Asylant heißt jetzt Asylbewerber

Ein ehemaliger Professor für Marxismus-Leninismus bringt der Magdeburger DVU die rechten parlamentarischen Manieren bei

Sparen für die Demokratie: Die DVU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt verzichtet auf 36 000 Mark. Zum Zwecke der Haushaltssanierung, wie auf der Homepage der Rechtsextremisten im Internet nachzulesen ist. Doch damit nicht genug. Sich selbst preisen die DVU-Parlamentarier als sparsamste Fraktion im Magdeburger Landtag an, nur um den anderen Fraktionen vorzuwerfen, ihrem Sparvorschlag nicht gefolgt zu sein.

Eine Nachricht, die so ganz in das Selbstbild der Deutschen Volksunion paßt. Im April vergangenen Jahres zogen die Neofaschisten mit 16 Abgeordneten ins Magdeburger Landesparlament ein, um, so das erklärte Wahlziel der 13-Prozent-Partei, die Macht der "Bonzen" zu brechen.

Mit dem Sparen scheint die DVU bei ihrem eigenen Personal begonnen zu haben. "Im Plenum lesen mehrere Abgeordnete fertig ausgearbeitete Manuskripte schlecht ab, und in den Ausschüssen sind sie völlig überfordert", erteilt der Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Jens Bullerjahn, der DVU schlechte Noten. Und der stellvertretende PDS-Fraktionschef Matthias Gärtner hat beobachtet, daß auf manch einem der verlesenen Manuskripte eine Münchener Faxnummer stand. Gärtner: "Ein DVUler hat gegenüber unserer Fraktion eingeräumt, wer keine Verbal-Attacken gegen die PDS in seinen Reden dulde, der dürfe im Plenum nicht reden." Dieses Verbot komme direkt aus München, wo auch DVU-Chef Gerhard Frey seinen Sitz hat.

Dabei kann zumindest einer ihrer Fraktionsmitarbeiter eigenständig formulieren: ein Soziologe. Aus dem Einsatz von informationsverarbeitender Technik ergäben sich, so hatte der im Februar von der Fraktion eingestellte Günter Bernard 1987 geschrieben, "Forderungen für die Persönlichkeitsentwicklung, neue und hohe Anforderungen an die Persönlichkeit, da der Mensch entscheidender Akteur dieser Prozesse ist und bleibt. Stärker denn je erfordert der neue Techniktyp Disponibilität und Mobilität, um den Beschleunigungsprozessen der wissenschaftlich-technischen Revolution gerecht zu werden."

Als er diese Zeilen schrieb, war Bernard noch Soziologieprofessor an der Leipziger Universität. Nicht eben eine wissenschaftliche Koryphäe, wie ehemalige Studenten und Kollegen sich erinnern, aber dafür SED-Mitglied. Doch viel publiziert hat Bernard, der ab 1984 eine Professur für marxistisch-leninistische Soziologie innehatte und Vorlesungen zu Arbeits-, Industrie- und Betriebssoziologie hielt, in dieser Zeit nicht. Seine Domäne waren vielmehr empirische Detailstudien in Betrieben. Ernüchternde Bilanz seiner Professur: Ein einziger Student schaffte es bis zur Promotion. "Bernhard konnte Studenten nicht über einen langen Zeitraum intellektuell anregen", erinnert sich eine ehemalige Promovendin, die ihre Dissertation bei Bernard nach kurzer Zeit hingeworfen hatte.

Die Professur verdankte der Vater dreier Töchter einer gehörigen Portion Pragmatismus und Glück. Auch seine Tätigkeit als Sekretär einer SED-Abteilung dürfte ihm dabei nicht geschadet haben. Konzentriert hat er sich in seiner Arbeit auf Forschungsthemen, die unter Soziologen unbeliebt, politisch aber erwünscht waren. Und seine Habilitationsschrift konnte er just in dem Moment vorweisen, als die Institutsdirektion neu besetzt wurde.

Nach der Wende offiziell abgewickelt, blieb er als Vertretungsdozent bis 1994 dennoch weiterbeschäftigt. 1993 wurde er sogar zum Ausländerbeauftragten seines Institutes ernannt - weil er sich immer so verständnisvoll um die ausländischen Studenten gekümmert haben soll, wie eine Leipziger Zeitung damals berichtete. Den Job verlor er allerdings, als seine Kollegen und Studenten im Mai 1993 von Bernards Wahl zum Vorsitzenden der sächsischen Republikaner erfuhren. Davor hatte er sich Medienberichten zufolge um eine Mitgliedschaft in der SPD bemüht, jedoch ohne Erfolg. Begründung: sein Engagement in der SED, das er auch nach der Wende in der "sozialdemokratischen Plattform" der Nachfolgepartei fortsetzte.

Bei den Wahlen 1994 setzten ihn die sächsischen Republikaner auf Platz eins ihrer Landesliste. Er bewarb sich auch um ein Bundestagsmandat. "Aus den Hinterzimmern" wollte der Professor die Schmuddelpartei herausholen, erklärte er damals, "weil diese zu klein werden". Pech hatte er nur mit der Fünf-Prozent-Hürde. Es wurde still um Bernard, der jetzt öfter auf den Fluren des Leipziger Arbeitsamtes saß. "Später war ich freier Journalist und habe für Fernsehreportagen recherchiert", sagt er. Doch für welchen Sender er gearbeitet hat, verrät er nicht.

Seit Februar ist Bernard DVU-Mitarbeiter. Eingetreten sei er in Freys Partei nicht, versichert Bernard. Nach Motiven für seinen neuen Job befragt, bemüht er Floskeln: "Sie können auch bei Krupp arbeiten, ohne Stahlwerker zu sein." Während der Plenarsitzungen soll Bernard, so PDS-Pressesprecher Thomas Drzisga, öfter auf den Pressebänken sitzen. Den Zugang ermöglicht dem einstigen freien Journalisten ein vom Deutschen Journalistenverband (DJV) ausgestellter und noch gültiger Presseausweis.

Seit Bernard in der Fraktion mitarbeitet, urteilt Matthias Gärtner, sei die DVU-Politik zwar seriöser in der Wortwahl geworden, inhaltlich aber so flach wie eh und je. "Die DVU trägt nach wie vor die Hohlformeln ihres Wahlprogrammes ins Parlament", sagt er. So fordere sie, etwas gegen die Darstellung von Gewalt im Fernsehen zu tun - eigene Gesetzentwürfe jedoch bringe sie nicht ein. In der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik fehlten eigene Ansätze völlig. "Die DVU verweist entweder auf die CDU oder sie lehnt eigene Redebeiträge unter irgendwelchen Vorwänden ab."

Der Soziologe Bernard bringt sein Uni-Wissen ein. Was auch Gärtner bestätigt: Er verleihe der DVU eine neue Sprache. "Die DVU hat erkannt, daß sie mit der Radau-Politik ihres Fraktionschefs nicht weit kommt und versucht es jetzt auf die seriöse Art." Formulierungen wie "Höppner-Regime", "Kommunistenpack" oder "sexuelle Abartigkeit" - von DVU-Fraktionschef Helmut Wolf noch gebraucht - fielen jetzt nicht mehr. Statt "Asylanten" heißt es neuerdings sogar "Asylbewerber". Und in den Reden von DVU-Abgeordneten fänden sich plötzlich dem einstigen Soziologieprofessor und SED-Funktionär so wohlvertraute Begriffe wie "Nato-Aggression" und "US-Imperialismus".

Die rechte Antwort auf den sozialdemokratischen Ministerpräsiden Reinhold Höppner? Angesichts Bernards sozialdemokratischen Sehnsüchten zu Beginn der neunziger Jahre könnte man das fast meinen. In ihren Anfragen jedenfalls fordert die Fraktion die von der PDS geduldete SPD-Regierung immer öfter dazu auf, Definitionen und Statistiken über rechte und linke Gewalt, die rechte und die linke Jugendszene in Sachsen-Anhalt vorzulegen. Die Handschrift des Soziologen macht sich bemerkbar. Neulich wollte seine Fraktion sogar wissen, wie die Landesregierung "Zugewanderte" definiert.