Mehrarbeit für den Euro

Mit einer ultraliberalen Wirtschaftspolitik versucht Griechenland, sich für den Beitritt zur Währungsunion fit zu machen

Die Stimmung war gut. Griechenland sei "auf einem guten Weg ins 21. Jahrhundert", meint die konservative Tageszeitung Kathimerini, und die linksliberale Eleterotypia sieht für 1999 "bessere Startbedingungen an der Inflationsfront". Die Wirtschaftskommentatoren fast aller griechischen Tageszeitungen sind sich seit Wochen einig, die Wirtschaftsreformen der sozialdemokratischen Pasok-Regierung fortzusetzen.

Auch Wirtschaftsminister Jannos Papatoniou zeigte sich Ende Januar in einem Pressegespräch zuversichtlich. Griechenland werde planmäßig bis zum Ablauf des Jahres alle Kriterien für die Euro-Zone erfüllt haben. Drei der Vorgaben - die Höhe von Haushaltsdefizit und Staatsschulden sowie eine Stabilität der Wechselkurse - seien bereits erreicht. Bis Ende des Jahres soll das auch bei der Inflation - sie liegt derzeit bei 3,7 Prozent - und den Zinssätzen der Fall sein.

Große Zuversicht also bei Griechenlands Elite. Die neue Stabilität und das gute Ansehen des Landes auf dem Weltmarkt hat seine Ursache vor allem in der neoliberalen Politik der Regierung unter Premierminister Kostas Simitis. Ende 1997 noch kritisierte der US-amerikanische Botschafter in Athen, Nicholas Burns, die "starren Arbeitsverhältnisse" als "starke Bremse für ausländische Investitionen". Diese Verhältnisse hat die Pasok-Regierung mittlerweile drastisch verändert - zu Lasten der ArbeitnehmerInnen.

Im März letzten Jahres hatte die Regierung gleichzeitig mit einer Abwertung der Drachme um 14 Prozent und dem Beschluß, sich dem EU-Wechselkurs zu unterwerfen, ein Programm mit 22 "strukturellen Veränderungen" für die nächsten 20 Monate vorgelegt. Nun, ein knappes Jahr später, sind 13 Punkte davon, u.a. die Teil- und Komplett-Privatisierungen staatlicher Unternehmen sowie Sanierungsprogramme, bereits umgesetzt - teilweise gegen den heftigen Widerstand der Beschäftigten. Von der erfolgten Abwertung der Drachme profitierten in Griechenland vor allem die Unternehmen, denn die daraus resultierende Erhöhung der Produktionskosten wurde durch Preissteigerungen von teilweise über 20 Prozent mehr als ausgeglichen.

Um die Staatsbetriebe zu "flexibilisieren", übernahm die Pasok-Regierung die jeweils liberalsten Konzepte, die sie weltweit finden konnte: Aus Holland wurden die Teilzeitarbeit, aus den USA das Modell individueller statt kollektiver Arbeitsverträge und aus Großbritannien der "flexible Acht-Stunden-Tag" übernommen, aus dem man in Griechenland aber gleich einen Neun-Stunden-Tag machte. Die wöchentliche Arbeitszeit kann bis zu 48 Stunden betragen.

Griechenland hält unter den 15 Mitgliedsländern der Europäischen Union den Rekord im Bereich ungesicherter Arbeitsverhältnisse: Scheinselbständigkeit, Kurzzeitverträge, Schwarzarbeit sind für viele die einzige Einnahmequelle. In den Staatsbetrieben wurden viele Beschäftigte genötigt, individuell neue Arbeitsverträge zu unterschreiben, die bisherigen Kollektivverträge wurden damit de facto abgeschafft.

Bei einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von rund 10 Prozent im vergangenen Jahr gab es für viele Beschäf-tigte keine Alternative. Tendenz: weiter steigend. Nur die Hälfte von ihnen bekommt staatliche Hilfe, der Rest ist teilweise noch nicht einmal krankenversichert und daher auf familiäre Unterstützung angewiesen. Darüber hinaus wurde eine Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 80 Prozent sowie die Erhöhung des Rentenalters im Öffentlichen Dienst auf 65 bei Frauen bzw. 68 Jahre bei Männern beschlossen.

Alles das ging ohne ernsthaften Widerstand der Gewerkschaften über die Bühne. Die Arbeitnehmerorganisationen erklärten sich wegen der "schwierigen Ausgangslage" - der geplanten Beteiligung am Euro - zu "maßvollen" Lohn- und Gehaltsabschlüssen bereit. Die Tradition der griechischen Gewerkschaften als "Sozialpartner" der Unternehmer läßt keine kraftvollen Kampagnen gegen den Sozialabbau mehr zu. Ihre Funktionäre sind zudem mit der sozialdemokratischen Pasok, der konservativen Nea Demokratika oder der KP eng verbunden und daher darauf bedacht, den "sozialen Frieden" zu bewahren.

Zur gegenwärtigen Schwäche der Gewerkschaften trägt auch der Umstand bei, daß jede Berufsgruppe sich bei Arbeitskämpfen strikt auf ihren Bereich beschränkt; so bei der Sanierung der staatlichen Fluggesellschaft Olympic Airways (Jungle World, Nr. 15/98) und der öffentlichen Verkehrsbetriebe. Im vergangenen Dezember fanden Streiks von zwölf verschiedenen Berufsgruppen statt, ohne daß es auch nur ein einziges Mal zu gemeinsamen Aktionen gekommen wäre.

Diese Taktik der Gewerkschaftsführung und die Regierungspolitik haben allerdings die Fliehkräfte innerhalb der traditionellen Arbeiterorganisationen verstärkt. Bei Olympic Airways haben sich beispielsweise Piloten und Flugpersonal in unabhängigen Körperschaften organisiert; bei den Athener Verkehrsbetrieben existiert eine anarchistische Gewerkschaftsinitiative, ebenso im Bereich Buchhandel, Druck und Papier.

Die radikalsten Kämpfe haben sich jedoch jenseits der Gewerkschaftspolitik entwickelt. Sowohl die Mobilisierung der arbeitslosen LehrerInnen im Juni vergangenen Jahres als auch die über drei Monate dauernden Aktionen der SchülerInnen wurden auf offenen Vollversammlungen vorbereitet und durchgesetzt. Erst dann beschloß die LehrerInnengewerkschaft OLME unterstützende Streiks. Während Demonstrationen verhandelte die OLME mit Bildungsminister Gerasimos Arsenis über die Bildungsreform. Die dabei von der OLME erzielten kleinen Zugeständnisse haben mittlerweile bewirkt, daß die Aktionen deutlich zurückgehen.

Die Athener Regierung sieht sich in ihrem Kurs bestätigt und geht davon aus, daß Griechenland im nächsten Jahr auch beim Euro mitmachen darf. Premierminister Simitis wiederholt bei jeder Gelegenheit: "Zu unserer Politik gibt es keine Alternative. Der Weg in die EU ist eine Einbahnstraße."