Arno Lustiger über das Mahnmal und die Shoah-Foundation

»Der Widerstand kommt nicht vor«

Arno Lustiger, Überlebender der Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald, hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder an der Debatte um das Mahnmal beteiligt. 1994 gab er das "Schwarzbuch über den Genozid an den sowjetischen Juden" heraus, das jahrzehntelang als verschollen galt. Zuletzt erschien von ihm: "Rotbuch. Stalin und die Juden"

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, hat vorgeschlagen, anstelle eines Holocaust-Denkmals eine theologische Hochschule aller Religionen in der Nähe des Brandenburger Tors zu bauen.

Eine solche Einrichtung kann kein Ersatz für ein Denkmal sein - das ist eine vollkommen andere Zielsetzung. Ich schätze die noble Gesinnung, die dahinter steht, aber ich kann mich mit dem Vorschlag nicht anfreunden, daß nach so vielen Jahren der Planung und verschiedener Initiativen etwas ganz anderes geschehen soll. Ich halte diesen Vorschlag für schlecht.

Die Befürworter des Mahnmal sind in der Defensive. Neuerdings werden das Holocaust-Museum und das Video-Archiv von Steven Spielberg favorisiert.

Die Videoaufzeichnungen handeln von den Überlebenden, das Denkmal hingegen ist den ermordeten Juden gewidmet. Diese beiden Anliegen haben nicht unmittelbar etwas miteinander zu tun. Vorstellbar wäre das Video-Archiv als Teil einer Gedenkstätte. Aber es ist kein Ersatz für ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Das Spielberg-Projekt wird jedoch als eine Lösung der bisherigen Debatte um die Konzeption eines Mahmals präsentiert.

Die Initiative von Lea Rosh und Eberhard Jaeckel kam sehr spät, aber sie war richtig. Sie war am richtigen Ort, am richtigen Platz. Das Projekt ist allerdings falsch angefangen worden. Die erste Wettbewerbsausschreibung hat mit ihrer Präambel die falschen Künstler angelockt. Manche der Vorschläge waren nicht abstrakt, sondern absurd. Sie standen in keinem Verhältnis zum Sinn und zur Zielsetzung des Denkmals.

Lange bevor der Name Spielberg und die Shoah-Foundation in der Diskussion waren, haben Sie dafür plädiert, ein Denkmal mit einer Gedenkstätte zu verbinden, die u.a. eine Gedächtnis-Bibliothek, eine Computerdatenbank und ein "Archiv der zerstörten Gemeinden" beherbergen sollte.

In den letzten Jahren hat sich auch in der Geschichtsschreibung durchgesetzt, daß oral history einen eigenen Stellenwert hat. Bis dahin zählten nur die Akten. Dabei wissen wir, daß weder die Akten der Nazis noch die der Sowjetunion die ganze Wahrheit über die Shoah enthalten.

Man muß die Erlebnisse, die Zeugenaussagen berücksichtigen. Und darum geht es mir: die Ermordeten zu personalisieren, ihre Biographien zu erfassen, Fotodokumente auszuwerten - so weit das möglich ist, muß das endlich geschehen. Das ist etwas anderes als die absurde Steinplatte, auf der die Namen eingraviert werden sollten.

Das geht nur mit Computertechnik, und ich bin froh, daß wir diese Möglichkeit heute haben. In Yad Vashem und anderen Gedenkstätten wird damit erfolgreich gearbeitet.

Wie viele andere Überlebende plädieren auch Sie für die Verbindung von Gedenken und Aufklärung.

Es fehlt nicht an wichtigen Arbeiten, die über den Holocaust aufklären. Aber die handeln nicht von den Opfern. In Yad Vashem, im Warschauer Jüdischen Historischen Institut, im Kibbuz der Ghetto-Kämpfer - überall warten noch Archive auf ihre Erforschung. Es ist noch längst nicht alles erfaßt. Damit sollte endlich begonnen werden. Auch sollte die Lebensspanne die uns Überlebenden und den Widerstandskämpfern noch gegeben ist, ausnutzen. Es ist höchste Zeit.

Ein Museum als Teil einer Gedenkstätte in Berlin könnte es leisten, an die einzelnen Menschen zu erinnern. Und die ganzen Kranzabwurfstellen sind nicht so wichtig wie die Erinnerung an einen Menschen.

Sie haben 1997 den Vorschlag in die Debatte eingebracht, eine Replik des Denkmals für den Warschauer Ghetto-Aufstand, das in Warschau und in Yad Vashem steht, als Mahnmal in Berlin nachzubauen.

Dieses Denkmal von Nathan Rapaport ist nicht nur ein Denkmal für die ermordeten Juden, sondern auch für den Widerstand. Der Gedanke des Widerstands kommt in der bisherigen Konzeption des Mahnmals nicht vor. Juden werden als wehrlos, als schuldig-passive Opfer dargestellt. Das ist nicht nur eine Beleidigung für die Ermordeten, sondern auch für die vielen jüdischen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer, die in der Résistance, bei den Partisanen oder in den alliierten Armeen für den Sieg über Deutschland gefallen sind.