Juppé stellt sich in der Rathaus-Affäre vor Chirac

Mea culpa

Am Dienstag letzter Woche erhielt Alain Juppé, der französische Ex-Premier, Post, die es in sich hatte: eine Vorladung des Untersuchungsrichters Desmure. Demnächst wird sich der konservative Politiker und derzeitige Bürgermeister von Bordeaux wegen "Hinterziehung öffentlicher Gelder", "Komplizenschaft und Hehlerei bei Amtsmißbrauch" und "schwerem Fall von Amtsmißbrauch" verantworten müssen.

Die Anklagepunkte beziehen sich auf den Zeitraum zwischen 1988 und 1995. In diesen Jahren hatte Juppé eine Doppelfunktion: als Finanzbeauftragter im Rathaus von Paris und als Generalsekretär der Gaullistenpartei RPR. Schon diese Ämterkonstellation gibt einen Hinweis, worum es geht: Dem neogaullistischen Politiker - der dann von 1995 bis 1997 die Posten des Regierungschefs und des RPR-Parteivorsitzenden bekleidete - wird vorgeworfen, er habe einen Teil der Hauptamtlichen des RPR-Parteiapparats aus dem Funktionsbudget des Pariser Rathauses bezahlt.

Insgesamt zwölf Posten im Pariser Rathaus sowie 26 Jobs bei "befreundeten" Unternehmen - Gesellschaften, die im Gegenzug für kleine Gefälligkeiten mit öffentlichen Aufträgen bedacht wurden - hat Richter Desmure bis heute ausfindig gemacht, deren Inhaber an ihrem offiziellen Arbeitsplatz gar nicht arbeiteten. Sie wurden vielmehr dafür bezahlt, im RPR-Apparat den Parteiaufgaben nachzugehen. Die meisten Jobs fallen in die Jahre 1994 und 1995. Kein Zufall: Am 7. Mai 1995 wurde Jacques Chirac, der in den Jahren von 1977 bis 1995 als Oberbürgermeister der Hauptstadt amtiert hatte, Präsident - mit Juppé als rechter Hand. Längst ist es ein offenenes Geheimnis, daß Karrierepolitiker Chirac das Pariser Rathaus mit seinem enormen Budget (es beschäftigt allein 40 000 Beamte) als Geldpumpe zur Finanzierung seines Aufstiegs ins höchste Staatsamt benutzt hatte.

Im Mai erst hatte die Boulevardzeitung Le Parisien von 300 "Scheinarbeitsplätzen" berichtet, die während der achtziger Jahre in Chiracs Rathaus bestanden hätten. Es verwundert daher nicht, daß der Führungsstab des Chirac-Fanclubs ein besonderes Bedürfnis an (kostenlosem, da vom Steuerzahler finanzierten) Personal aufwies, als das höchste politische Amt 1994/95 in greifbare Nähe rückte.

In einem TV-Auftritt berief sich Juppé darauf, daß es zur Zeit seiner Ernennung zum RPR-Generalsekretär 1988 noch kein Gesetz zur Legalität oder Illegalität von Parteienfinanzierung gegeben habe. Deshalb habe dieser Bereich in einer juristischen Grauzone gelegen.

Das stimmt zwar. Doch am 15. Januar 1990 wurde das erste Gesetz verabschiedet, das bestimmte Formen von Parteienfinanzierung (durch Privatpersonen und -unternehmen) erstmals ausdrücklich legalisiert und so aus der "Grauzone" holt, die Bezahlung von Parteien durch öffentliche Institutionen jedoch unter Strafe stellt. Die Vorfälle, die Juppé nun vorgeworfen werden, spielten sich aber nach Annahme dieses Gesetzes ab.

Geradezu auffällig war Juppé darum bemüht, Chirac, den Präsidenten, aus der Schußlinie zu nehmen: Er habe als seinerzeitiger RPR-Generalsekretär alle Entscheidungen alleine zu verantworten, der Parteipräsident - also damals Chirac - lege nur "die groben Richtlinien" fest; und er, Juppé, habe "nicht die Angewohnheit, meine Fehler auf andere abzuwälzen".

Nun wird in der Presse diskutiert, ob ein amtierender Präsident sich wegen Gesetzesverstößen, die nichts mit der Amtsführung nìach seiner Wahl zu tun haben, verantworten müsse. Das aber wird von den Juristen überwiegend abgelehnt.