Pflicht zur Denunziation

Im sächsischen Zittau mußten Taxifahrer ins Gefängnis, weil sie Flüchtlinge mitnahmen

Bernd L. hat einen Beruf, in dem er nur falsch entscheiden kann. Weil er falsch entschieden hat, sitzt er seit Mittwoch vergangenener Woche im Gefängnis. Er wurde zu einem Jahr und vier Monaten ohne Bewährung verurteilt. Voller Neid sieht der 47jährige auf so gefahrlose Berufe wie Seiltänzer und Feuerschlucker. Bernd L. ist Taxifahrer in Zittau - im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien.

Der Vorfall, für den er verurteilt wurde, liegt etwa drei Jahre zurück. Bernd L. hatte am Taxistand in Zittau drei Männer aus Jugoslawien in seinem Wagen mitgenommen. Schon einmal war L. von einem Gericht verwarnt worden, weil er illegal eingereiste Flüchtlinge tranportiert hatte. Er hätte anhand äußerer Merkmale wie Kleidung, Gepäck und Einsteigeort erkennen müssen, daß es sich bei den Fahrgästen um "Illegale" handelte. Und er hätte eine Beförderung verweigern können, belehrten ihn die Richter.

Diesmal wollte der Chauffeur auf der sicheren Seite sein. Als Taxifahrer hat Bernd L. eine sogenannte Personenbeförderungspflicht. Fahrgästen die Mitnahme zu verweigern, das ist eine Ordnungswidrigkeit. Tut er es dennoch, bringt er sich außerdem selbst um dringend benötigte Umsätze. Nimmt er hingegen ausländische Fahrgäste ohne Aufenthaltsrecht mit, so begeht er eine Straftat. Jedesmal, wenn ein Ausländer bei ihm mitfahren will, muß L. sich entscheiden, ob er damit eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit riskiert.

Diesmal sprach alles für seine Fahrgäste. Die Männer waren nicht irgendwo an der grünen Grenze, sondern mitten in Zittau in seinen Wagen gestiegen. Ihre Kleidung war trocken - nichts deutete darauf hin, daß sie durch die Neiße gekommen sein könnten. Und schließlich hatte sich der Chauffeur die Pässe der Männer zeigen lassen. Dazu wäre er eigentlich gar nicht berechtigt gewesen. Die Fahrt sollte nach Bautzen gehen. Doch nach wenigen Kilometern stoppte der in der Grenzregion allgegenwärtige BGS das Taxi und kontrollierte die Fahrgäste. Die hatten nicht das erforderliche Einreisevisum.

Die Gerichte verurteilten Bernd L. in drei Instanzen zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis. Bernd L. ist der erste Zittauer Taxifahrer, der deswegen ins Gefängnis mußte. Drei Kollegen folgen ihm bis Anfang November. Weitere Haftstrafen könnten um den Jahreswechsel herum rechtskräftig werden.

Über 100 Ermittlungsverfahren wurden im grenznahen Raum in Sachsen und Brandenburg in ähnlichen Fällen auf Betreiben des Bundesgrenzschutzes gegen Taxifahrer eingeleitet. Aus Mecklenburg-Vorpommern und Bayern sind solche Verfahren bisher nicht bekannt. Selbst in Berlin und Umgebung wurden vier Ermittlungsverfahren anhängig. Zwei davon sind mittlerweile eingestellt. In Brandenburg kam es allein im Bereich der Staatsanwaltschaft Cottbus zu drei Urteilen: Bewährungsstrafen und Entzug der Lizenzen.

Die benachbarte Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder lehnt es hingegen ab, Taxifahrer allein deshalb anzuklagen, weil sie Ausländer ohne Aufenthaltsrecht befördern. Sämtliche Ermittlungsverfahren, die auf Betreiben des BGS in Gang gesetzt werden mußten, hätten, so Staatsanwalt Eugen Larres, nicht den Nachweis liefern können, daß die Taxifahrer wußten, daß ihre Fahrgäste illegal eingereist waren. "Die Taxifahrer haben kein Recht, ihre Fahrgäste zu kontrollieren. Würden wir ihnen einen Pauschalverdacht gegenüber ausländischen Fahrgästen abverlangen, würde das Ausländerfeindlichkeit befördern."

Das sieht die Justiz in Sachsen anders. Im Landkreis Zittau-Löbau sind 22 von 73 Taxifahrern von Ermittlungsverfahren betroffen. Die Juristen stellen die Taxifahrer in eine Reihe mit der organisierten Kriminalität. In den Urteilen werden die Chauffeure als das letzte Glied einer organisierten Schleuserstruktur dargestellt. In keinem einzigen Fall jedoch haben die Gerichte nach Ansicht der VerteidigerInnen Karin Zebisch und Lothar Mau, die die Zittauer Taxifahrer vertreten, Beweise für diese These vorgelegt.

Der sächsische PDS-Landtagsabgeordnete Heiko Hilker hat mit einer Selbstanzeige auf die Tatsache aufmerksam gemacht, daß die Rechtssprechung zu den Taxifahrern jede Unterstützung illegal eingereister Ausländer kriminalisiere. Hilker legte daher der Staatsanwaltschaft mehrere Petitionen von Ausländern ohne Aufenthaltsrecht vor, die er als Mitglied des Petitionsausschusses im Landtag unterstützt hatte. Er habe sich, so Hilker, mit seinem Votum für ein legales Aufenthaltsrecht von illegal eingereisten Ausländern eingesetzt und sich folglich nach demselben Paragraphen zu verantworten wie die Taxifahrer. Ein Verfahren gegen den Abgeordneten wurde eingestellt. Die Überprüfung habe ergeben, daß Hilker sich nicht strafbar gemacht habe, hieß es. Anders als Bernd L., der ins Gefängnis mußte.