Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Mikl-s Pataky lebt als freier Journalist in Hamburg

An den 22. Juni 1974 kann ich mich sehr gut erinnern. Ich arbeitete in einer Düsseldorfer Werbeagentur und schrieb mehr oder weniger lustige Texte für Zahnpasten, die FDP und andere Markenartikel. Am 22. Juni guckte die halbe Agentur Fußball, allerdings mit mäßigem Interesse: Was wollen schon die von drüben?

Ich stand jedoch an jenem Tag vor einem Dilemma: Seit 1954, also seitdem die Deutschen in Bern uns Ungarn die Weltmeisterschaft geklaut haben (jawohl: geklaut!), drücke ich immer den Gegnern der Deutschen die Daumen. In anderen Disziplinen nicht, aber beim Fußball immer. Nur: Wem sollte ich beim Spiel BRD-DDR die Daumen drücken? Die Gegner waren ja auch Deutsche.

Ich kam schwer ins Grübeln. Denn einerseits hatten uns nicht die Ost-, sondern die Westdeutschen geschlagen, deren arglistiger Trainer Sepp Herberger im Endspiel infamerweise eine viel bessere Mannschaft aufstellte als die, die wir in der Vorrunde 8:3 geschlagen hatten. Andererseits argwöhnte ich, daß sich die DDR-Deutschen damals klammheimlich mitgefreut hatten, zumal 1954 noch längst nicht so auseinandergewachsen war, was heute immer noch nicht wieder zusammengewachsen ist. Doch wohl oder übel mußte ich mich entscheiden - schließlich kann man bei einem so wichtigen Ereignis nicht einfach standpunktlos dastehen -, und nach gründlicher Überlegung entschied ich mich für das kleinere Übel: Ich drückte der DDR die Daumen. Denn erstens haben uns die Westdeutschen die WM in Bern geklaut, und zweitens waren die DDR-Deutschen irgendwie unsere Schicksalsgenossen im Ostblock.

Allerdings machte ich mir keine großen Hoffnungen: Wenn die Westdeutschen sogar die beste Mannschaft der Welt geschlagen hatten, was sollten da die armen DDR-Leute gegen sie ausrichten? Als dann der Sparwasser respektlos - quasi unerlaubterweise - das Tor schoß und die DDR 1:0 gewann und die Westdeutschen mit einem ungläubigen "Ausgerechnet die?" reagierten, konnte ich mir eine Schadenfreude nicht verkneifen. Zwar scheint die Definition zu stimmen: "Fußball ist ein Spiel, da kämpfen 22 Leute um einen Ball und am Ende siegen die Deutschen", aber dieses eine Mal waren immerhin auch die Verlierer Deutsche.