Manege frei für Menem

Der argentinische Präsident Menem besucht seinen einstigen Kriegsgegner in London

Sport ist das Steckenpferd des argentinischen Präsidenten Carlos Menem. Deshalb könnte es ihm sogar gefallen haben, sich bei seinem sechstägigen Besuch in London wenigstens in politischer Drahtseilartistik üben zu dürfen. Denn etwas Akrobatik mußte Menem schon zeigen: Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind seit dem Falklandkrieg schwer belastet. 1982 hatten Truppen der argentinischen Militärdikatur die Falklandinseln besetzt, auf die Großbritannien und Argentinien Ansprüche erheben. Die Regierung Margaret Thatchers reagierte mit Krieg und zwang die Argentinier nach 74 Tagen zum Rückzug.

Beim ersten Besuch eines argentinischen Staatsoberhauptes in Großbritannien nach 38 Jahren erwarteten die Briten vom Chef der peronistischen Partido Justicialista (PJ), Carlos Menem, entweder eine klare oder gar keine Aussage zum Konflikt um die kleinen Atlantikinseln. Aber Menem wollte sich das Thema "Malvinas", wie die Falklandinseln in Argentinien genannt werden, nicht aus der Hand reißen lassen. Er weiß, daß das mächtige argentinische Militär, das sich zwischen 1943 und 1976 dreimal an die Macht geputscht hatte, befriedet sein will.

So gedachte Menem zwar mit einer Kranzniederlegung der britischen Opfer des Falklandkrieges, beeilte sich aber sofort - entgegen der offiziellen Tagesordnung - die Falklandfrage wieder ins Spiel zu bringen.

Als Druckmittel benutzte Menem einen Gesetzesentwurf der PJ, wonach den Inselbewohnern die Fischerei in argentinischen Gewässern verboten werden sollte. De facto würde den 2 200 Einwohnern britischer Abstammung damit die Existenzgrundlage entzogen.

Die Falklanddiskussion diente letzte Woche aber nur als Aufhänger. Im Zentrum der Visite des argentinischen Staatschefs stand zum einen das einseitige Waffenembargo, das unter Margaret Thatcher 1982 gegen den damaligen Kriegsgegner verhängt worden war, zum anderen die Intensivierung der britisch-argentinischen Wirtschaftsbeziehungen. Im Gefolge Menems befanden sich entsprechend nicht sein Außenminister, sondern Wirtschaftsminister Roque Fern‡ndez mit Vertretern der Industrie.

Die Argumentation der Argentinier zur Aufhebung des Waffenembargos leuchtete dem britischen Außenminister Robin Cook ein: Argentinien sei eine stabile Demokratie geworden, die zusammen mit britischen Soldaten in Zypern und Bosnien ihre "Friedfertigkeit" unter Beweis gestellt habe. Nun dürfe man nicht mehr mit dem Irak in einen Topf geworfen werden und verlange Waffenlieferungen auch aus Großbritannien. Cook stellte eine Aufhebung des Embargos in Aussicht.

Zweites großes Anliegen der Peronisten: Den Briten Direktinvestitionen in die Pampa schmackhaft zu machen. Am Mittwoch waren mehr als tausend britische Geschäftsleute zusammengekommen, um Menems und Fern‡ndez' Worten zu lauschen. Die priesen die Erfolge der liberalen Wirtschaftspolitik und die Stabilität der Finanzmärkte in Argentinien an. Besonders stolz präsentierten der Staatschef und sein Wirtschaftsminister die Zahlen der bisherigen britischen Direktinvesitionen und feuerten die potentiellen Investoren im Publikum an, nach den drei Milliarden US-Dollar, die England seit 1990 bereits nach Argentinien gepumpt hat, bis 2001 noch einmal 1,6 Milliarden draufzulegen. Im "letzten Refugium" vor der weltweiten Rezession seien Investitionen besonders lukrativ und gut aufgehoben.

Menems Werbefeldzug war für ihn sicherlich eine willkommene Abwechslung von den Problemen zu Hause: Die Arbeitslosigkeit in Argentinien ist auf offiziell 17 Prozent geklettert, angesichts der katastrophalen Lohnsituation floriert die Schwarzarbeit, und Menems PJ muß sich nach den Unterhauswahlen vom letzten November um ihre Zukunft als Regierungspartei sorgen. Erstmals verlor die PJ ihre Mehrheit gegen "La Alianza", einen Zusammenschluß von enttäuschten Peronisten und Menschenrechtsaktivisten.

Die Gründe für den kühlen Wind, der Menem nach neun Jahren Herrschaft entgegenweht, liegen aber nicht nur in der Wirtschaftspolitik. Vor allem Korruptionsskandale in Menems Umfeld bieten eine gute Angriffsfläche für die Rivalen aus der Alianza, die Menems Nachfolge antreten möchten. Doch auch in der eigenen Partei gerät der Staatschef zusehends unter Beschuß: Eduardo Duhalde, Menems größter Widersacher in der PJ, grenzte sich während des London-Trips seines Chefs klar ab: "England gefällt mir nicht", sagte der Anwärter auf die nächste Präsidentschaft. Die Aussicht auf Waffen aus Großbritannien könnte Duhalde dennoch erfreuen, denn "die Rückeroberung der Malvinas", so der Peronist, "ist ein unumgängliches Ziel".