Das Risiko ist Real

Mit Geld vom IWF und einem Sparprogramm will Brasilien die Krise stabilisieren

Brasilien braucht Hilfe. Nicht nur bei seiner angekündigten Kandidatur für die Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2006, sondern auch bei der Bedienung der steigenden Auslandsschulden. Während der deutsche Fußballverband kaum den viermaligen Weltmeister unterstützen wird, haben die deutschen Banken mit ihren europäischen und nordamerikanischen Partnern bereits knapp 21 Milliarden Euro in Aussicht gestellt.

Ein erster Erfolg für Brasiliens Wirtschaftsminister Pedro Malan, der derzeit durch die Finanzmetropolen tingelt. Nachdem Rußland im vergangenen Jahr seine Zahlungsunfähigkeit erklärt hatte, setzte eine massive Kapitalflucht aus Brasilien ein, und das größte Land Lateinamerikas befand sich nahe am wirtschaftlichen Crash.

Die wohlwollenden Gesten der Banken gegenüber den brasilianischen Bittstellern hängen weniger mit dem wirtschaftlichen Potential des Landes als mit der vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zugesicherten Zahlung der zweiten Tranche von ingesamt 38 Milliarden Euro zusammen. Anders als in Südostasien und Rußland sollte die Finanzspritze des IWF für Brasilien dem Kollaps zuvorkommen.

Bei den ersten IWF-Verhandlungen im Herbst 1998 hatte die brasilianische Regierung einen starken Partner auf ihrer Seite: Die USA setzten sich für eine rasche Rettungsaktion ein. Denn US-Geschäftsbanken hätten in Brasilien viermal mehr zu verlieren als in Rußland. Aber Brasilien hat die Intervention des IWF wenig genützt, die Krise kam trotzdem.

Von der ersten Kredittranche profitierten hauptsächlich die Banken. Statt, wie in den IWF-Verhandlungen versprochen, mit einem Kredit von 14 Milliarden Euro die brasilianische Wirtschaft zu stabilisieren, zogen sie sich nach der Auszahlung der ersten IWF-Kredittranche wieder zurück. Sie waren damit so erfolgreich, daß der US-amerikanische Zentralbankchef Alan Greenspan Anfang März Entwarnung geben konnte: "Die Brasilien-Krise ist vor allem für die Brasilianer bedauerlich, aber sie gefährdet die Weltwirtschaft nicht mehr." Bei der folgenden Abwertung der Landeswährung Real am 13. Januar strichen die in Brasilien engagierten Banken hohe Gewinne ein.

Der geglückte Deal mit IWF und den Privatbanken hat seinen Preis. Sie fordern von der Zentralregierung einschneidende Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen. Der brasilianische Kongreß bewilligte vergangene Woche ein Sparprogramm, das rund 14,5 Milliarden Euro für die anstehenden Zinszahlungen locker machen soll. Um die kurzfristig fällig werdenden Verbindlichkeiten zu bedienen - bis Mai sind das 12 Milliarden Euro - braucht Brasilien jedoch zusätzliches Kapital. Eine erneute Erhöhung des Leitzinses von 39 auf 45 Prozent und eine Reduzierung der Kapitalverkehrsteuer auf bestimmte Transaktionen soll deshalb vermehrt hot money nach Brasilien umleiten. Die Privatisierung von Staatsbetrieben zu Schleuderpreisen, wie beispielsweise der nationalen Entwicklungsbank oder des Erdölkonzerns Petrobas, brächte außerdem weitere 24,5 Milliarden Euro ein.

Kurz nach der Verabschiedung des Sparprogramms erreichte der brasilianische Bovespa-Index an der Börse von S‹o Paulo den höchsten Stand seit gut sieben Monaten, und der Real holte gegenüber dem US-Dollar wieder auf. Trotzdem befindet sich Brasilien spätestens seit der Asien-Krise in einer Pattsituation: Die Hochzinspolitik sichert den weiteren Zufluß von ausländischem Kapital und damit die anfallenden Zinszahlungen, ruiniert aber gleichzeitig die Export- und Binnnenwirtschaft. Aber schon das Gerücht, daß die brasilianische Zentralbank den Real abzuwerten gedenkt, würde eine erneute Kapitalflucht auslösen. Der Versuch, damit die brasilianische Wirtschaft zu stärken, wäre gleichsam eine Bankrotterklärung der Zentralbank.

Die Auswirkungen der Brasilien-Krise treffen auch die Staaten in Südamerika. Sie hatten die letzten fünf Jahre von der Überbewertung des Real stark profitiert: Ihre Produkte waren auf dem brasilianischen Binnenmarkt vergleichsweise günstig. Der Volkswagenkonzern, der größte Autohersteller der Region, begründete letzte Woche einen Produktionsabbau in Argentinien mit der Abwertung des brasilianischen Real. 580 der rund 3 500 Beschäftigten werden

in einen einjährigen Zwangsurlaub geschickt. Auch in Ecuador, einem der ärmsten Länder Südamerikas, zog die Brasilien-Krise Kapitalabfluß, Währungsabwertung und Inflation nach sich. Mitte März rief Präsident Jamil Mahudad daher einen 60tägigen Notstand aus.

Der brasilianische Präsident Henrique Cardoso setzt zur Bewältigung der Krise hingegen weiterhin auf die bekannte "Stabilierungsstrategie". Schon in seiner ersten Amtsperiode bekämpfte er mit seinem Wirtschaftsprogramm, dem Plano Real, die Hyperinflation - 1994 bis zu 50 Prozent - und sicherte sich so bei den letzten Wahlen im Oktober das Präsidentenamt. Gleichzeitig stieg unter seiner Regierung die Arbeitslosigkeit im formellen Sektor. Nach Schätzungen der brasilianischen Gewerkschaften hat sie in den Städten 15 bis 20 Prozent erreicht.

Durch die Überbewertung des Real wurden außerdem Billigimporte begünstigt. Das Agrarland Brasilien begann, Lebensmittel einzuführen, beispielsweise wurde aus Asien durch den Wechselkurs verbilligter Reis importiert.

Daß brasilianische Großgrundbesitzer mittlerweile Minen einsetzen, um ihre Güter vor der Besetzung durch landlose Bauern zu schützen, zeugt von der explosiven gesellschaftlichen Situation.