Kurdenterror und Nebenaspekte

Bodentruppen an den Bosporus!

Es muß ein Blitzkrieg sein, nur daß die Deutschen diesmal die Verlierer sind: "Die Terror-Kurden waren da", betitelte die Bild-Zeitung ihr Dossier zum Thema "Wehrloses Deutschland" und wollte wissen: "Warum wurde Deutschland überrollt?" Die Süddeutsche Zeitung fragte nach einem "Krieg auf Europas Straßen?"

Die Fragen waren selbstverständlich rhetorisch: Härtere Gesetze, mehr Polizei müßten jetzt her. Der "schlimme Mißbrauch des Gastrechtes" (FAZ) durch die Kurden, das versprach Innenminister Otto Schily noch am Tag der Festnahme Abdullah Öcalans der deutschen Öffentlichkeit, werde strafrechtliche Konsequenzen für die "straff organisierten Gewalttäter" (Bild) haben.

Besonders der CDU sind die verzweifelten Kurden willkommene Munition für ihr anhaltendes Sperrfeuer gegen die doppelte Staatsangehörigkeit. "Viele der Straftäter hätten längst deutsche Staatsbürger sein können, wenn die Reform der rot-grünen Bundesregierung bereits Wirklichkeit wäre", argumentierte beispielsweise der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Jürgen Rüttgers. Eben die will der Christdemokrat nun beschleunigen.

Ginge es nach dem Willen der Opposition, könnten Ausländer bereits bei Verurteilungen ab einem Jahr Haft (bisher: drei Jahre) abgeschoben werden. In der SPD wurden Stimmen an höchster Stelle laut, die signalisiert haben, daß es durchaus nach dem Willen der Union gehen könnte: Wer sich "als Ausländer" außerhalb der Gesetze stelle, so hat es der Kanzler bereits angekündigt, müsse Deutschland verlassen.

Den Scharfmachern geht es um die Einführung von Folter und Hinrichtung durch die Hintertür: Den Regierenden in der Türkei sind jegliche rechtsstaatliche Normen fremd, wie die Zerschlagung der Kurdenpartei Hadep, die Verbote Dutzender Zeitungen und zuletzt die Ausweisung der Anwälte Öcalans und die Ablehnung von Prozeßbeobachtern gezeigt haben. Eine Abschiebung in die Türkei, so formulierte es die grüne Abgeordnete Angelika Beer, komme derzeit einem Todesurteil gleich. Tatsächlich kann das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Abgeschobenen nicht garantiert werden. Der Ausweisung steht der Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention - der Schutz vor Folter - entgegen. Dokumentiert ist, daß auch Garantien der türkischen Behörden, mit denen der frühere Bundesinnenminister Kanther erfolgte Abschiebungen zu legitimieren versuchte, an diesem Zustand nicht das geringste ändern. Wer trotzdem für eine Ausweisung von PKK-Anhängern argumentiert, der will diesen Fakt nicht ignorieren, sondern kalkuliert mit genau denjenigen Bestrafungspraktiken, die in der Bundesrepublik nicht möglich sind.

Getrost als verlogen kann man auch die Ankündigung des Bundeskanzlers bezeichnen, Deutschland werde nicht dulden, daß "die politischen Konflikte von Ausländern auf unseren Straßen ausgetragen werden". Schließlich ist der Ausländer-Konflikt in erster Linie ein hausgemachter: Mit der politischen Unterstützung des Nato-Partners Türkei hat die Bundesregierung in dem seit 1984 andauernden Krieg stets das Vorgehen der Militärdiktatur in Ankara toleriert. Deutsche Panzer haben auch in Kurdistan mitgeschossen: Bewiesen ist, daß deutsche NVA-Logistik, die die Bundesregierung an die Türkei verschenkt hat, bei den Massakern des türkischen Militärs Verwendung gefunden hat. Auch bei dem - innerhalb der Europäischen Union erstmaligen - Verbot der Kurdischen Arbeiterpartei in der Bundesrepublik dürften die türkischen Hardliner Rückenwind verspürt haben.

Daß die Kurden bei der Bundesrepublik an der richtigen Adresse sind, in dieser Einschätzung könnte sie noch ein anderes Indiz bestätigt haben. Die engagierten Bemühungen der Bundesregierung, militärisches Gerät im Kosovo aufzufahren, könnten bei den Kurden den fälschlichen Eindruck erweckt haben, den Deutschen, insbesondere der rot-grünen Regierung, ginge es tatsächlich um die Herstellung ziviler Zustände in Krisengebieten oder um die Unterstützung gebeutelter Minderheiten. Bodentruppen an den Bosporus? Fehlanzeige. Auch in der Politik gilt: Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.