Shkelzen Maliqi

»Keine linke Option«

Der Publizist arbeitet heute in Pristina, der Hauptstadt der südserbischen Provinz Kosovo. Anfang der neunziger Jahre zählte er zu den Gründern der Sozialdemokratischen Partei des Kosovo, deren Vorsitzender er bis 1993 blieb. Danach verließ Maliqi die Partei und betätigt sich seitdem vor allem im parallelen Bildungswesen, das im Kosovo nach der Schließung der Schulen und Universitäten von der albanischen Bevölkerung aufgebaut wurde. Er ist Mitglied der von George Soros finanzierten Open Society Foundation und war Mitglied der kosovo-albanischen Delegation bei den Verhandlungen mit der Belgrader Führung im vergangenen Jahr.

Ein Verhandlungsergebnis in Rambouillet wird eine wie auch immer geartete Nato-Intervention im Kosovo einschließen. Innerhalb der europäischen Linken gibt es dagegen Proteste. Gibt es Alternativen zur Intervention der westlichen Mächte?

Es wird irgendeine Form der Intervention geben. Wenn sie nicht von der Nato getragen wird, muß eine andere Form gefunden werden. Aber im Moment ist die Nato einfach die stärkste Kraft, was die Amerikaner natürlich nutzen. Pünktlich zu ihrem 50-jährigen Bestehen möchte die Allianz im Kosovo Fakten - und sich eine Art Legitimität für ihre Existenz in den nächsten Jahren - schaffen. Die Kritik der Linken an der Nato ist zwar berechtigt, aber so wie es aussieht, kann sie kein alternatives Sicherheitssystem zur Nato bieten. Eine Alternative hat allenfalls die französische Regierung parat: Nach ihrem Plan könnten die Europäer möglicherweise alleine intervenieren. Aber das ist weder eine linke noch eine rechte Option, sondern lediglich eine europäische Option ohne die Amerikaner. Es handelt sich hier um ein kompliziertes internationales Problem und es ist schwierig, Formen regionaler individueller Lösungen zu finden.

Einerseits würde eine Nato-Intervention die Position antiserbischer Kräfte im Kosovo stützen, andererseits gibt es auch die Sichtweise, daß eine Nato-Präsenz die Kräfte, die eine vollständige Unabhängigkeit des Kosovo anstreben, zurückdrängen könnte ...

Die Mehrheit der albanischen Parteien und Organisationen im Kosovo sind der Meinung, daß eine Nato-Intervention das Problem im Kosovo zumindest auf eine bessere Art und Weise lösen würde als eine Intervention der OSZE oder anderer Institutionen. Selbst bei einer russischen Beteiligung ist es schwierig, sich eine andere Lösung vorzustellen. Vor allem die "Linken" im Kosovo, von denen sich viele selbst als Marxisten bezeichnen, sind der Auffassung, daß eine Nato-Intervention die aktuelle Situation zementieren würde und damit ein Hindernis zur völligen Unabhängigkeit wäre. Allerdings haben die "linken" Gruppen im Kosovo eine "Klassenposition" im wesentlichen verlassen und sind mehr an einer "nationalen Revolution" orientiert. Diese Gruppen haben eine wichtige Rolle beim Aufbau der UCK gespielt, weil die ihrem Konzept einer bewaffneten "nationalen Revolution" am ehesten zu entsprechen scheint.

Inwiefern waren diese Teile der UCK mit dem Regime von Enver Hoxha in Albanien verbunden?

Die älteren Mitglieder dieser Gruppen waren alle mit dem Enver Hoxha-Regime verbunden. Viele von ihnen traten damals schon für die Unabhängigkeit des Kosovo ein und landeten dafür lange Zeit in jugoslawischen Gefängnissen oder im Exil. Diese Gruppen haben Mitglieder in der Schweiz, Deutschland und den skandinavischen Ländern und sie sind alle mit der UCK verbunden. Als Ibrahim Rugova 1990 versuchte, eine Koalition verschiedener albanischer Parteien und Gruppen aufzubauen, die spätere LDK (Demokratische Liga des Kosovo), nahmen die meisten dieser Gruppen nicht an dem Prozeß teil. Einige allerdings wollten ihre Politik innerhalb der Koalition weiterführen. Hydajet Hyseni beispielsweise, der zum Vizevorsitzenden der LDK avancierte, zog diese Option vor.

Gibt es einen Zeitpunkt, wann diese "linken" Gruppen ihre Programmatik ausschließlich auf die nationale Frage auszurichten begannen?

Schon in den siebziger und achtziger Jahren war ihre Ideologie stärker national als sozial ausgerichtet. Sie plädierten dafür, das Kosovo mit Albanien unter dem damaligen Staatschef Enver Hoxha zu vereinigen. Ein Motiv dafür war auch, daß sie die Kritik Hoxhas am jugoslawischen Sozialismus teilten. Sie bezeichneten das alte Jugoslawien als ein "revisionistisches" Regime, das den Kapitalismus wieder eingeführt habe. Als Hoxha starb, traten diese "Linken" in einen Zustand der Verwirrung. Zu Beginn der neunziger Jahre gewannen Figuren wie Rugova dann an Einfluß, weil sie sich nicht auf eine spezifische politische Ideologie bezogen und sich ausschießlich auf die nationale Frage konzentrierten. Sie wollten nicht unbedingt eine Sezession, sondern gingen davon aus, daß eine Demokratisierung Jugoslawiens möglicherweise dazu führen würde, ihre Forderungen durchzusetzen. Sie dachten, daß freie Wahlen zu einem unabhängigen Parlament des Kosovo einen großen Fortschritt bringen würden.

Die älteren radikaleren Gruppen befanden sich damals wie gesagt in einem Zustand der Konfusion, ihre Führungsperson Adem Demaci saß im Gefängnis. Als er entlassen wurde, hatte sich die neue Gruppe um Rugova bereits etabliert. Demaci wurde angeboten, an dem Projekt mitzuwirken, aber er lehnte ab und wurde Präsident des "Menschenrechtskomitees". Er und seine Mitstreiter gingen davon aus, daß die Unabhängigkeit nicht mit demokratischen, parlamentarischen Mitteln zu erreichen wäre, und bereiteten sich auf einen bewaffneten Kampf vor. In gewisser Hinsicht warteten sie auf bessere Zeiten.

Wie sieht die Zusammensetzung der Delegation der Kosovo-Albaner in Rambouillet aus? Gibt es eine gemeinsame Plattform oder bestehen weiterhin die alten Spaltungen fort?

Die Delegation besteht im wesentlichen aus vier Gruppen. Zunächst aus Rugovas Strömung und ihren Satelliten, insgesamt gehören dieser Gruppe fünf Delegationsmitglieder an. Die zweite Gruppe besteht aus Opponenten Rugovas, von denen einige aus den älteren "prosozialistischen" Strömungen stammen, die Anfang der 90er Jahre in Rugovas Allianz eingetreten sind. Eine der Hauptfiguren davon ist der bereits erwähnte Hydajet Hyseni. Diese Gruppe unterhält Verbindungen mit der Sozialistischen Partei Albaniens, die dort momentan regiert. Die dritte Gruppe ist die UCK, die drei oder vier Delegationsmitglieder stellt. Eine vierte Gruppe besteht aus zwei jungen Intellektuellen, die gute Verbindungen zu den USA unterhalten.

Ist es möglich, daß es im Fall einer Nato-Intervention zu einer tiefergehenden Spaltung zwischen den verschiedenen Kräften kommt, weil der radikalere Teil die Perspektive auf die Unabhängigkeit gefährdet sieht, während der moderate Teil mit der Nato zusammenarbeiten wird?

Der potentielle Kristallisationspunkt für eine mögliche Spaltung der UCK ist die Frage nach der staatlichen Unabhängigkeit des Kosovo. Die internationale Gemeinschaft scheint entschlossen, keine vollständige Unabhängigkeit zu akzeptieren. Die radikaleren Elemente in der UCK könnten sich aber abspalten, falls ihre Führung den Kampf für Unabhängigkeit aufgibt. Ähnlich der Entwicklung in Palästina könnte dann eine radikale Kraft vergleichbar der Hamas entstehen. Der amerikanische Plan für den Kosovo ist dem Plan für Palästina relativ ähnlich: Die Bewegung soll um eine bestimmte Person herum zentralisiert werden. In Palästina ist das Arafat, im Kosovo scheint es Rugova zu sein. Natürlich wird es dagegen Opposition geben und möglicherweise wird eine beträchtliche Strömung entstehen, die die neue Struktur ablehnt. Allerdings sind die UCK-Delegierten in Rambouillet eher moderat und haben eine realistische Position eingenommen. Der Leiter der UCK-Delegation ist ein sehr junger Militärkommandant mit dem Namen Hashim Thaci. Er wurde zum Leiter der gesamten Delegation der Kosovo-Albaner bestimmt und ist sehr einflußreich.

Wie sehen die Verbindungen des radikaleren Teils der Bewegung zu politischen Kräften in Albanien aus?

In Albanien herrscht momentan eine recht anarchische, chaotische Situation. Die Regierung in Tirana kontrolliert nicht das ganze Land. Es ist offensichtlich, daß viele Waffen der UCK aus Albanien kommen. Die genauen Nachschubwege liegen aber im Dunkeln. Möglicherweise unterstützt die albanische Regierung die Waffenlieferungen, wahrscheinlich gibt es auch eine Mitwirkung der CIA, aber wir wissen nicht, wie umfangreich sie ist. Sicher ist, daß auch Banden vom Waffenhandel profitieren.

Es gibt Berichte darüber, daß die UCK Serben entführt und getötet hat. Wie könnte der Status der serbischen Minderheit in einem zukünftigen Kosovo aussehen? Besteht die Gefahr "ethnischer Säuberungen"?

Ja, es stimmt, daß es Übergriffe auf die serbische Minderheit gegeben hat. Aber die Relation ist völlig disproportional: Es werden viel mehr Albaner entführt oder ermordet als Serben. Man kann nicht von "ethnischen Säuberungen" sprechen, die die Serben betreffen, es handelt sich viel mehr um Racheakte auf lokaler Ebene. Aber diese könnten zur Folge haben, daß Serben bestimmte Regionen verlassen. Den internationalen Institutionen ist das Problem sehr bewußt, und der Schutz der serbischen Minderheit wird wahrscheinlich einen Teil der Vereinbarungen von Rambouillet bilden.

Gibt es im Kosovo politische Kräfte, die explizit eine multiethnische Gesellschaft fordern?

Die meisten Parteien haben einige gut klingende Deklarationen in ihrem Programm, die besagen, daß sie die Rechte der ethnischen Minderheiten garantieren möchten. Sie sagen teilweise sogar, daß sie den Serben den Status als eine konstitutionelle Gruppe und nicht nur als eine Minderheit einräumen wollen. Aber dies sind eher rhetorische Programmpunkte, die in Verhandlungen noch konkretisiert werden müßten.