht, sieht es so aus, als sei er nie wirklich aus den Charts herausgefallen.

Da ist es folgerichtig, wenn Westbam, der mit seinem Label Low Spirit und dessen Sublabel Electric Kingdom zum führenden Macher des derzeitigen Electro-Revivals geworden ist, diese Musik schlicht als Popmusik betrachtet. Denn mit der Mischung von Electrosounds und eher zum Techno gehörigen Beats, die Westbam mit ziemlich angestrengter Originalität "Technolectro" getauft hat, ist eine für die Käufermasse akzeptable Formel gefunden worden.So findet man Techno und seine Spielarten nun auch außerhalb der Love-Parade neben Aerosmith oder den Fantastischen Vier in den Charts. Das ist zwar nichts Neues, doch so nah an Rock war Techno noch nie. Und so könnte er auch auf dem amerikanischen Markt landen, wie The Prodigy etwa oder die Chemical Brothers.

Westbam hatte in den vergangenen drei Jahren des öfteren ein Händchen bei der Produktion seiner Hits. Die Run-DMC-Coverversion "Hard Times" hat lange vor den Jason Nevins Hop-House-Stampfern die Wiederentdeckung des frühen HipHop eingeleitet, und mit seiner Single "BeatBox-Rocker" führte er die allmähliche Verrockung seiner Tracks konsequent weiter. Ohne sich die Finger allzu schmutzig zu machen, hat Westbam den Erfolg des BigBeat vorausgeahnt und sich von den fiependen Rave-Hymnen vergangener Tage abgewandt. Erstaunlicherweise ist es ihm damit gelungen, selbst jene Sound-Stalinisten, die ihm bislang billige Vereinfachung und Ausverkauf vorwarfen, zu beeindrucken.

Schließlich konnte Westbam im vergangenen Jahr den altgedienten Godfather des HipHop und des Electroboogie, Afrika Bambaataa (dem zu Ehren sich Anfang der Achtziger der junge DJ Westfalia Bambaataa, kurz: Westbam, genannt hat), zu einer Zusammenarbeit überreden. Mit "Agharta - The City Of Shamballa" legten beide einen Track vor, der einerseits eine astreine astro-amerikanische Utopie vertritt, dieser jedoch andererseits europäische Technosounds unterlegt.

Und jetzt hat er erstmals ein komplettes Technolectro-Album vorgelegt, um zu zeigen, wohin der Beat weist. Mit Bambaataas "spirituellem Sohn", Afrika Islam, hat er sich zu einem vom Hause Low Spirit in gewohnt bravoesker Schöpferkraft Mr.X & Mr.Y getauften Act zusammengeschlossen. Im vergangenen Monat haben die beiden ihr gemeinsames Album "New World Order" veröffentlicht. Und auf dieses Album können sich plötzlich alle einigen, sowohl die hedonistische Tanz-Fraktion als auch die Liebhaber der schnarrenden Tüfteleien.

Einerseits verweist das Album mit zuchtmeisterhafter Vehemenz auf den Dancefloor, andererseits bietet die Platte einen beeindruckenden Querschnitt durch alle Disco-Spielarten. Keinen Moment verleugnet Westbam seine unbedingte Liebe zum DJing und zur Laß-tanzen-Musik. "New World Order" ist Pop. Afrika Islam war DMC World Mix Champion, Mitglied der legendären Rock Steady Crew und gemeinsam mit Ice-T und dessen Band Bodycount ein Held des Hiphop-Sounds der amerikanischen Westküste.

Also trägt er einen schweren Sack credibility auf dem Rücken. Durch die Präsenz Afrika Islams - so wie vorher schon durch die leibhaftige Legendenhaftigkeit seines "Vaters" - erhält das Projekt Mr. X & Mr. Y eine Aura von Echtheit, die Westbam allein nie für sich beanspruchen könnte. Das Label teilt im Info mit, das Projekt sei einerseits gedacht als Versöhnung der verschiedenen DJ-Schulen, dem Mixen der Techno-/Housemusik und dem Cutten des HipHop; zum anderen aber würden eben jene allzu sturen Vorstellungen von "Schule" in dieser DJ-Zusammenarbeit dekonstruiert.

Doch die Wirkung der Platte geht weit darüber hinaus. Jeder halbwegs belesene und soundkundige Popfreund wird sofort erkennen, daß es hier um Echt plus Falsch geht, also die Vereinigung der vermeintlichen Authentizität der (amerikanischen Ghetto-) Straße mit dem Plastikhaften der Diskothek unter den Bedingungen von Pop. Auch die Plattenfirma Low Spirit weiß oder ahnt das zumindest und läßt Afrika Islam in den Videos als den charismatischen MC erscheinen, dieweil sich der "Musiker" Westbam diskret und gleichsam verschlossen im Hintergrund hält.

Zudem dienen in den Videos, ganz anders als sonst im BigBeat-Umfeld, die Turntables zur Unterstreichung der Echtheit des Anliegens. Sie sind hier das Leben. Die Situation heißt: live. Das soll eine Nicht-Produziertheit der Tracks demonstrieren und Improvisation nahelegen - obschon sich auf der Platte Stück für Stück und Beat für Beat das Produzenten-Genie des Klaus Jankuhn verewigt hat.

Dieser Act tritt folglich auf mit der authentischen Wucht, die sonst nur eine Band hat. Andererseits jedoch hagelt es in diesen Tracks Samples, bis du doof bist. Und der Wiedererkennungseffekt für Rockisten ist beinahe so hoch wie in den Pub-Rock-Nummern, mit denen derzeit der BigBeat aus Großbritannien über die Welt schwemmt. Dennoch, trotz des unvermeidlichen Klassik-Samples, trotz HipHop-Attitüde, trotz geklauter Electrosounds hier und trotz stupidem Drum'n'Bass-Geboller da, ist das Album "New World Order" weder eine Proll-Oper geworden noch zu einem Rocksau-Auftritt ˆ la Sven Väth verkommen.

Nein, Rapping und Dancefloor, Straße und Aufnahmestudio sind hier zu einer Einheit geworden, und das in einem ganz anderen Maße gekünstelt als bei vergleichbaren HipHop- oder Dreamhouse-Produktionen.

Was Mr. X & Mr. Y wesentlich von anderen Authentizität beanspruchenden Musikproduktionen unterscheidet, ist, daß hier zugleich mit dem hergebrachten Umgang mit Authentizität gebrochen wird. Das Echte wird selbst unecht, der MC läßt seine Worte samplen (und so den Rap im Echo zum Vocal-Einsprengsel werden), der Techno-DJ greift selbstbewußt auf Achtziger-Rock zurück - in allen Stücken wird bewußt mit verstellter Stimme gesprochen. Und niemand erwartet von diesen Tracks eine Aussage. Kein Kritiker redet über Afrika Islams Texte, auch wir nicht.

Inhalt ist hier nur eine Formfrage, es ist die Reaktion auf das von absoluten Beats ermüdete Publikum. Gerade daß das Album über eine einfache Semantik und Formeln (etwa der Verehrung Ché Guevaras) verfügt, läßt es zum Hit werden, denn es hat eine Art Refrain, und man kann es irgendwie mitsingen.

Die Mischung geht also auf. Die Maxi-Singles, die parallel zum Album erscheinen, zeigen wiederum das Dilemma, in dem sich Westbam offensichtlich doch noch befindet. Die B-Seite der aktuellen Album-Auskopplung "Viva La Revoluci-n" macht aus dem herrlich rückwärtsgewandten, Tuxedomoon-getränkten Voranstepper der A-Seite einen uninspiriert wummenden Landjugenddisko-Wurstbrei. Westbam muß anscheinend plumpe Zugeständnisse an die Klientel machen, die ihn einst zum Star werden ließ. Auch in dieser Hinsicht ist Westbam, der selbst gern Analogien zwischen Techno- und Rockgeschichte zieht, eine Art Elvis der Bewegung, gefangen zwischen seinem Talent und seinem Willen zum Kommerz.

Mr. X & Mr. Y: New World Order. Low Spirit/EFA