Ein Gouverneur für Kosovo

Die Pläne für ein internationales Protektorat in der südserbischen Provinz stehen. Ob Kosovo-Albaner und Jugoslawien diesen aber auch zustimmen, entscheidet sich bis Samstag

Erfolg kann so einfach sein. Als Wolfgang Ischinger, Staatssekretär im Bonner Auswärtigen Amt, Ende letzter Woche eine erste Bilanz der Kosovo-Konferenz in Rambouillet zog, kam er zu erstaunlichen Resultaten: Allein die Tatsache, daß bislang weder serbische Vertreter noch Kosovo-Albaner aus den Verhandlungsräumen ausgezogen seien, beweise, so Ischinger, daß die Balkan-Kontaktgruppe auf dem richtigen Weg sei. Der lang ersehnte Dialog zwischen den verfeindeten

Parteien sei endlich in Gang gekommen - zu guter Letzt werde doch noch miteinander geredet.

Ein mageres Resümee, wenn man bedenkt, was die Kontaktgruppe (USA, Großbritannien, Deutschland, Rußland, Frankreich, Italien) sich so alles vorgenommen hat für ihre Kosovo-Konferenz im Jagdschloß bei Paris. Drei Viertel des in Rambouillet vorgelegten Friedensplans, erklärte der britische Außenminister Robin Cook vor Beginn der Gespräche am 6. Februar, stünden bereits fest - den beiden Konfliktparteien bleibe gar nichts anderes übrig, als die Kontaktgruppen-Vorgaben zu akzeptieren. Über den Rest könnten sich Kosovo-Albaner und Serben dann im Laufe der Verhandlungen einigen.

Doch die Gespräche stocken. Bis zum Wochenende konnten Christopher Hill, US-Unterhändler in Rambouillet, der Österreicher Wolfgang Petritsch, der die EU bei den Gesprächen vertritt, und der russische Diplomat Boris Majorski die zerstrittenen Delegationen von Kosovo-Albanern und serbischer Regierung nicht zu der angestrebten Autonomie-Lösung für die südserbische Provinz zwingen.

Zunächst einmal verlängerten die Außenminister der Kontaktgruppe deshalb am Sonntag ihren Zeitplan für einen Abschluß der Gespräche. Nach einem Treffen in Paris verkündete der französische Außenamts-Chef Hubert Védrine das Ergebnis der Beratungen: Bis zum kommenden Samstag, 12 Uhr, müssen die Unterhändler aus Pristina und Belgrad sich auf einen Vertrag einigen. Was passiert, wenn sich die Konfliktparteien nicht an das Ultimatum halten, ließ Védrine ebenso offen wie sein deutscher Kollege Joseph Fischer - über Nato-Schläge wollten beide "nicht spekulieren".

Von einer Einigung über das angestrebte Ziel des Kontaktgruppe, im Kosovo ein internationales Protektorat unter Führung des Chefs der OSZE-Überprüfungsmission zu errichten, trennen Kosovo-Albaner und jugoslawische Führung aber weiterhin Welten. Beziehungsweise Luftangriffe.

Denn als die US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright am vergangenen Donnerstag zum ersten Mal direkt in die Verhandlungen eingriff, zeigte sie den beiden europäischen Vorsitzenden der Konferenz, Védrine und Cook, was die USA unter einer ordentlichen Konflikt-Schlichtung verstehen: "Unsere Diplomatie stützt sich auf die Anwendung von Gewalt." Die beiden Optionen im Falle eines Scheiterns von Rambouillet brachte Albright auch gleich mit: "Wenn die Serben für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich sind, werden serbische Ziele ins Visier genommen. Wenn die Albaner der UCK dafür verantwortlich sind, werden sie die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft verlieren, von der sie abhängen, um ihre Ziele zu verfolgen." Gegenüber dem serbischen Ministerpräsidenten Milan Milutinovic erneuerte sie am Wochenende die Drohung mit Nato-Luftangriffen.

Wie die Zurückhaltung Védrines und Fischers auf die Albright-Äußerungen zeigt, würden die Europäer einen Militärschlag gegen Jugoslawien am liebsten umgehen. Auch wenn Cook, der "Rambo von Rambouillet" (Süddeutsche Zeitung), die US-Forderung nach Nato-Angriffen unterstützt, wissen die EU-Vertreter, daß vor allem sie es sein werden, die die Kosten für den Wiederaufbau der zerstörten südserbischen Provinz übernehmen müssen. Zwar sind sich EU und USA insoweit einig, als ein möglicher Friedensvertrag mit rund 30 000 Mann Bodentruppen abgesichert werden soll - die zumindest in Reichweite liegende Unterstützung Rußlands für diesen Plan wollen sich die Europäer aber durch Angriffe auf serbische Ziele nicht wieder zunichte machen.

Vor allem der deutsche Außenminister und amtierende EU-Ratspräsident Joseph Fischer hatte auf Zustimmung des russischen Außenministers Igor Iwanow zu der westlichen Protektorats-Lösung gedrängt. Angesichts der EU-Ratspräsidentschaft kommt der Bundesregierung eine besondere Rolle bei den Verhandlungen zu. Zwar sitzt für die Europäische Union der Österreicher Petritsch am Verhandlungstisch, jedoch wird dessen Linie von einem Team der Ratspräsidentschaft unter Führung eines deutschen Sonderbotschafters koordiniert.

Ins Blickfeld gerät nach Verlängerung des Ultimatums daher weniger die Militärschlag-Option als die Details einer Nachkriegsordnung für das Kosovo. Vor allem die militärische Implementierung eines möglichen Abkommens bereitet Schwierigkeiten. Nachdem Großbritannien, Frankreich und Deutschland bereits vor Beginn der Gespräche in Rambouillet ihre Bereitschaft zur Entsendung von Truppen in die serbische Provinz signalisiert hatten, willigte zwar auch das US-Verteidigungsministerium letzte Woche ein, "etwa zehn Prozent" einer Kosovo-Einsatztruppe zu stellen. Die Zustimmung Rußlands zum militärischen Teil des Abkommens steht aber noch aus.

Möglicher Ausweg: Wie 1995 bei der Bosnien-Konferenz auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Dayton in Ohio könnte die Unterzeichnung des militärischen Vertragspassus durch Rußland zunächst verschoben werden. Der russische Präsident Boris Jelzin hatte die Abschnitte zur militärischen Implementierung des Abkommens erst drei Wochen nach Ende der Dayton Konferenz unterzeichnet - eine ähnliche Vorgehensweise, so Staatssekretär Ischinger letzte Woche, könnte die Zustimmung Rußlands erleichtern.

Bliebe noch die zivile Umsetzung des Abkommens. Die soll - da die USA aller Voraussicht nach die militärische Oberhoheit in der Provinz übernehmen werden - nach den Vorstellungen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft nicht nur möglichst europäisch, sondern vor allem ein bißchen deutsch ausfallen. Dezent bekundete Staatssekretär Ischinger gegenüber der Frankfurter Allgemeinen letzte Woche sein Interesse, "ohne aber derzeit genaue Forderungen zu haben".

Vielleicht helfen ihm ja die Verhandlungen auf die Sprünge. Da geht es in Rambouillet bis zum Samstag um die Gestaltung der dreijährigen Übergangsfrist, die Kosovo-Albanern und serbischer Regierung eingeräumt werden soll, bis über den endgültigen Status der Provinz erneut verhandelt wird.

Wie diese Transitionsphase aussehen soll, steht für die Balkan-Kontaktgruppe schon fest: Ihr Plan sieht vor, im Kosovo - innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Jugoslawien - einen Quasi-Staat zu errichten, im Vertrags-Entwurf unter dem Stichwort "demokratische Selbstregierung" geregelt. Die Provinz wäre dann zwar nicht - so die Forderung der Kosovo-Vertreter in Paris - unabhängig, stünde aber weitestgehend außerhalb der Rechtsordnung Jugoslawiens und Serbiens. Diese müßten ihre Verfassungen und Gesetze den Vorschriften des Vertrags anpassen, nicht umgekehrt.

Sollte der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic den Eingriffen in die Souveränität Jugoslawiens in den kommenden Tagen tatsächlich zustimmen, müßte er sich zumindest nicht mehr mit Ibrahim Rugova, dem selbsternannten Präsidenten der Kosovo-Albaner, herumschlagen. Um die inneren Angelegenheiten in der serbischen Provinz würde sich dann der noch zu benennende europäische Nachfolger des jetzigen Chefs der OSZE-Überwachungsmission, William Walker, kümmern.

Ausgestattet mit noch weiterreichenden Kompetenzen als Carlos Westendorp, dem Hohen Repräsentanten in Bosnien, soll der "Gouverneur eines internationalen Protektorats" (Neue Zürcher Zeitung) in den ersten drei Monaten nach Inkrafttreten des Abkommens nicht nur die paramilitärischen und irregulären Kräfte im Kosovo auflösen, sondern ist darüber hinaus auch befugt, Amtspersonen auszuwechseln.

Ein deutscher Gouverneur für das Amselfeld? Diese Aussicht dürfte auch Ischingers bisher so vagem "Interesse an einem deutschen Beitrag zu dieser Funktion der EU" Flügel verleihen. Auf personelle Vorschläge aus dem Hause Fischer darf man gespannt sein.