Schnelles Geld für den Bund

Scharping nutzt Zwänge des Kosovo-Einsatzes, um Krisenreaktionskräfte der Armee zu verdoppeln

Es ist schon ein Kreuz mit dem neuen Verteidigungsminister. Einst als Schlaftablette gedemütigt, will er es jetzt plötzlich richtig wissen. Überall prescht er vor, wohl deshalb ist der Pedaleur Rudolf Scharping neuerdings öfter mal bandagiert.

Unter Scharping als Hardthöhenchef dagegen leidet die Truppe. Beispielsweise bei den derzeit laufenden Kfor- und Sfor-Einsätzen im Kosovo und in Bosnien. Man mag es nicht glauben, doch der 340 000-Mann-Betrieb ist durch die Entsendung der gerade vom Bundestag abgesegneten 8 500 Mann ins Kosovo und der bereits in Bosnien stationierten 3 500 Mann auf lange Sicht überfordert.

Schließlich reicht es nicht, einmal 12 000 Soldaten auf den Balkan zu fliegen. Walter Kolbow, Verteidigungsexperte und Parlamentarischer Staatssekretär der Hardthöhe, rechnet damit, daß deutsche Soldaten mindestens drei bis fünf Jahre im Kosovo präsent sein müssen. Schließlich gebe es einen "unwahrscheinlichen Haß" unter den Kriegsparteien. Die Aussöhnung müsse militärisch flankiert werden. Andere Kenner der Region sprechen von Jahrzehnten, in denen Militär dort stationiert sein müßte. Die für die zunehmende Zahl von Auslandseinsätzen gedachten Krisenreaktionskräfte, die sich noch im Aufbau befinden, reichen dafür anscheinend nicht aus.

Deren Grenzen lassen sich leicht errechnen. Bislang wurden die Einheiten alle vier Monate abgelöst. Die für den Kosovo-Einsatz jährlich nötigen 36 000 Mann decken sich gerade so mit den zur Zeit bereits verfügbaren Krisenreaktionskräften. Eine mindestens einjährige Pause zwischen den Einsätzen kann künftig kaum noch sichergestellt werden. Bereits nach acht Monaten Nachbereitung und erneuter Einsatzvorbereitung müßte ein Kontingent erneut ins Krisengebiet. Rare Spezialisten wie Sanitäter, Pioniere oder auch Piloten würden noch öfter dran glauben müssen. Zudem hat der Minister UN-Generalsekretär Kofi Annan wohl als eine Geste guten Willens gegenüber den Vereinten Nationen 5 000 Bundeswehrsoldaten als abrufbare Eingreiftruppe für Notfälle versprochen. Derzeit müßte die Hardthöhe hier bei einer UN-Anfrage wohl passen.

Der Deutsche Bundeswehrverband erkannte das Problem recht früh. Angesichts eines drohenden Dauereinsatzes forderte der Vorsitzende Bernhard Gertz bereits im Mai, daß der Rahmen "kurzfristig zu vergrößern" ist. Von Scharping wurde eine Verdopplung der einst mit 50 000 Mann geplanten Krisenreaktionskräfte auf 100 000 Soldaten gefordert. Mit dem Trick einer Verlängerung der Einsatzzeit von vier auf sechs Monate, die zur Zeit von Militärs diskutiert wird, wäre das Problem nicht wirklich zu entschärfen.

Nun konnte auch Scharping an den Tatsachen nicht mehr vorbei. In einer Pressekonferenz forderte er vergangene Woche eine Aufstockung der Krisenreaktionskräfte. Es sei nicht möglich, bei einer Stärke der Kräfte von derzeit 35 000 Mann "dauerhaft" bis zu 13 000 Soldaten auf dem Balkan zu stationieren. Durch Vor- und Nachbereitung ihres Einsatzes seien mindestens 39 000 Mann nötig. Bei der jetzigen Stärke könnten die Soldaten eine solche Belastung "nicht lange tragen und durchhalten".

Daneben will der Minister auch die Ausrüstung modernisieren. Allein bei der Absicht wird es nicht bleiben. Bereits Ende Juni soll eine Arbeitsgruppe den genauen Finanzierungsbedarf für die angedachten Schritte errechnet haben. Schmissig, wie öfter in letzter Zeit, meinte der Minister, Deutschland könne nicht "außenpolitisch in der ersten Reihe spielen", sich sicherheitspolitisch jedoch am unteren Ende innerhalb der Nato befinden. Deutschland schicke die Leute in Einsätze, die ihr Leben kosten können, da habe die Armee "verdammt noch mal" einen Anspruch darauf, daß ihre Belange sorgfältig berücksichtigt werden.

Dieser offensichtliche Umbau zur Interventionsarmee wird Unsummen kosten, die in Zeiten der 30-Milliarden-Sparpakete des Finanzministers schwer zu begründen sind. Scharping präsentierte sich deshalb während seiner Pressekonferenz als der eigentliche Erfinder des Sparens. Er kündigte an, die Effizienz der Bundeswehr plötzlich steigern zu wollen - durch moderne Kostenrechnungsmethoden, die Privatisierung von Dienstleistungen und die künftige Bezahlung von Leistungen der Bundeswehr durch Dritte. So will er nicht dafür garantieren, daß die Versorgung von Zivilisten in Bundeswehrkrankenhäusern und bei Notfall-Einsätzen kostenlos blieben.

Selbst Katastropheneinsätzen könnte in Zukunft eine Rechnung der Hardthöhe folgen. Die bislang kostenlose Nutzung der Flugbereitschaft müsse überdacht werden. Sogar mit dem kurzfristigen Verkauf von Liegenschaften soll eine schnelle Mark gemacht werden. Eigentlich hatte Scharping versichert, derartige Veränderungen der Bundeswehr erst anzupacken, nachdem die von ihm gerade erst eingesetzte Bundeswehrstrukturkommission unter Richard von Weizsäcker im Herbst 2000 ihre Untersuchungen über eine neue Bundeswehr vorgelegt hat.

Jetzt legt er unter dem Druck des Kosovo-Einsatzes und der Sparforderung des Bundesfinanzministers Hans Eichel (SPD) von 3,5 Milliarden Mark im Verteidigungsetat 2000 und fünf Milliarden in den Folgejahren noch vor der Sommerpause des Parlaments selbst Hand an. Zwar wurden die Kürzungen in diesem Jahr angesichts des Kosovo-Einsatzes durch Finanzspritzen aus dem Einzelplan 60 aufgefangen, doch künftig könnte auch dieser zweite Geldhahn der Hardthöhe zugedreht werden.

Ein finanzielles Desaster ist absehbar. Schließlich führt der fürs außenpolitische Renommee von der neuen Bundesregierung so gewünschte Ausbau der Krisenreaktionskräfte erneut zu höherem Finanzbedarf. Die Einheiten kosten mit ihrer neuen Ausrüstung und der schnellen Verlegefähigkeit schlicht 20 Prozent mehr als die herkömmlichen Hauptverteidigungskräfte. Teuer werden das Transportflugzeug und die Aufklärungssatelliten, die die Hardthöhe für die neuen Missionen nun dringend fordert. Die Lebenserwartung der alten Transall-Flugzeuge endet 2007.

In das kaum noch aufzuhaltende Rüstungsräderwerk greifen nur wenige. Der SPD-Wehrexperte Volker Kröning etwa will fehlendes Geld locker machen, indem er die Bundeswehr auf 270 000 Mann abrüstet. Durch die Senkung der Personalkosten, so Kröning, könnte der Investitionsanteil für Rüstungskäufe endlich wieder auf 30 Prozent des Haushalts geschraubt werden. Und noch eine Abrüstungsstimme meldete sich unerwartet zu Wort. Nach all ihren Ja-Stimmen im Bundestag zur Entsendung der Krisenreaktionskräfte ins Kosovo und ihrer nochmaligen Verstärkung um 2 500 Mann will Angelika Beer nun künftig weniger Bundeswehrsoldaten für "internationale Friedenseinsätze" bereitstellen. Die Zahl der Bundeswehrbrigaden für Auslandseinsätze soll nach dem Willen der Grünenpolitikerin von drei auf zwei reduziert werden. Auch die Bundeswehr selbst müsse verkleinert werden, erst dann könnten Soldaten "optimal und sicher ausgerüstet sein". Ist das nun echte Schizophrenie oder wieder nur Politgelaber mit einer Halbwertszeit von 24 Stunden?