Slobo on the Run

Die serbische Allianz für den Wechsel setzt auf das Bündnis mit dem Westen. Den nötigen Rückhalt versprechen sich die Marktwirtschaftler von der serbisch-orthodoxen Kirche, frustrierten Armeereservisten, der arbeitslosen Bevölkerung in den Industriestädten und den ausländischen Medien.

Dimitrij Rupel und Miomir Zuzul wissen, wovon sie reden. In der Washington Post gaben die Botschafter Sloweniens und Kroatiens in den USA letzte Woche zu Protokoll, welchen Weg die serbische Opposition ihrer Meinung nach einschlagen sollte. "Slowenen und Kroaten haben ihre Wahl schon vor einer langen Zeit getroffen: Demokratie, Marktwirtschaft, Nato und Europäische Union." Serbien müßte sich nur bereit erklären, "die Verhaltensregeln der westlichen Welt" zu akzeptieren, dann würden auch die Regierungen in Zagreb und Lublijana wieder freundschaftliche Beziehungen zu Belgrad aufnehmen.

Und noch einen Tip hatten die beiden Botschafter parat. "Slowenen, Kroaten und andere Völker im früheren Jugoslawien wissen schon längst, wofür der Westen acht Jahre gebraucht hat: Slobodan Milosevic und sein chauvinistisches Regime sind schlechte Partner für Frieden und Wohlstand."

Wohl der einzige Ratschlag, den die serbischen Oppositionellen nicht mehr nötig haben. Denn so diffus die politischen Bündnisse auch sind, die seit Ende Juni in verschiedenen Städten des Landes erfolgreich zu Demonstrationen aufgerufen haben, eint sie doch eine Forderung: Milosevic muß weg. Ob in Cacak, wo Ende Juni Reservisten der jugoslawischen Armee als erste gegen den jugoslawischen Präsidenten auf die Straße gingen, in Prokuplje, Kursumlija oder Uzice: In den südserbischen Industriestädten formierte sich der Protest gegen Milosevic und seine Sozialistische Partei (SPS) zuerst.

So auch in Leskovac, bis zuletzt eine Hochburg der Milosevic-Sozialisten: Als hier Reservisten der jugoslawischen Armee am Montag letzter Woche die Zahlung ihres Soldes einforderten, machten sie auch vor der Parteizentrale der Jugoslawischen Linken nicht halt. Im Leskovacer Büro der von Mira Markovic, Milosevics Frau, geführten Partei, schlugen die Demonstranten die Einrichtung kurz und klein. Kurz darauf nahmen die serbischen Behörden einen Techniker der lokalen Fernsehstation fest, weil er die Übertragung eines Basketballspiels zwischen der deutschen und der jugoslawischen Nationalmannschaft mit einem Protest-Aufruf unterbrochen hatte. Am Dienstag dann stürmten Demonstranten das Polizeihauptquartier, um die Freilassung des Mannes zu erzwingen - und seiner Forderung nach Rücktritt Milosevics Nachdruck zu verleihen.

Weil sie dessen Macht in der Hauptstadt noch fürchten, hat die serbische Opposition ihren Protest zunächst auf die großen Industriestädte im Süden des Landes beschränkt. Hier sitzen Vertreter der Oppositionsparteien zum Teil schon seit Jahren in den Bürgermeisterämtern, hier ist der Unmut über den verlorenen Krieg am größten.

"All unsere Städte wurden bombardiert, besonders die, in denen die Opposition am größten ist", beklagt sich etwa Zoran Zivkovic, Bürgermeister von Nis, 200 Kilometer südöstlich von Belgrad gelegen. Wie in Novi Sad und Sombor hat auch der Rat von Nis in einer Resolution den Rücktritt Milosevivcs gefordert. Eine nahliegende Entscheidung, schließlich zählt Zivkovic zu den Führern der Allianz für den Wandel, dem großen Anti-Milosevic-Bündnis. Eine Million Dollar will er haben, um die Ölversorgung in Nis für den Winter sicherzustellen. Wer zahlen soll, ist für ihn klar: Europäische und US-amerikanische Patenstädte müssen her, um den Wiederaufbau nicht nur in Nis, sondern in allen größeren Städten Serbiens mitzufinanzieren. "Eine angemessene Forderung", meint Zivkovic. Schließlich habe die Nato 50 Millionen Dollar am Tag ausgegeben, um Serbien zu bombardieren. Da könnten sich die "westlichen Demokratien schlecht herausreden. Erst bomben und töten sie dich, und dann wollen sie beim Wiederaufbau nicht helfen? Das geht nicht."

Eine Haltung, exemplarisch für die Führer der über dreißig Parteien starken Allianz: "Ran an die Geldtöpfe des Westens" lautet die Devise - und zwar so schnell wie möglich. Am schnellsten ist dabei wieder einmal Zoran Djindjic, Vorsitzender der Demokratischen Partei. Weil er den Rücktritt Milosevics schon für diese Woche nicht mehr ausschließen will, drängt er wie kein anderer auf die Bildung einer "Expertenregierung", die für eine Übergangsphase die Amtsgeschäfte übernehmen soll.

Bizarre Bündnisse: Ernannt werden soll die Übergangsregierung nach Wunsch Djindjics von Dragoslaw Avramovic, dem ehemaligen Gouverneur der serbischen Nationalbank. Das zumindest verriet er jetzt dem Spiegel. Noch vergangene Woche hatte sich Djindjics dafür ausgesprochen, Vertreter der serbisch-orthodoxen Kirche mögen sich um die Zusammenstellen der von ihm herbeigeredeten künftigen Regierung kümmern. Nachdem mehrere Bischöfe Milosevic persönlich für "das Böse im Kosovo" verantwortlich gemacht haben, sucht der prominenteste Führer der Allianz imer noch den Schulterschluß mit allen Kräften, die - aus welchen Motiven auch immer - gegen die Herrschaft der Milosevic-Sozialisten sein könnten. Um die zwei wichtigsten Instrumente seiner Herrschaft - den Polizeiapparat und das staatliche Fernsehen - unter die Kontrolle der Opposition zu bekommen, wildert Djindjic in allen Revieren. Vor allem den nationalistischen. Schließlich hat der einst mit dem bosnisch-serbischen Nationalisten Radovan Karadzics verbandelte Politiker hier die besten Kontakte.

Am Wochenende legte Djindjic noch einen Zahn zu. Die zunehmenden Demonstrationen könnten in einen Bürgerkrieg umschlagen, propagierte der Oppositionelle in deutschen Medien. Djindjic: "Wir werden Widerstand leisten, auch wenn die Sozialisten mit Waffen gegen uns vorgehen." Eindeutige Signale auch von der anderen Seite: Ein Militärgericht in der serbischen Stadt Uzice verurteilte Gorad Vesic, einen engen Mitarbeiter Djindjics, wegen Wehrdienstverweigerung zu einer zweijährigen Haftstrafe. Eine ähnliche Verurteilung droht auch Djindjic selbst, weil er sich während des Krieges nach Montenegro zurückgezogen hatte.

Vorsichtiger als Djindjic geht sein wichtigster Gegenspieler, Vuk Draskovic, der Chef der Serbischen Erneuerungsbewegung (SOP), vor. Er hat sich nicht auf die Ablösung Milosevics festgelegt, sondern fordert lediglich eine "legale Reform" der Regierung - sprich die Wiederaufnahme in das Bündnis mit Milosevic. Die Chancen, dafür mit mehr Ministerposten belohnt zu werden als nach seinem Rausschmiß im April, stehen gut für Draskovics Partei. Nicht nur hat seine Erneuerungsbewegung den Bürgermeisterposten in Belgrad inne, sie stellt darüber hinaus mit 45 Abgeordneten die drittstärkste Fraktion im serbischen Parlament. Nur Milosevics Sozialisten und die Radikale Partei von Vojislav Seselj sind stärker.

Doch auf den Straßen des Landes werden die Karten neu gemischt. Ein Grund, weshalb die Allianz für den Wandel zunächst nur eines will: Neuwahlen, die am besten noch vor dem Winter abgehalten werden sollen. Die nötigen Kandidaten für den Wechsel stehen schon bereit. Neben Djindjic, der mit seiner Forderung eines Generalstreiks auf die Unterstützung der Gewerkschaften setzt, ist es zunächst einmal der Ex-General Vuk Obradovic, der dem Bündnis den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung sichern soll.

Waren es doch vor allem Reservisten der jugoslawischen Armee, die nach dem Rückzug der Truppen aus der südserbischen Provinz die Proteste Ende Juni lostraten. Milosevic werfen sie nicht so sehr vor, den Krieg im Kosovo geführt - als vielmehr ihn verloren zu haben. Eine weitverbreitete Stimmung in Serbien, die sich vor allem der Vizepremier Seselj zu nutze machte. Doch im Gegensatz zu dem Ultranationalisten, der trotz seiner Rücktrittsankündigung während des Krieges weiter mit Milosevic regierten, fordert Obradovic dessen Ablösung - aus nationalistischen Gründen. "Er muß gehen", rief er den Demonstranten auf der ersten Nachkriegskundgebung in Cacak zu, "und zwar schnell: Sonst werden wir nur neues Unglück erleben."

Dabei ist Milosevic seit Kriegsende gar nicht so weit von den Annäherungsversuchen Djindjics und seiner Partner an den Westen entfernt. Den Wiederaufbau verspricht auch er zügig voranzubringen - und die Zusammenarbeit mit der EU wieder aufzunehmen. Keine guten Voraussetzungen für ein alternatives Oppositionsprogramm - auch die Allianz rekrutiert ihr Führungspersonal aus früheren Kadern Milosevics.

Darunter auch der jetzt von Djindjic ins Gespräch gebrachte ehemalige serbische Nationabankchef Avramovic, der sich Mitte der neunziger Jahre den Ruf des "Bändigers der Hyperinflation" eingeholt hat. Die Neue Zürcher Zeitung schätzte ihn letzte Woche als "populärste Figur der sich neu formierenden Opposition" ein, der Londoner Economist sieht in Avramovic gar "die beste Wahl, eine Übergangsregierung von Technokraten" anzuführen. Einziges Problem: Der "Uropa der Oppositionsbewegung" ist schon über achtzig Jahre alt. Was die Chancen für Djindjic, die Nachfolge Milosevics anzutreten, einmal mehr erhöhen könnte: Eine Expertenregierung fordert auch er - und die von ihm angekündigten "Demonstrationen Tag für Tag und in jeder Stadt" dürfte er mit seinen 47 Jahren ebenfalls besser durchstehen als Avramovic.