Arbeit am Weltbild

Akzeptierende Sozialarbeit im Leipziger "Treff 2" schafft Neonazis eine Homebase

In Leipzig-Grünau kehrt keine Ruhe ein. Anfang Oktober wurde eine iranische Flüchtlingsfamilie zweimal Opfer von Naziskin-Angriffen. Nachdem ein Freund der Familie auf dem Nachhauseweg von Naziskins zusammengeschlagen worden war, wurde zwei Wochen später auch der Sohn aus einer Gruppe von mehreren rechten Jugendlichen attackiert und verletzt.

Die Übergriffe waren der Beginn einer Angriffswelle: Am 29. Oktober wurde dann ein junger Mann von rund einem Dutzend Neonazis in der Straßenbahn zusammengeschlagen und schwer verletzt. Und eine "NSDAP Grünau" kündigte an, das Max-Klinger-Gymnasium im Stadtteil angreifen zu wollen. Am vergangenen Mittwoch wurde das Gebäude der Schule dann mit Hakenkreuzschmierereien versehen. Ausgangspunkt des rechten Terrors in dem Neubaustadtteil ist nach Angaben von BeobachterInnen der "Treff 2", ein Jugendclub im sogenannten Kirschberghaus in Grünau.

"Der Treff 2 macht ausschließlich Arbeit für und mit rechten Jugendlichen", bestätigt der zuständige Abteilungsleiter im Leipziger Jugendamt, Rainer Wischniewski. "Das sind keine Schmusekinder, die den Treff besuchen." Nach den Zielen der Arbeit des Treff 2 befragt, nimmt Wischniewski kein Blatt vor den Mund: "Es geht darum, zu kanalisieren, so daß die Jugendlichen nicht im öffentlichen Raum in Grünau rumhängen und die Bürger angehen." Bei der "hervorragenden pädagogischen Arbeit", die die drei angestellten Sozialarbeiter leisten würden, handele es sich in erster Linie um Einzelfallarbeit - "viele der Besucher haben Probleme mit Alkohol und Schulden". Aber es gehe auch darum, "an dem Weltbild der Jugendlichen zu arbeiten".

Die Konzepte hierfür sind denkbar einfach: Einer der drei Sozialpädagogen sei Hobbymusiker und würde den Skins die "Geschichte des Blues näher bringen, damit die nicht nur Oi-Musik hören". Zu diesem Zweck stehen den rechten Jugendlichen Proberäume zur Verfügung, in denen Naziskinbands mit eindeutigen Namen wie etwa "Odessa" und "Reichssturm" proben.

Wie sehr sich die drei Sozialarbeiter mit ihrem Klientel identifizieren, wurde deutlich, als linke Jugendliche in zwei spontanen Protestaktionen in Grünau und auch vor dem Kirschberghaus demonstrierten. Am Nachmittag des 18. Oktober wurde eine Gruppe linker Jugendlicher bei einer antifaschistischen Plakatier- und Flugblattaktion von fünfzehn Neonazis, die aus dem Kirschberghaus stürmten, angegriffen.

Von einschreitenden Sozialarbeitern war an diesem Nachmittag nichts zu sehen. Und als am 1. November rund 100 antifaschistische Jugendliche vor dem Kirschberghaus protestierten, wurden sie nach Augenzeugenberichten nicht nur von im Haus verschanzten Neonazis bedroht, sondern auch von den Sozialarbeitern mit Sprüchen wie "Ihr habt hier nichts verloren, das ist nicht euer Terrain" empfangen.

Auch Rainer Wischniewski weiß, wo er die Verantwortlichen für die zugespitzte Situation in Grünau suchen muß. "Die zwei Aufmärsche haben die pädagogische Arbeit von einem Jahr kaputtgemacht", lautet sein Kommentar. Zwar gehören zu den Besuchern vom Treff 2 auch nach seiner Analyse rechtsgerichtete, und sogar "vereinzelte rechtsradikale und rechtsextreme Jugendliche und junge Erwachsene". Aber die Sozialarbeiter würden schließlich darauf achten, daß keine Waffen mit ins Haus gebracht würden oder in der Gegend lagern.

Vorwürfe von AntifaschistInnen, daß in Treff 2 regelmäßig ranghohe NPD-Kader aus Leipzig und Umgebung zu Besuch seien, u.a. Daniel "Ossi" Oswald und der Ex-FAP-Kader Dirk Amende (jetzt NPD), weist Wischniewski zurück. Es habe vor ein paar Monaten Versuche der NPD gegeben, im Haus zu rekrutieren. Den Kadern sei aber Hausverbot erteilt worden. Wischniewski räumt allerdings ein, daß "wir nicht unsere Hand dafür ins Feuer legen können, daß da nicht mittlerweile Multiplikatoren unter den Besuchern sind". Die Gewalt gehe im übrigen nicht von Leipziger Neonazis aus, sondern von Hammerskins aus Halle und anderen Städten aus Sachsen-Anhalt, die zum Schutz des Treffpunkts anreisen würden.

Daß die Situation in Grünau angespannt ist, räumt auch Leipzigs Polizei ein. "Grünau ist gerade ein Schwerpunktbereich", sagt Polizeipressesprecherin Barbara Schunke. Die Polizei sei ständig vor Ort. Allerdings handele es sich in erster Linie um Probleme, die nicht mehr Aufgabe der Polizei, sondern des Jugendamtes der Stadt seien. Und die stellt sich gegenüber der massiven Kritik am Konzept des Treff 2 und dessen Sozialarbeitern taub. Im vergangenen Jahr wurde der Treff 2 mit rund

170 000 Mark bezuschußt. Jugendamtsabteilungsleiter Rainer Wischniewski hofft, daß der Treff 2 seine Arbeit fortsetzt und möchte gerne "vermitteln".