Schreck, laß nach

Ein Widerspruch zum Aufruf grüner Exfunktionäre.

Öffentliche Stimmen gegen den Krieg der Nato in Jugoslawien sind selten, zumal die einstigen Friedensbewegten heute überwiegend qua Regierungs- oder Parteifunktion oder bloßer Gesinnung auf seiten der Kriegstreiberparteien stehen. Der Appell ehemaliger grüner Funktionsträger, "Stoppt diesen Krieg - sofort!", ist eines dieser seltenen Bekenntnisse (siehe rechte Spalte). Er fordert allerdings unseren Widerspruch heraus.

Bereits der erste Gedanke des Appells reproduziert den hilflosesten aller Kriegsgegnerschaftsgedanken der letzten Tage, die "Verletzung des Völkerrechts" seitens der Nato-Angreifer. Wer darüber lamentiert, dessen Kritik wäre obsolet, oder doch zumindest stark abgemildet, läge für den gleichen Vorgang - die Bombardierung Jugoslawiens - ein entsprechendes Mandat vor, wie beispielsweise pro forma im Falle des Golfkrieges 1991 und bei anderen Militärmissionen.

Wie wichtig ist den Appellanten eigentlich die Farbe des Helmes auf deutschen Soldatenköpfen? Dieses Rechtsargument kann mit Blick auf Vergangenheit und Zukunft nicht ungestraft verwendet werden, denn wenn die Uno nützlich ist, wird sie auch wieder entsprechende "Urteile" fällen dürfen, oder in anderen Fällen eben auch nicht, da zielsicherer qua Nato, nach Absicht vieler deutscher Politiker qua WEU (also ohne dominante Mitsprache der USA), Interessen verwirklicht werden können. Der angeblich so edle Traum vom "Weltgewaltmonopol" der Uno als Vereinigung der "Internationalen Gemeinschaft" könnte nur realisiert werden, wenn ein Staat/Staatenbündnis so mächtig wäre, daß es seine Zielsetzungen von der "Völkerfamilie" absegnen lassen könnte.

Wie zweifelhaft der Bezug auf das internationale Recht ist, zeigt nicht nur dessen Geschichte, sondern auch seine aktuelle Modifizierung. Im Rausch der deutschen Wiedervereinigung gelang es der deutschen Politik und ihren Bündnispartnern - den diversen "Volksgruppen"-Vertretern -, 1990 in Paris die KSZE-Charta über Minderheitenschutz so auszuweiten, daß damit die bis dato als sakrosankt geltende Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eines Staates delegitimiert worden ist. Deutsche Rechtsabsichten bringt die grüne Bundestagsabgeordnete Angelika Köster-Loßack auf die kurze Formel: "Ich glaube nicht, daß das bestehende internationale Recht mit der Vorgabe der unhinterfragten Souveränität einzelner Nationen den real existierenden Bedingungen heute noch gerecht werden kann." Das fanden andere Deutsche seit 1933 auch.

Ungestraft können Linke auch die Kategorie "Menschenrechte" nicht verwenden, sind sie doch flugs dabei, wie von allerlei sich schlitzohrig dünkenden Kriegsgegnern und Leuten mit sehr kriegerischen Ambitionen bereits praktiziert, die Verletzung derselben in Ruanda, Somalia, Angola, Timor, Tibet/ China, Indonesien, Türkei usw. und den selektiven Umgang mit ihnen anzuklagen. Was ja nur nahelegen könnte und von den Ambitionierten auch so gemeint ist, nicht weniger, sondern mehr, ja nahezu flächendeckend zu intervenieren. Müssen wir betonen, daß dabei auch noch der Rest an Kritik und Analyse für das Zustandekommen weltweiter Ungleichheit und Unterdrückungsverhältnisse, der herrschenden Weltordnung, auf der Strecke bleibt? Das wäre, um in der Sprache des Appells zu bleiben, der "endgültige Beginn" des Endes linker Kritik.

"Krieg", so erfahren wir weiter, "taugt nicht als Mittel zur Herstellung von Frieden." Das Gegenteil ist richtig. Krieg und die Drohung mit Krieg sind Mittel zur Herstellung eines Friedens zu den Bedingungen des Siegers. "Slobo, ruf an!" titelte ein Boulevardblatt, und schon gäbe es Frieden. Nämlich den, daß Jugoslawien teilbesetzt, der jugoslawische Staat als Souverän teilabgesetzt und Kosovo auf dem Weg der Herauslösung aus Jugoslawien wäre. Der Krieg könnte, jenseits der Beantwortung der Spekulationen über die Folgen des Einsatzes von Bodentruppen, also der "Weg aus diesem Konflikt" sein, wenn die Nato ihn möglicherweise verlustreich, aber vor allem erfolgreich beendet. Ist dann alles gut?

Aufgeklärt werden wir über etwas, was niemand verschweigt, daß Bomben "Menschen" treffen, daß "Krieg Greueltaten bedeutet". Weil der Appell sich aber zu den Ursachen der Auflösung Jugoslawiens ausschweigt, weil er Interessen nicht benennt, kommt er in die Nähe von Äußerungen wie "Krieg war noch nie eine feine Angelegenheit. Demgemäß geschieht vieles, was nicht rechtens ist" oder "Keine Armee hat saubere Hände behalten". Solchermaßen relativieren natürlich Rechte (hier zitiert als Meinungsäußerungen zur Wehrmachtsausstellung), die den "Krieg als solches" für schmutzig erklären, die Frage, für was er geführt wurde und verteilen Schuld gleichmäßig auf alle Teile.

Wer wie die Appellanten "erschrocken" ist, daß Rot-Grün in den Krieg treibt, gibt Auskunft über sich selbst. Entweder über die eigene Dummheit, denn seit dem mit überwältigender Mehrheit gefaßten Bundestagsbeschluß vom 16. Oktober 1998, der grünes Licht für die aktuelle Aggression gab, kann auch ein wenig belesener Mensch wissen, daß die von Fischer/Schröder beschworene "außenpolitische Kontinuität" keine leere Worthülse ist. Oder die Dummheit ist gespielt, um trotz und nach der jetzigen Aufregung Bündnis- und Koalitionsoptionen weiter verfolgen zu können. Kontinuität meint Fortentwicklung zu einem Status, auch militärisch Regionen nach europäisch genannten deutschen Interessen zu ordnen.

Wer heute wie Kohl 1994 in der Bild-Zeitung fordern würde: "Es bleibt aber bei unserer Position, daß wir aus Gründen der geschichtlichen Erfahrung keine deutschen Soldaten, also Bodentruppen, in das frühere Jugoslawien schicken", wäre hoffnungslos verkalkt. Bereits jetzt stehen an der mazedonisch-jugoslawischen Grenze, in Tetovo, 4 500 Bundeswehrsoldaten einsatzbereit: an jener Stelle, wo im Zweiten Weltkrieg die nationalsozialistische Wehrmacht stationiert war, damals auf dem Staatsboden des mit ihrer und mussolini-italienischer Hilfe errichteten faschistischen Großalbanien. "Für die einheimische Bevölkerung aller Volksgruppen", schreibt einer der Jugo-Fresser der taz, Erich Rathfelder, "ist dieser historische Zusammenhang einleuchtend, während für die meisten deutschen Soldaten (und natürlich auch ihre rot-grünen Auftraggeber; Anm. d. Verf.) dieses Denken völlig fremd erscheint". Nicht mehr in der deutschen Aggressionsgeschichte begründete Erfahrungen sind gut vier Jahre nach diesem Kohl-Diktum Verzögerungsgrund für den Einsatz von Bodentruppen, sondern allein die Sorge, "in den Schluchten des Balkan" einen über die Rübe zu bekommen.

Das ist dem Appell am meisten zu verübeln, daß er von Deutschland und deutschen Interessen in Jugoslawien und darüber hinaus nicht einmal ansatzweise redet. Zielstrebig ist seit 1990 auf diesen Tag, die aktive deutsche Beteiligung an einem Kriegseinsatz, hingearbeitet worden. Der Golfkrieg 1991 kam dafür noch zu früh, mehr als eine Flieger-Kampfstaffel in der Türkei war nicht erlaubt. Das Entscheidende war die "Demütigung", daß "wir" ökonomisch eine Weltmacht, politisch seit 1990 souverän, aber militärisch immer noch drittrangig sind. Die nachfolgenden Bemühungen um internationale militärische Bedeutung waren jede für sich genommen noch kein Austritt aus dieser Rolle. Deutsche Piloten durften in den Awacs-Aufklärungsflugzeugen nur beisitzen. Ob als Sanitäter, Versorgungstruppe oder Rückraumdecker in Kambodscha oder Somalia sowie Ruanda oder mit Kampftruppen, die jedoch nur als Aufbauhelfer im Rahmen von Ifor/Sfor in Bosnien tätig waren, das war noch nicht einmal die zweite Geige, die gespielt wurde.

Dennoch zeigt sich, daß dies Bestandteil der Devise Rühes von 1994 war, "Normalität Schritt für Schritt durchzusetzen". Entsprechend erfolgte die Umwidmung der Bundeswehr von der "Verteidigungsarmee" zur Expansionsstreitkraft, die mit der Aufteilung in "Hauptverteidigungs- und Krisenreaktionskräfte" 1992 begann und mit den "verteidigungspolitischen Richtlinien" aus dem selben Jahr fortgesetzt wurde. Sie formulieren, daß "die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und der ungehinderte Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" künftig "nationales Interesse" seien.

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 sind schließlich "weltweite Kampfeinsätze" der Bundeswehr nicht nur "im Rahmen der Uno", sondern auch - wie es ausdrücklich heißt - "unter Federführung von Nato und WEU" für verfassungskonform erklärt worden. Einziges Hindernis auf dem Weg der Verfassungskonformität war seither nur die Zustimmung des Parlaments zu solchen Einsätzen. SPD und Grüne als Opposition haben dieses Hindernis kontinuierlich beiseitegeräumt und ernten als rot-grüne Regierung jetzt die Früchte. "Normalisierung" und "Kontinuität" haben einen neuen Höhepunkt erreicht: 14 Tornados, die endlich Belgrad beschießen dürfen, und 4 500 Kampfsoldaten, die zunächst zum Schutz der OSZE-Beobachter und möglicherweise demnächst als Teil eines Bodentruppenkontingents bereitstehen.

Zwar mutet es immer noch kurios an, welche überproportionale Bedeutung die Medien dem kleinen deutschen Bomberkontingent andichten, die Sehnsucht nach mehr ist überdeutlich. Und Rot-Grün würde etwas bremsen? Was anderes als Kritik an seinem christdemokratischen Vorgänger ist es, wenn Rudolf Scharping tönt: "Wir brauchen Streitkräfte, die flexibler sind, hochmobil, belastbar und schneller verlegbar. Streitkräfte, die über die modernste Kommunikations- und Transporttechnik verfügen." Oder wenn er propagiert: "Ein Versagen wie vor Jahren auf dem Balkan darf es nicht geben."

Kein Wort im Appell, daß die deutsche Jugoslawienpolitik von Anfang an darauf aus war, bei der Ordnung Europas nach deutschen Vorstellungen erneut einzusetzen, was nationalsozialistische "Geopolitiker" die "überlegene Kenntnis der Volksdruckverhältnisse" nannten. Im Falle Jugoslawiens gab es seit Beginn des Konflikts 1991 nur das Ziel, das Land in seine ethnisch definierten Bestandteile zu parzellieren. Zuerst wurden Slowenen und Kroaten als Bündnispartner entdeckt, dann die Muslime in Bosnien und derzeit die Albaner im Kosovo. Für Liebhaber zivilgesellschaftlicher Ideale geben die Verbündeten Deutschlands wie Tudjman, Izetbegovic oder die Führer der von der BRD gepäppelten UCK eigentlich nichts her, aber deren Machtinteressen sind kompatibel mit deutscher Raumordnungspolitik. Daß in diesem Prozeß dem avantgardistischen Deutschland (früheste Anerkennung Kroatiens, Ablösung Bosniens und frühzeitige Inangriffnahme der Loslösung des Kosovo) von der noch größeren Ordnungsmacht USA der Rang abgelaufen wurde, ist hierzulande aber nur Ansporn für noch mehr "deutsche Verantwortung in der Welt".

Milosevic paßt in mehrfacher Hinsicht in die Galerie der Vorgenannten. Ihn zur Inkarnation des Bösen zu stilisieren, ist allerdings in erster Linie der Tatsache geschuldet, daß er ein ständig zerschlagenes und zerfallendes Staatsgebiet und das zu seiner Aufrechterhaltung notwendige Gewaltmonopol als Machtmittel verteidigen und sich nicht auf die dafür vorgesehene Parzelle beschränken will, was mit den Plänen der Angreifer Jugoslawiens nicht vereinbar ist.

An eine imperialistische Kriegspartei appelliert man nicht, man kritisiert sie, wenn die Kräfte zur praktischen Kritik nicht reichen. Appellieren zeugt weniger von der Feststellung von inhaltlichen Differenzen als von politisch-emotionaler Nähe (oder Überläufer-Hoffnungen?) der Appellanten. Man stelle sich einen vergleichbar albernen Appell ehemaliger Jusos an Scharping und Schröder vor! Eher wird man erwarten können, daß es in Zukunft Grüne sein werden, die bei Verweigerung von Bodentruppen wahlweise den Nato-Kompagnons, dem Bundesverteidigungsminister oder der Generalität Feigheit, Inkonsequenz und Unmenschlichkeit vorwerfen könnten.

Der positive Bezug auf die Wurzeln der Grünen in der Friedensbewegung schließlich krönt den Appell. Gerade in der Tradition eines Teils dieser Bewegung stehen jene heutigen Grünen, die zur Auflösung und Schwächung des Antimilitarismus beigetragen haben. Wer damals "national beleidigt" war, daß zu viele Entscheidungen bei den USA lägen, daß Deutschland Schlachtfeld und Opfer der Ergebnisse des "Wettrüstens" werden könnte, der muß diese patriotische und persönliche Betroffenheit heute nicht haben. Schließlich brachte der Golfkrieg die beruhigende Erkenntnis, daß regionale Kriege andernorts keine Folgen in den Metropolen haben müssen (keine terroristischen, nicht einmal ökologische).

Daß heute wieder bei Teilen der Gegner des Nato-Krieges in Jugoslawien im Spektrum der PDS nicht Deutschland, sondern die "von den USA erzwungene Aktion", die Nato "als absolutes militärisches Hilfsorgan der USA" (Leserbrief im Neuen Deutschland) ins Kreuzfeuer gerät, die "Europäer von den USA wie Vasallen behandelt werden", die uns "falls ein Bodenkrieg nötig wird, allein die Kastanien aus dem Feuer holen" lassen (ND vom 26.3.1999), zeigt überdeutlich, daß nicht "der Krieg als solches" und "Greueltaten" allerorten anzuklagen sind, sondern eine Analyse der Kräfte und ihrer Interessen im Krieg Motiv für die Gegnerschaft zum deutschen und Nato-Waffengang sein müssen.

28. März 1999