Arrivederci, America!

Die politische Gefangene Silvia Baraldini wird vermutlich aus den USA nach Italien überstellt - und könnte dort entlassen werden

Seit nunmehr fast 17 Jahren sitzt Silvia Baraldini wegen ihres Engagements für die schwarze Befreiungsbewegung in Gefängnissen der USA. Nach langwierigen Verhandlungen zwischen italienischen und US-amerikanischen Regierungsstellen und Justizbehörden soll Baraldini nun in Italien, das sie im Alter von 14 Jahren verlassen hatte, den Rest ihrer auf 43 Jahre bemessenen Strafe absitzen.

"Spätestens in einem Monat", berichtete Baraldinis Anwalt Grazia Volo vergangenen Mittwoch der Tageszeitung il manifesto, werde die Überführung nach Rom erfolgen. Dort besteht die Hoffnung, daß eine neuerliche Bewertung ihrer Haftstrafe durch ein italienisches Gericht zur baldigen Entlassung führt.

Baraldini, die in New York unter anderem als Dolmetscherin für das staatliche italienische Fernsehen RAI tätig war, hatte ihre politische Biographie unter dem Eindruck der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und des Vietnam-Kriegs begonnen. 1969 trat sie auf dem Campus von Madison in Wisconsin dem US-amerikanischen SDS (Students for a Democratic Society) bei. In den siebziger Jahren unterstützte sie nicht nur den Kampf der Schwarzen in den USA, sondern setzte sich auch für die Anti-Apartheids-Bewegung in Südafrika und den Unabhängigkeitskampf der Puertoricaner ein.

Noch vor der Befreiung Rhodesiens (des späteren Zimbabwe), nahm sie auf Einladung der Zanu, der Partei Robert Mugabes, als internationale Beobachterin an der Abstimmung über die Unabhängigkeit des Landes teil. Sie engagierte sich in der nach dem Geburtsdatum von Ho Chi Minh und Malcolm X benannten Gruppe 19. Mai, einer legalen Organisation der radikalen Linken in den USA.

Als im Oktober 1981 ein Geldtransporter der Firma Brink's überfallen und dabei zwei Polizisten und ein Wachmann getötet wurden, beschuldigte die Polizei die Black Liberation Army (BLA) des Anschlags. Da die BLA Verbindungen zur Gruppe 19. Mai hatte, gerieten auch deren Mitglieder ins Visier der Verfolgungsbehörden. Baraldini, die in einem Solidaritätskomitee für inhaftierte Militante der BLA mitarbeitete, wurde festgenommen und der "subversiven Vereinigung" beschuldigt. Nach einer Kautionszahlung wurde sie zwar einen Monat später wieder entlassen, wegen Beleidigung des Gerichts jedoch zu drei Jahren Haft verurteilt.

1983 begann der Prozeß wegen des Raubüberfalls auf Brink's. Die Justiz wendete auf die Angeklagten den Racketeer Influenced Corrupt Organizations Act (Rico) an - 1970 vom US-Kongreß gegen die Umtriebe der Mafia verabschiedet -, mit dem einzelnen Beteiligten keine individuelle Schuld mehr nachgewiesen werden mußte. Das Gericht befand Baraldini jedoch als im Sinne der Anklage für nicht schuldig.

In einem neuen Prozeß wurde ihr zur Last gelegt, an der Planung eines anderen Überfalls in Danbury, der jedoch niemals stattgefunden hatte, beteiligt gewesen zu sein. Insbesondere verdächtigte man sie der Beihilfe zum Ausbruch der bekannten schwarzen Aktivistin Joanne Chesimard, alias Assata Shakur, aus dem Gefängnis und zu deren Flucht nach Kuba. Baraldini wurde daraufhin 1984, nach dem Rico-Act wegen Beteiligung an illegal organisierten Umtrieben zur Höchststrafe verurteilt: Insgesamt erhielt sie eine Strafe von 40 Jahren; mit den drei Jahren wegen Justizbeleidigung also 43 Jahre. Eine erste Berufung vor dem New Yorker Bundesgericht wurde abgelehnt. Damit begann ihre Odyssee durch das Gefängnissystem der USA.

Da Baraldini jede Zusammenarbeit mit der US-Bundespolizei FBI ablehnte und keine Anzeichen von Reue zeigte - "Wenn ich in die Vergangenheit zurückgehen könnte, würde ich alles noch einmal genauso machen", sagte sie 1988 einem italienischen Journalisten -, unterlag sie einer besonders harten Behandlung im Hochsicherheitstrakt des Bundesgefängnisses von Lexington in Kentucky: Isolation, Schlafentzug und andere psychische Torturen waren dort an der Tagesordnung.

Immerhin mußte 1988 auf eine auch von amnesty international sowie der American Civil Liberties Union unterstützte Beschwerde der Gefangenen gegen die dortigen Haftbedingungen der Hochsicherheitstrakt auf richterliche Anordnung geschlossen werden. Nach der Auflösung des Trakts wurde Baraldini zunächst nach New York und von dort in den abgelegensten Knast der Vereinigten Staaten verlegt: in das Hochsicherheitsgefängnis von Marianna in den Sümpfen Floridas.

In der Zwischenzeit hatte sich in Italien eine rege Solidaritätsbewegung für Baraldini entwickelt. In den Centri Sociali Italiens wurden Solidaritätskonzerte veranstaltet. Die Rapgruppe AK 47 machte mit einem Text aus Nanni Balestrinis Roman "Die Unsichtbaren" den Namen Silvia Baraldini einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, und Hiphop-Formationen wie Lou X, Bisca/99 Posse, Africa Unite erinnerten mit ihren Liedern an Baraldini. Francesco Guccini nahm auf einer seiner Platten einen "Canzone per Silvia" auf. Bürgerkomitees für Baraldini entstanden vielerorts in Italien und setzten durch, daß sie - dem Beispiel Palermos und Venedigs folgend - in etwa 40 Gemeinden zur Ehrenbürgerin ernannt wurde. Verschiedene italienische Regierungen unternahmen fünfmal vergeblich den Versuch, von den USA eine Auslieferung der Italienerin zu erreichen.

1994 wurde Baraldini schließlich in das Gefängnis von Danbury in Connecticut verlegt, in dem ein weniger strenger Strafvollzug herrschte. Die USA jedoch blieben jahrelang gegenüber jedem Auslieferungsbegehren oder Begnadigungsersuchen unnachgiebig. Präsident William Clinton selbst wies indirekt darauf hin, warum dem so war. Gegenüber dem damaligen Ministerpräsidenten Romano Prodi soll er geäußert haben: "Warum macht uns Silvia die Sache nicht ein wenig leichter und beharrt nicht so starrsinnig auf ihren Standpunkten?"

In den letzten beiden Jahren ist Bewegung in die Angelegenheit gekommen. Die USA stehen wegen des letztjährigen Seilbahnunglücks von Cavalese, das einer ihrer Kampfpiloten verursacht hat, bei Italien in der Schuld; zudem haben sie bis vor kurzem das Land im Nato-Krieg gegen Jugoslawien als Flugzeugträger benutzt. Für die jetzt zustandegekommene Vereinbarung beider Staaten mag jedoch auch entscheidend sein, daß die derzeitige italienische Regierung, mit dem Kommunisten Oliviero Diliberto als Justizminister, in der Angelegenheit etwas bestimmter aufgetreten ist als ihre Amtsvorgänger. Die Überführung von Baraldini aus den USA in das römische Rebibbia-Gefängnis erfordert wohl noch einige formale Schritte. Im Juli wird jedoch mit ihrer Rückkehr nach Italien gerechnet. Und damit rückt auch ihre endgültige Befreiung näher.