Schönbohms Philosophie

Generalästhetik

Mark Siemons, der philosophierende Lokalreporter der FAZ, sieht etwas, was du nicht siehst. Es schreibt "deutsche Leitkultur", es verjagt Obdachlose und treibt Ausländer aus der Stadt. Es heißt Ö Jörg Schönbohms Ästhetik. (FAZ, 29. Juli)

Mark Siemons ist ganz schön pfiffig. Er sieht etwas, was wir alle bislang "der General", "klassisch deutschnationale Politik", "rassistischer Scheißdreck" oder ähnlich genannt haben. Er tauft es "Ästhetik der nationalen Repräsentanz", und schon glänzt es wie Karl Heinz Bohrerische Erhabenheit. Supertrick. Und das Rätsel, warum wir alle bloß auf so profane Namen gekommen sind, während er dem "ästhetischen Grundmotiv" endlich die verdiente Beachtung schenkt, löst Siemons auch gleich auf: Das liegt an der "vermeintlichen Evidenz". Vermeintliche Evidenz ist, wenn der Innensenator durch Berlin geht und sagt: Das ist nicht mehr Deutschland hier. Dann weiß Schönbohm selbst, was mit "Deutschland" gemeint ist, Siemons weiß es, Hegel weiß es, aber wir Goofies ahnen es nicht einmal: Eben die "Ästhetik der nationalen Repräsentanz", ihr Dummerchen. Und wenn ihr fragt, was das nun wieder ist - "willkürliche Setzungen" sind es halt, es ist ein "Gefüge von abstrakten Wesenheiten, deren Wirklichkeit offenbar nach Hegel mit ihrer Vernünftigkeit einhergeht". Offenbar, bzw. vermeintlich evident.

Schönbohm hinwiederum ist - wie vermutlich auch Siemons und Hegel - "unmittelbar zu den großen Wahrheiten, über die er spricht". Aus ihm spricht die Wahrheit, und er faßt sich kurz. Wenn die Spießer vom Diepgen-Senat ihm den Schampus kürzen, knurrt er: "Das hat hier doch alles keinen Stil." Und wenn ihm "Wagenburgen in der Mitte der Stadt (...), autonome Umtriebe, Graffiti-Sprayer oder eben größere Ansammlungen von Ausländern" die Sicht versperren, dann wettert er gegen "Parallelgesellschaften" oder "unkontrollierte Öffnung". Gemeint ist: Chaos.

Das Chaos muß weg, der Schampus muß fließen, diese Maximen bilden die Einheit der Schönbohmschen Generalästhetik: "Der gemeinsame Nenner der beiden Frontlinien gegen Kleinbürgertum und Chaos ist Schönbohms Sinn für Größe, Klarheit und Ordnung. Dieser Sinn kann sich notfalls sogar in der Love Parade ausdrücken, für die der Innensenator mit einer demonstrativen Baseballkappe auf dem Kopf eintrat (...)." Bedauerlicherweise hat Siemons gerade hier nicht genau genug hingeschaut und den Haut Gožt dieses lebenden Kunstwerks nicht erschmeckt: Während Schönbohm mit seiner "demonstrativen Baseballkappe" für die Love Parade "eintrat", traten seine Beamten auf Abschüblinge ein. Eine mögliche Reverenz an das Theater der Grausamkeit, vielleicht sogar ein "alle Kräfte bündelndes Gesamtkunstwerk": Schönbohm huldigt vor der Siegessäule mit Hunderttausenden Ravern Love, Peace and Happiness, und zur gleichen Zeit schubst man Asylanten, die in der Nacht aus ihren Betten gerissen wurden, in die bereitstehenden Chartermaschinen. Eine Inszenierung, die auch manchem Linken gefallen könnte, immerhin ermangelt sie der Rührseligkeit.

Um das zu schauen, hat uns Siemons die Augen geöffnet. Allzu bescheiden war er, sich selbst in seinem prachtvollen Gemälde, das er "Stil macht den Mann" betitelte, auszusparen. Wenn derjenige, der die Säuberungen durchführen läßt, ein Ästhet genannt zu werden verdient, wie nennen wir dann den, der uns die Schönheit der harten Hand zu sehen lehrt? Schönbohms Schöner? Jörgs Junker? Maler des Mackers? Ästhetenknecht? Willkürliche Setzung? Siemons, erleuchten Sie uns ein zweites Mal!