Goldene Hakenkrallen

Weil aus dem baldigen Ende der Atomenergienutzung nichts wird, setzt Rot-Grün auf Imagepflege für Kernkraftwerke. Die Bundesanwaltschaft pflegt mit

Drohte endlich der Show-Down? Sollten die Grünen doch auf Konfrontation gehen? Nein, zu unwahrscheinlich klang, was da angekündigt wurde: "Grüne legen sich erstmals fest." Und weiter: Bundesumweltminister Jürgen Trittin will die Gesamtbetriebszeit jedes Atomreaktors auf 25 Jahre beschränken. Folgerichtig würde das letzte deutsche AKW im Jahr 2014 vom Netz gehen.

Doch was die Berliner Zeitung am Mittwoch letzter Woche als grüneninternen Entwurf für eine Einigung zwischen Regierung und Energiewirtschaft ins Gespräch brachte, war so richtig neu nicht. Besser gesagt: Der Entwurf war bereits dermaßen abgehangen, daß er die durchschnittliche Halbwertszeit grüner Regierungsinitiativen schon hinter sich gelassen hatte. Trittin ließ den Ausstiegsplan, der vom 21. Juni dieses Jahres datierte, denn auch sofort als "veraltet" erklären. Hatte also mal wieder jemand aus Trittins Reihen gegen den Minister intrigiert? Der jedenfalls betonte noch am selben Tag, eine 25jährige Laufzeit sei zwar "wünschenswert, aber nicht erreichbar".

Nun soll sich Trittin in den nächsten sieben Wochen überlegen, was künftig als "erreichbarer" Kompromiß zwischen Atomindustrie und Regierung verkauft werden soll. Bis zum 30. September muß eine Arbeitsgruppe unter Federführung des Umweltministeriums prüfen, wie ein gesetzlicher Ausstieg ohne Entschädigungsansprüche zu bewerkstelligen sein könnte - gegebenenfalls auch nicht im Konsens mit den Industriellen. Die Erkundung von Endlagerprojekten, worüber sich der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller bereits mit der Industrie in einem Eckpunkte-Papier geeinigt hat, steht demnach neu zur Disposition.

Das fröhliche Feilschen um die Zukunft der Atommeiler kann also weitergehen. Im Umgang mit den Gefahren legt Rot-Grün dabei eine Art neue Leichtigkeit an den Tag. Alles atompolitische und atomaufsichtliche Handeln des Staates wird in den Gesprächen mit den Konzernen zur Verhandlungsmasse. Nicht mehr von den Betreibern soll etwa der Entsorgungsvorsorgenachweis erbracht werden, sondern Umwelt- wie Wirtschaftsminister geben die Zusage, das Atomrecht so zu verändern, daß die derzeitige Entsorgungsmisere künftig als Nachweis gilt.

Christoph Matschie (SPD), der Vorsitzende des Umweltausschusses, baut währenddessen eigentlich Selbstverständliches zu einer Drohkulisse auf, nicht ohne das Angebot, diese auch wieder abzubauen, falls noch vor der nächsten Wahl ein AKW vom Netz geht: "Bleibt die Atomwirtschaft bei ihrer Haltung, dann bin ich dafür, über andere Wege nachzudenken. Wir müssen dann überlegen, ob es nicht notwendig ist, die Deckungsvorsorge für Sicherheitsrisiken zu erhöhen. Oder ob es nicht notwendig ist, die Sicherheitsanforderungen noch einmal zu verstärken und die Brennstäbe zu besteuern."

Wer bisher noch glaubte, die Intensität staatlicher Atomaufsicht sei abhängig von den tatsächlichen Risiken, der wird jetzt eines Besseren belehrt: Als ob ein Reaktor heute sicherer würde, wenn die Betreiber versprechen, ihn in 25 Jahren vom Netz zu nehmen. Auf einer Tagung zum Atomrecht kommentierten letzte Woche in Bonn selbst führende atomfreundlichen Juristen die Politik der Bundesregierung mit Aussagen wie: "Dann kann man das Regieren ja gleich den Konzernen überlassen."

Unterdessen tut die Regierung alles, um die gesellschaftliche Akzeptanz der Atomenergie zu steigern. Schließlich hatte sich die fundamentale Opposition gegen diese Technologie und auch die Forderung nach einem Sofortausstieg mit dem nicht eingrenzbaren Restrisiko und mit den möglichen Folgen für kommende Generationen begründet. Wenn diese Risiken plötzlich zur Verhandlungsmasse werden, wenn der Ausstieg keinen Pfennig kosten darf, wenn als Entsorgung schon genügt, den strahlenden Müll in irgendwelche Hallen zu stellen, und wenn dies alles von Politikern betrieben wird, die sich noch immer frech Atomkraftgegner nennen, dann - so die untergründige Botschaft - kann ja alles nicht so gefährlich sein.

So wird es wohl weiterhin an den außerparlamentarischen Gruppen liegen, das Atomprogramm zum Kippen zu bringen. Nach dem offensichtlichen Scheitern der Grünen in ihrem Vorhaben, den "Einstieg in den Ausstieg" zu wagen, haben Atomgegner ein neues Konzept angekündigt: Mit einer "Verstopfungsstrategie" sollen die Energieversorger daran gehindert werden, mehr als zwei Atommülltransporte pro Jahr durchzuführen. Die Folge: Innerhalb kürzester Zeit müßten die Reaktoren reihenweise vom Netz genommen werden, weil deren interne Lager sonst überlaufen würden. Den grünen Regierenden drohen also Szenarien, die zur letzten Zerreißprobe werden könnten: Blockaden, Polizeieinsätze und Sabotageaktionen militanter Atomgegner. Was den Grünen einst als Gründungsessential diente, droht sich heute als radikalste Opposition gegen die Öko-Partei zu formieren. In Bonn reagierte man schnell auf das Bekanntwerden dieser Strategie: Künftig nimmt an den Ausstiegsgesprächen auch ein hoher Beamter des Bundesinnenministeriums teil.

Nicht ungelegen dürfte es auch gekommen sein, daß vergangene Woche Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) im Auftrag der Bundesanwaltschaft (BAW) erneut gegen vermeintliche militante Antiatom-Aktivisten vorgegangen sind. Gleich 13 "Objekte" ließen die Karlsruher Bundesanwälte am Dienstag durchsuchen.

Der Grund: Sieben "namentlich bekannte Personen" sind verdächtigt, 1996 und 1997 "an Sabotageaktionen auf das Schienennetz der Deutschen Bahn AG beteiligt gewesen und in Strukturen der 'Autonomen Gruppen' im Wendland und Berlin eingebunden zu sein". Um den Widerstand gegen Castor-Transporte zu stärken, hatten am 7. Oktober 1996 AKW-Gegner mit Hilfe von Hakenkrallen zeitgleich an zwölf Orten im Bundesgebiet den Zugverkehr unterbrochen. Vier Monate später wurden acht Bahnstrecken vorübergehend stillgelegt.

Nun will eine Arbeitsgruppe "Energie" der Wiesbadener Kriminalisten nach über zweijährigen Recherchen eine terroristische Vereinigung nach Paragraph 129 a Strafgesetzbuch ausgemacht haben, die sich durch die Aktionen des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr sowie anderer Straftaten schuldig gemacht haben soll. Zu den vermeintlichen "Rädelsführern" zählt die BAW den schon mehrfach kriminalisierten AKW-Gegner und Physik-Dozenten Fritz Storim. Dessen Hamburger Wohnung sowie Diensträume an der Bremer Universität wurden von BKA-Beamten heimgesucht. Ebenso Wohnungen und alternative Projekte im Wendland und in Berlin.

BAW-Sprecherin Eva Schübel sprach gegenüber der Jungle World von einem "Erfolg" der Operation "Goldene Hakenkralle". Schließlich seien "angesägte Gleisstücke, Kopien von Gleisplänen, Werkzeuge zur Lockerung von Schienengleisen sowie in Berlin Schutzwesten für Bahnarbeiter" beschlagnahmt worden. Von "Erfolgen" kann allerdings wohl kaum die Rede sein. Zwar hätten die Beamten in Berlin einen kleinen Lkw voll mit Computern und anderem privatem Hausrat mitgenommen, wie der Beschuldigte Hauke Benner berichtet, die roten Schutzwesten aber dürften wohl kaum als Beweismaterial taugen: "Allein während der Love Parade laufen Hunderte in solchen Jacken rum."

Allzuviel hat die BAW offenbar gegen die Beschuldigten nicht aufzufahren, für einen Haftbefehl jedenfalls reichten die Beweise nirgends aus. Der Berliner Rechtsanwalt Sven Lindemann spricht von einer "kläglichen Beweislage" und rechnet nicht damit, daß es zu Anklagen im Zusammenhang mit dem "Ermittlungsparagraphen 129 a" kommen wird.

Großes Interesse zeigten die Beamten dennoch für die Aktivitäten der Berliner Gruppe Anti-Olympia-Komitee (AOK). Die nämlich, so informiert die BAW, habe sich unter anderem "dem militanten Widerstand gegen Castor-Transporte" verschrieben. Ganz, als wollten die Bundesanwälte die Beschuldigten persönlich beleidigen, warfen sie ihnen vor, zum "Führungskader" autonomer Gruppen im Bereich Berlin zu zählen - wo die Autonomen doch auf kollektive Strukturen setzen.

Mehr als dem vagen Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung widmeten sich die BKA-Ermittler denn auch den tatsächlichen Aktivitäten des AOK. So wurden Plakate für ein antirassistisches Camp beschlagnahmt, das die Gruppe unterstützt. Was die Plakate mit den Hakenkrallen-Aktionen zu tun haben, wollte auch BAW-Sprecherin Schübel nicht erklären: "Dazu gebe ich keine Auskunft."