Vornehme Zeugen

Die Bundeswehr zeigt neues Traditionsbewußtsein: Das nächste öffentliche Gelöbnis in Berlin wird am 20. Juli stattfinden

Im nachhinein wirkt es wie ein ärgerlicher Lapsus des damaligen Verteidigungsministers: Volker Rühe (CDU) hatte das letzte öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin auf den 10. Juni 1998, den Jahrestag des Massakers von Lidice, terminiert. Das veranlaßte damals den Sprecher der oppositionellen Grünen, Jürgen Trittin, zu der auf der Gelöbnix-Kundgebung vorgetragenen schneidenden Kritik, die Bundeswehr stelle sich in die Tradition der Wehrmacht. Und überhaupt: "Wer öffentliche Gelöbnisse veranstaltet, muß sich selbst über Rechtsradikale und Neonazis in der Armee und der Gesellschaft nicht wundern."

Daß dies vom heutigen Bundesumweltminister so ganz ernst nicht gemeint war, zeigt sich jetzt, ein gutes Jahr später. Denn nun schickt sich die rot-grüne Regierung an zu demonstrieren, wie einfach es gewesen wäre, ein vorbildliches öffentliches Gelöbnis zu inszenieren. Am 20. Juli, dem Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler, soll der dritte Anlauf, eine solche Veranstaltung in der Hauptstadt außerhalb von Kasernenmauern durchzuführen, ein Erfolg werden. Die Feierlichkeit der ersten beiden Versuche 1996 und 1998 war inmitten robuster Polizeikessel nicht recht zur Geltung gekommen.

Dieses Mal jedoch fühlt man sich moralisch in doppelter Hinsicht abgesichert: einerseits durch die kalendarische Bezugnahme auf den Widerstand gegen den Tyrannen und andererseits durch die partielle Verantwortlichkeit einer sich ehedem pazifistisch gebenden Partei. Angelika Beer, der verteidigungspolitischen Sprecherin der Grünen, blieb es vorbehalten, am 24. Juni im Bundestag dieses Gelöbnis als "Ausdruck eines neuen Traditionsverständnisses" zu begrüßen, womit nun endlich "an den Widerstand gegen Hitler" angeknüpft werde.

Zu einem Zeitpunkt, da die Truppe im Amselfelde steht, haben die Grünen nicht nur mit militärischen Zeremonien ihren Frieden gemacht, sondern auch das Wirken jener nationalkonservativen Eliten für sich entdeckt, die sich in der Endphase des "Dritten Reichs" zum Widerstand gegen das Naziregime entschlossen hatten. Bis mindestens 1938 war aus jenen Kreisen eine weitgehende Übereinstimmung mit der faschistischen Politik festzustellen. Dies betraf die rassistische Ausgrenzung der Juden, die Verfolgung der innenpolitischen Gegner und erst recht die Aufrüstungspolitik und die damit verbundene Machtstellung Deutschlands.

Bezeichnenderweise kam es in diesem Jahr zur ersten ernsthaften Krise, als Generalstabschef Ludwig Beck die Machtstellung durch Hitlers auf einen Krieg zusteuernde Politik gefährdet sah. Als Konsequenz trat Beck zurück. Bis weit in den Krieg hinein hatten viele der "Männer des 20. Juli" - wie etwa Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder Henning von Tresckow - an der Führung des Vernichtungskriegs an der Ostfront wenig auszusetzen oder wenn doch, hinderte sie dieses nicht daran, den unter der Parole der Bandenbekämpfung durchgeführten Mord an der Zivilbevölkerung zu dulden oder gar mitzutragen.

In etlichen Denkschriften des konservativ-militärischen Widerstands wurde auch von der Existenz einer "Judenfrage" ausgegangen, die einer - wenn auch weniger mörderischen als es der Fall war - Lösung bedürfte. Nicht jedem ist es gegeben, wie Joachim Fest in der teilweisen Interessenidentität von national-konservativem Widerstand und Nazis eine besondere Perfidie der Geschichte zu erkennen, die die Entschlußkraft der Betroffenen zunächst lähmte und gegenüber der Nachwelt dann die Schwierigkeit mit sich brachte, ihre an sich redlichen Absichten geltend zu machen.

Mag die Abscheu angesichts der verübten Verbrechen auch eine Rolle beim Entschluß zum Attentat gespielt haben, ein wesentliches Motiv blieb bis zuletzt der Wunsch, Deutschland - wie Stauffenberg es noch in einer am 20. Juli 1944 im Bendlerblock zurückgelassenen Denkschrift formulierte - als "einen im Spiel der Kräfte einsetzbaren Machtfaktor" zu erhalten. Und das war nur noch ohne Hitler zu erreichen.

Das Mißlingen des Staatsstreichs bezahlten die meisten der Beteiligten mit dem Leben. Spätestens mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reichs begann für die militärischen Widerständler die posthume Karriere als Repräsentanten eines "anderen, besseren Deutschland". Nicht daß ihre Tat nach dem Zusammenbruch einhellige Zustimmung erfuhr. Gerade in Kreisen ehemaliger Wehrmachtssoldaten, die in den fünfziger Jahren das Personal für die neu gebildete Bundeswehr stellten, haftete ihnen noch lange das Odium des Landesverräters und Eidbrechers an. Bedeutsam aber wurde die Legende vom "anderen Deutschland" für jene Eliten, die daraus die moralische Legitimation, in, mit und für Deutschland wieder Staat machen zu können, abzuleiten trachteten und so den moralischen Bankrott der politischen Klasse zu kaschieren hofften.

Stauffenberg & Co. wurden zu reinen Seelen stilisiert, die dem in Hitler verkörperten absolut Bösen, sobald sie es erkannt hätten, resolut widerstanden. Jene Licht-im-Dunkel-Phraseologie bildete sich heraus, die von nun an noch jede Gedenkrede prägte. Unter den Bedingungen des Kalten Krieges konnte es dann auch in den späten fünziger Jahren gelingen, das Attentat totalitaristisch gewendet der Traditionsbildung der neuen Bundeswehr einzufügen. Ausgerechnet Adolf Heusinger, der am 20. Juli 1944 als Chef der Operationsabteilung im Führerhauptquartier just in dem Moment das Wort führte, in dem die Stauffenberg-Bombe detonierte, erließ 1959 als erster Generalinspekteur der Bundeswehr einen Tagesbefehl für die Truppe, der dieser das ehrende Gedenken der Attentäter, der "vornehmsten Zeugen gegen die Kollektivschuld Deutschlands", vorschrieb.

Auch wenn der militärische Widerstand in der Folgezeit für die Bevölkerung in Deutschland nie die Bedeutung erreicht haben mag, die viele politische Gedenkredner für angebracht hielten, dürfte es kaum einen Personenkreis geben, dem von der Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit vergleichbare Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Man will offenbar die Tiefe jener Gewissensqualen ausloten, die es gestatteten, im täglichen Handwerk Tausende zu ermorden, nach Feierabend aber den Einsatz einer Waffe gegen den Vorgesetzten zu untersagen.

Insofern ist das nun für den 20. Juli 1999 in Berlin angesetzte Zusammentreffen von Stauffenberg und Verteidigungsminister Rudolf Scharping nicht unpassend: der gescheiterte Tyrannenmörder und der sich in dessen Tradition sehende Aufrufer zum Tyrannenmord. Mit dem Gelöbnis am Bendlerblock wird auch eine öffentliche Machtdemonstration im Zeichen der aktuellen moralisch frisierten Interessenpolitik gegeben werden. Bereits 1994 wurde in der Information für die Truppe der militärische Widerstand gegen Hitler mit den künftig anstehenden militärischen Aufgaben der Bundeswehr folgendermaßen zusammengebracht: "Humanität und Rechtsstaatlichkeit dürfen sich nicht auf das eigene Land beschränken. Die Menschen in Krisen- und Kriegsgebieten haben ebenfalls Anspruch auf menschenwürdige Lebensbedingungen. Rolle und Auftrag der Bundeswehr haben sich auch an diesem hohen Ziel auszurichten. (...) Die hervorragenden, tapferen Soldaten des militärischen Widerstandes gegen Hitler und sein Regime nehmen uns mit ihrem Opfermut, ihrer Tatkraft und ihrem Gehorsam in die Pflicht."