Der Anti-Milosevic-Block

Karrieristen-Kaste

Slobodan Milosevics Anhänger, hauptsächlich Rentner und Angestellte, sind sich sicher: Die Proteste gegen das Regime des jugoslawischen Präsidenten sind eine Nato-Waffe mit Zeitzünder.

Dabei gibt es genügend Gründe, um auf die Straße zu gehen: Ein Jahrzehnt des Zerfalls Jugoslawiens liegen hinter den erschöpften Bürgern, und sie wissen immer noch nicht, warum ihr Land gegen ihren Willen zerbrochen ist. Sie leben wirtschaftlich und kulturell abgeriegelt von der Welt, ganze Generationen von Jugendlichen ist Europa völlig unbekannt, und, noch schlimmer, sie besitzen keine Perspektive.

Das Land ist durch Nato-Angriffe brutal zerstört, die Industrie stillgelegt, die Umwelt und mithin die Landwirtschaft sind durch noch nicht absehbare ökologische Folgeschäden gefährdet. Im Lande leben 700 000 Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina, aus dem Kosovo sind schon 140 000 gekommen, am Ende werden es eine Viertel Million sein. Das Land muß über eine Million Rentner und eineinhalb Millionen Arbeitslose versorgen. Das Ausbleiben der humanitären Hilfe für fliehende Serben, Roma und die anderen verschlimmert die ohnehin prekäre finanzielle Situation. Hinzu kommen Schadensersatzansprüche über rund 100 Milliarden Dollar, die Bosnien-Herzegowina und Kroatien gegenüber Jugoslawien erheben. Die weitere Isolierung und gleichzeitige Zerstückelung des Landes wird angekündigt,

Der unverblümte Aufruf des Westens, Milosevic zu stürzen, treibt alle möglichen Karrieristen aus den Löchern, die auf der Woge der Unzufriedenheit nach oben kommen wollen. Zoran Djindjic signalisiert dem Westen, daß er genug Macht und Ansehen habe, damit die Proteste nicht in einen Bürgerkrieg münden; der Parteienblock, in dem er der im Westen angesehenste Politiker ist, sei sich einig.

Daß dieser Block nicht einig ist, beweist die Tatsache, daß die meisten der versammelten Parteien mehr oder weniger dieselben vagen Programme haben und sich bestenfalls durch den unterschiedlichen Grad an Karrierismus ihrer Führer unterscheiden. Es ist nicht zu übersehen, daß an diesen Protesten viele extreme Rechte teilnehmen und daß Herr Djindjic auch dieser Szene das Image der demokratischen Opposition verleiht. Dabei handelt es sich unter anderem um Tschetnik-Gruppen. Deren Versuche, den Sturz des Regimes herbeizuführen, haben viel mit geschichtlichen Feindbildern und wenig mit den Ideen einer modernen Demokratie, geschweige denn der Zivilgesellschaft, zu tun.

Jene Bürger, die sich nach einer vernünftigen Reform unserer Gesellschaft sehnen, erwarten die Bildung eines neuen politischen Zentrums, das fähig ist, die dafür erforderlichen Schritte sensibel und durchdacht durchzuführen. Die neue Haltung Vuk Draskovics, der sich immer seltener seiner politisch unklugen Metaphern bedient, und das relativ entspannte Verhalten der regierenden Sozialisten deuten darauf hin, daß eine große Koalition gemeinsam mit Milo Djukanovic die erwünschten Reformen bis zum Herbst schaffen wird.

Viele Bürger werfen der neuen Protest-Koalition unter Djindjic vor, daß sie die Frage nach den Nato-Verbrechen verschleiert. So ist es an Zynismus kaum zu überbieten, wenn der Leiter des Umweltausschusses der Demokratischen Partei von Djindjic erklärt, daß das Belgrader Regime seinen Bürgern die ökologischen Folgen des Kriegs verheimlichen würde. Daß diese Kriegsfolgen ein Werk der Nato sind, daß ihre Urheber vor das Haager Tribunal gehören, wird von ihm mit keinem Wort erwähnt. Keinem einzigen westlichen Politiker wird vorgeworfen, daß er während des Krieges über die Zerstörung höchst gefährlicher Industrieanlagen geschwiegen hat - obwohl die Grünen aus Belgrad vor einer ökologischen Katastrophe gewarnt haben, die anschließend auch eingetreten ist.

Dies schwächt eine zivilisatorische Leistung der jüngsten Geschichte: Das Entstehen eines neuen Bewußtseins, das sich die notwendigen Frage nach den Kriegsverbrechen stellt. Der Mut, darüber zu sprechen, hat zwar zugenommen, allerdings ohne daß Konsequenzen daraus gezogen werden. Das schadet am Ende der Entwicklung eines neuen internationalen Strafrechts. Eins ist aber sicher. Das Haager Tribunal wird die Zukunft unseres Land entscheidend beinflussen.

Branka Jovanovic ist Vorsitzende der Neuen Grünen Partei Jugoslawiens