Die Macht kommt aus den Gewehrläufen

Das Ziel bleibt dasselbe, auch wenn der Gegner bald ein neuer sein könnte: Damit die Unabhängigkeit nicht in weite Ferne rückt, will die UCK Armee bleiben

Das war es dann wohl. Exrem Rexha, Anfang letzter Woche noch stolzer Kommandeur der Kosovo-Befreiungsarmee UCK, ist von seinen Kollegen am Wochenende kalt abserviert worden. Nachdem er dem Oberkommando der deutschen Kfor-Einheiten in der serbischen Provinz zugesichert hatte, daß die UCK-Kämpfer ab sofort keine Waffen mehr in der Öffentlichkeit tragen würden, schaßten ihn seine bewaffneten Freunde. So hatten sie sich das mit der Entwaffnung schließlich nicht vorgestellt: Rexha, teilte der Vize-Kommandeur der UCK, Sadik Halit Jaha, den verdutzten Medienvertretern letzten Freitag lakonisch mit, sei kein Kommandeur mehr. Ab sofort werde sich der Mann um den Aufbau eines eigenständigen Schulsystems im Kosovo kümmern.

Schnelles Ende einer militärischen Karriere: Wie Rexha erging es im letzten Jahr vielen der selbsternannten Helden für die Loslösung des Kosovo von Jugoslawien. Noch ehe man sich den Namen des neuesten UCK-Führungskaders auch nur merken konnte, war dieser schon wieder ersetzt durch einen anderen. Nicht nur einmal bereitete die verworrene Führungsstruktur der Separatisten den Diplomaten der Balkan-Kontaktgruppe Kopfzerbrechen. Der US-Balkan-Sondergesandte Richard Holbrooke brandmarkte die Kosovo-Polizeitruppe in spe im vergangenen Sommer als "terroristisch", seine Abfuhr für die Separatisten verband er mit der Aufforderung an die deutsche Regierung, die Spendenkonten der Bonner Kosovo-Exilorganisation sperren zu lassen. Fliegender Rollenwechsel: Kein Jahr später saßen die Mannen um den inzwischen aussichtsreichsten Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten der Provinz, Hashim Thaqi, in Washington US-Außenministerin Madeleine Albright gegenüber. Sie hoffe, teilte sie den Jungseparatisten mit, daß sie nun auch mit den langjährigen politischen Führern der Provinz zusammenarbeiten würden, "um das Kosovo wirklich demokratisch zu machen".

Doch die UCK ziert sich. Was vor allem Ibrahim Rugova vor Ausbruch des innerjugoslawischen Krieges nicht geschafft hatte - die Unabhängigkeit der Provinz auf die internationale Tagesordnung zu setzen -, den jungen Militärs war es in wenigen Monaten gelungen: Plötzlich fand sich auf der politischen Agenda der G 8-Staaten auch Platz für die Belange der Kosovo-Albaner - der bewaffnete Kampf hatte sich ausgezahlt. Auch politisch: Lange bevor die Nato durch ihre Bombardements serbischer Stellungen direkt in die Auseinandersetzungen eintrat, begann der Kampf um die politische Führung in der Provinz. Die Zeit für eine Sezession ohne Waffengang, die der als "Kosovo-Gandhi" titulierte Rugova jahrelang propagiert hatte, war abgelaufen. Seit letztem Sommer mischt die UCK an oberster Stelle mit, wenn es um die Zukunft des Kosovo geht. Rugova hingegen hat mehr und mehr an Ansehen verloren. Der Besuch der Thaqi-Leute bei Albright bildete nur den vorläufigen Höhepunkt der politischen Karriere der UCK.

Diesem Tag im März war ein Jahr der Entlassungen und Degradierungen in der Organisation vorausgegangen. Der Wandel von der schlecht bewaffneten Freischärler-Truppe, die ihren bewaffneten Kampf im Winter 1997 mit Anschlägen auf serbische Polizeistationen und kosovo-albanische "Kollaborateure" begonnen hatte, zu einer Armee mit politischem Führungsanspruch klappte nur zögerlich. So folgte ein offizieller Sprecher dem nächsten. Der prominenteste von ihnen, Adem Demaci, verließ die Truppe als letzter - nach dem allen Anzeichen nach von der Nato provoziertem Scheitern der Gespräche im französischen Rambouillet und der darauffolgenden Reise Thaqis nach Washington. Demacis Weigerung, das Rambouillet-Abkommen - und damit die Verschiebung der Unabhängigkeit - zu akzeptieren, beendete seine kurze politische Karriere. Zumindest vorerst.

Demacis Ausflug in die Führungsetage der UCK blieb ein kurzer. Vor seinem Aufstieg in die inzwischen als erstes Rekrutierungsbecken der Kosovo-Polizei gehandelte Separatistenarmee hatte Demaci wegen separatistischer Umtriebe 28 Jahre in serbischen Gefängnissen verbracht. Lange vor Rugova forderte er die Vereinigung des Kosovo mit Albanien. Als die inneren Auseinandersetzungen um die politische Macht in Pristina nach Beginn des Krieges letztes Jahr ihren Höhepunkt erreichten, setzte die UCK-Führung auf den großen Namen Demaci: Als Gegenspieler zu Rugova sollte er der einstigen Untergrundarmee endlich das ersehnte politische Profil geben.

Doch so schnell Demacis Aufstieg verlief, so schnell kam auch sein Abgang. Mit ihm dürften die Repräsentanten der erste Kosovo-Sezessionisten-Generation im Gerangel um die Führungsposten in der Nachkriegsverwaltung bald alle ausgeschieden sein. Rugova ist ohnehin diskreditiert, weil ihm die kosovo-albanischen Intellektuellen seinen gemeinsamen Auftritt mit dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic während des Krieges übel genommen haben. Zwar wird er noch gestützt durch den im Bonner Exil sitzenden "Ministerpräsidenten" Bujar Bukoshi, doch den für den Machterhalt nötigen Rückhalt dürfte von den führenden Nato-Staaten auf den anstehenden Balkan-Konferenzen nicht mehr erhalten.

Eine junge Generation von UCK-Kämpfern scheint sich durchgesetzt zu haben während des Krieges, die - frei vom ideologischen Ballast ihrer Vorkämpfer - den Vorgaben der G 8-Staaten pragmatischer folgen wird: Die Kontrolle über die Provinz werden auf Jahre hinaus Nato, EU und die internationalen Finanzinstitutionen inne haben. Mit ihnen müssen sich die Jungseparatisten gut stellen, nicht mit der Bevölkerung im Kosovo.

Auch das Verhältnis zur Unabhängigkeit wird so - vorübergehend - ein taktisches. Während Demaci auf die Fortsetzung seiner Karriere nach den für ihn unzureichenden Autonomiebeschlüssen von Rambouillet verzichtete, blieb Thaqi ganz oben mit dabei - und scheint nun den Segen Washingtons zu haben. Nicht zuletzt deshalb wird er als aussichtsreichster Kandidat einer künftigen Kosovo-Regierung gehandelt - und das, obwohl er gerade einmal 31 Jahre alt ist. Den Kampf, den Demaci und Rugova in den siebziger Jahren in Enver Hoxha-nahen Gruppen wie der Nationalen Befreiungsbewegung Kosova und der anderen albanischen Gebiete Jugoslawiens (LNCKVSHJ) oder der Kommunistischen Marxistisch-leninistischen Partei der Albaner in Jugoslawien (PKMLSHJ) fochten, kennt Thaqi nur aus den Geschichtsbüchern. Die Parole freilich, die noch im Frühjahr 1998 die Wahlplakate Demacis schmückte, dürfte auch ihm gefallen. "Die Unabhängigkeit des Kosovo kommt - aber nur aus den Gewehrläufen."

Die Erfahrung des - zunächst an der Universität in Pristina geführten - Kampfes um den Austritt aus dem jugoslawischen Staatsverband, die ihren ersten Höhepunkt während der Studentenproteste 1981 erreichte, teilt Thaqi nicht. Er begann seinen Kampf gegen die serbischen Institutionen erst, als von der in der Tito-Verfassung garantierten Autonomie für das Kosovo nicht mehr viel übrig geblieben war. Dafür machte er alle Wandlungen mit, die die UCK von der schlecht bewaffneten Freischärler-Truppe der Anfangsphase zur De-Facto-Bodentruppe der Nato während der Luftschläge durchlief. Daß dabei organisatorisch immer noch regelmäßig die Fetzen fliegen, meint zumindest Bukoshi: Noch vor zwei Wochen sprach er der Armee ab, überhaupt klare Befehls- und Kommandostrukturen zu besitzen. Abgesehen davon sei sie "sehr heterogen und darüber hinaus auch noch in sich zerstritten".

Kein Wunder. Denn bei der bald anstehenden Vergabe von Posten bei der Polizei und in der Verwaltung will niemand den kürzeren ziehen. Das einzige, was die UCK-Führung wirklich eint, ist ihr Ziel, das auch den Startschuß für den bewaffneten Kampf gegen den jugoslawischen Zentralstaat gab: die Unabhängigkeit. Daneben ist alles andere zweitrangig - was zählt, ist die Sezession von Jugoslawien. Die Zeit der Nato-Besatzung kann auf diesem Weg nur eine Zwischenetappe sein.

Das dürfte auch den Machtkampf erklären, der seit Beginn des Nato-Einmarschs in der - verfassungsrechtlich immer noch zu Serbien gehörenden - Provinz zwischen den verschiedenen Ebenen der UCK entbrannt ist. Schließlich fordern weiterhin zumindest Teile der UCK - in erster Linie die möglicherweise bald arbeitslosen Feld-Kommandeure -, daß die nach dem G 8-Plan zu "demilitarisierende" Truppe nicht nur in die Polizei, sondern auch in reguläre Armee-Einheiten überführt wird: Auch schweres Gerät will die Separatistentruppe deshalb behalten. Nicht umsonst hat sich die UCK im Februar um einen erfahrenen Sezessionisten bereichert: Neuer Oberkommandierender ist seitdem Agim Ceku, der als kroatischer General maßgeblich an der Vertreibung der serbischen Bevölkerung aus der kroatischen Krajina beteiligt war.

Warum auf Männer wie Ceku verzichten, wenn auch die Nato nicht die Sezession, sondern nur ein begrenztes Protektorat will? Für die Zeit nach dem Abzug der Kfor-Truppen jedenfalls braucht die UCK Leute wie Ceku - wer sonst sollte eine reguläre Armeetruppe führen? Polizeitruppen, schön und gut, werden sich viele Kämpfer jetzt denken - ein unabhängiges Kosovo kommt dadurch aber auch nicht näher. Letzten Endes kommt für viele von sie die Unabhängigkeit immer noch aus den Gewehrläufen. Selbst wenn in den vergangenen drei Monaten die Nato-Bomber ihren Teil dazu beigetragen haben sollten.