Die Neuordnung Europas

Deutschlands letzter Krieg

Der 24. März 1999 wird in die Geschichtsbücher eingehen als der Tag, an dem die von George Bush beschworene neue Weltordnung ihre Verwirklichung erfahren hat. Der Angriff auf Serbien, für dessen Rechtfertigung diesmal kein österreichischer Thronfolger bluten muß, sondern albanische Zivilisten, ist eine doppelte Zäsur, in der internationalen ebenso wie in der deutschen Politik. Erstmals seit 1945 führt die Nato einen Angriffskrieg, dessen erstes Opfer die Vereinten Nationen geworden sind. Mit dem Bombardement Serbiens ist das weltweite System der kollektiven Friedenssicherung, das nach der Niederlage Deutschlands eingeführt worden war, zerbrochen. Mit dem vollständigen Ignorieren der Haltung Moskaus und den damit verbundenen Drohungen, die bis zum Einsatz von Atomwaffen reichten, haben die Strategen der Nato das einvernehmliche Mitspracherecht Rußlands und Chinas in der Weltpolitik und damit die internationale Balance of power auf den Müllhaufen der Geschichte befördert.

Seit dem Fall der Berliner Mauer nimmt nun die Nato ihre Funktion als gewaltsame "Vertriebsagentur für Demokratie, Marktwirtschaft und Stabilität" (Frankfurter Allgemeine) zunehmend uneingeschränkt und ungehemmt wahr; für die ehemalige Supermacht Rußland eine Brüskierung ohnegleichen, die bereits zum Bruch mit der Kriegsallianz geführt hat. Von sozial verwahrlosten Desperados ist bekannt, daß sie notfalls zu allem bereits sind - jeder mehrfach vorbestrafte Gewalttäter wird rückfällig, wenn seine Ehre auf dem Spiel steht, selbst wenn ihm dieses Verhalten eine langjährige Haftstrafe einbringt. Und warum also sollte ein Staat im Delirium, der nur durch Betteleien um Milliardenkredite des Westens noch vor dem Kollaps zu retten ist, keine Atomraketen nach Weißrußland verlegen?

Was der Nato recht ist, kann der Bundesrepublik in Zukunft nur billig sein. Mit dem Angriff auf Serbien ist ein völkerrechtlicher Präzedenzfall geschaffen. Er ist eine in den Medien als Ausnahmefall deklarierte Zäsur, die Attacken auf souveräne Staaten in Europa ohne Zustimmung internationaler Institutionen zukünftig auch für die Bundeswehr zur Regel machen könnte. Was sollte die Regierung schrecken, schon morgen - selbstverständlich mit frei gewählten Partnern und zur Abwendung humanitärer Katastrophen, die man sich selbst definiert oder sogar, wie im Fall der UCK, selbst mitvorbereitet hat - in anderen souveränen Staaten zu intervenieren? Schröder hat die Ära Kohl beendet. Er ist dazu übergegangen, Deutschland außenpolitisch auf Konfrontationskurs zu bringen, dies gilt für die Differenzen mit Frankreich wie für seine Ankündigung gegenüber Polen, als deutscher Kanzler habe er zuerst die Interessen der deutschen Industrie zu vertreten. Noch vor wenigen Jahren rang die BRD um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat, dieses Ringen ist nun ebenso überflüssig wie das Gremium selbst, auch wenn es sich Wehrminister Scharping nicht nehmen ließ, die Leiche zu fleddern - man müsse über das Vetorecht reden. Auf dem Balkan beginnt eine neue Ära imperialistischer Konkurrenzkämpfe - Deutschland meldet sich dafür kriegsverwendungsfähig zurück.

Innenpolitische Opposition gegen den Kriegskurs wird die Großmacht Deutschland kaum von außenpolitischen Alleingängen abhalten: Die Deutschen ziehen wieder guter Dinge in den Krieg gegen Serbien, der wie jeder Krieg ein gerechter sein muß. Wie in jedem Krieg kennen die Medien kein Halten mehr, wenn es um die Entmenschlichung des Gegners als "Schlächter", "Irrer", "Spinne" und "Schleimi" geht; wie in jedem Krieg werden Wehrkraftzersetzer wie Hans-Christian Ströbele für verrückt erklärt; wie in jedem Krieg sind die Helden unsere Soldaten, unser Wehrminister, unsere Fliegerasse. Und wie noch jedesmal macht die reformistische Opposition ihren Frieden mit dem Krieg. Dem Krieg im Kosovo entspricht der Burgfrieden in Bonn, den die ganz große Koalition mit Ausnahme der PDS geschlossen hat, die Ruhe an der Heimatfront, die nur noch von immigrierten Serben und ein paar handverlesenen Aktivisten der Linken gestört wird. Deutschland führt wieder einen Angriffskrieg. Nicht aus einem humanitären, sondern aus einem strategischen Interesse heraus, wie das immer noch fehlende Aufenthaltsrecht für Kriegsflüchtlinge zeigt. Es dürfte der letzte gewesen sein - in diesem Jahrhundert.