Guter Rat ist billig

Die Anti-Defamation League hat einen Maßnahmenkatalog gegen den Antisemitismus in Rußland vorgelegt

Auf den Chef der russischen KP, Gennadij Sjuganow, kann man sich verlassen. Bei ihrem jüngsten Besuch in Moskau Ende Januar hatte US-Außenministerin Madeleine Albright Gelegenheit, an Ort und Stelle erleben zu können, wie berechtigt ihre zuvor geäußerten Warnungen vor dem wachsenden Antisemitismus in Rußland waren.

Als hätten Sjuganow Albrights Bemerkungen, die USA würden genau verfolgen, wie in Rußland mit Religionsfreiheit und Extremismus umgegangen werde, nur das notwendige Stichwort geliefert, goß der KP-Chef erneut Öl ins Feuer. Leute mit "nicht russisch klingenden Familiennamen" untergrüben den "typischen Charakter Rußlands" und seien für ihn identisch mit "jenen Kräften, die ständig in Rußland ethnische Konflikte schüren". Und weiter: "Ethnische Nicht-Russen" in früheren Regierungen seien auch für die aktuellen Probleme des Landes verantwortlich. Die Regierung um Premier Jewgeni Primakow wird selbstverständlich von der Kritik ausgespart, da sie von Sjuganows Kommunistischer Partei der Russischen Föderation (KPRF) gestützt wird. Aber unverändert gilt für Sjuganow: Am Antisemitismus sind die Juden schuld.

Wenn der Chef der KP sich so unverhüllt äußert, dann gibt es für die Funktionäre der zweiten Reihe offenbar kein Halten mehr. Der Moskauer KP-Vorsitzende Alexander Kuwajew trat umgehend mit der Forderung auf, führende jüdische Fernsehjournalisten zu "Volksfeinden" zu erklären und vor ihren Wohnungen zu demonstrieren. Ein weiterer Duma-Abgeordneter der KPRF entdeckte gar, daß der Zionismus gefährlicher sei als der Faschismus, da der Zionismus "heimlich und verstohlen" operiere (Jungle World, Nr. 2 / 99).

Das antisemitische Klima in Rußland hat mittlerweile dazu geführt, daß nach Jahren des kontinuierlichen Rückgangs jüngst wieder höhere Zahlen von Auswanderern aus den GUS-Staaten nach Israel registriert wurden.

Diese Situation nahmen jüngst auch die Anti-Defamation League (ADL) zusammen mit der National Conference on Soviet Jewry zum Anlaß, Madeleine Albright ein Maßnahmenpapier unter dem Titel "Aufruf zum Handeln" vorzulegen. Insbesondere den russischen Kommunisten wird in dem Papier vorgeworfen, die Juden als Sündenböcke für die sozialen Mißstände zu präsentieren. Ziel der KPRF dabei sei, ihre eigene Ausgangsbasis für die Duma-Wahlen 1999 und die Präsidentenwahlen im Jahr 2000 zu verbessern.

Zu den von der Anti-Defamation League vorgeschlagenen Maßnahmen gehört an erster Stelle die Forderung nach einer umfassenden Antirassismus-Gesetzgebung. Zwar gibt es ein entsprechendes, dem russischen Präsidenten direkt unterstelltes Komitee, doch ist dieses bisher lediglich durch die Rotation seines Führungspersonals aufgefallen. Vorschlägen dieses Komitees werden wenig Chancen eingeräumt, die Duma zu passieren, da insbesondere die Kommunisten sich jeweils durch sie direkt angegriffen fühlen.

So ist auch kaum damit zu rechnen, daß Rußland den Vorschlag der ADL aufgreift, die parlamentarische Immunität von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern aufzuheben, denen rassistische Vergehen vorgeworfen werden. Dies scheint die ADL selbst zu ahnen und fordert, daß im Fall einer Weigerung der Duma die Angelegenheit durch einen Präsidentenerlaß geregelt werden müsse. In seinen wenigen arbeitsfähigen Momenten scheint Boris Jelzin alle möglichen Probleme zu wälzen, der Antisemitismus jedoch gehört nicht dazu.

Ein Schwerpunkt des Forderungskataloges der Anti-Defamation League liegt auf Maßnahmen im Erziehungs- und Schulwesen. Im ganzen Lande müsse eine Kampagne für eine tolerante Zivilgesellschaft geführt werden. Diese Kampagne soll von hochrangigen Regierungsvertretern ebenso getragen werden wie von Persönlichkeiten des kulturellen Lebens.

Ob die Mitwirkung von Politikern des Regierungslagers tatsächlich nützlich wäre, darf bezweifelt werden - sind doch sie es, die - meist auch zu Recht - für die sozialen Mißstände verantwortlich gemacht werden. Zudem könnte der Einsatz von Regierungsmitgliedern für Minderheiten sogar den Eindruck erwecken, daß an den antisemitischen Tiraden "etwas dran sein" müsse, wenn ausgerechnet solche Leute sich zu Fürsprechern der russischen Juden machen.

Auch hinterlassen die Forderungen der ADL an die US-Regierung einen recht zwiespältigen Eindruck. Ob eine "Stärkung der Marktwirtschaft" dazu angetan ist, den Antisemitismus zurückzudrängen, darf bezweifelt werden. Das Papier bleibt ein Dokument des guten Willens. Zugleich aber vor allem eines der Hilflosigkeit - denn zur Zeit spricht nichts dafür, daß es auch nur ansatzweise umgesetzt wird.