Flache Hierarchie im Alter

Das Bundesverfassungsgericht muß entscheiden, ob die Bundesregierung bei zwei Millionen Rentnern, vom ehemaligen ZK-Mitglied bis zur ehemaligen Balletteuse, weiter sparen darf

Es lohnt sich, in Auseinandersetzungen mit Rentnern auf Zeit zu spielen, denn die löst in jahrelangen Streitigkeiten manches Problem plötzlich wie von Zauberhand.

Sechs Jahre haben allerdings noch nicht genügt, um aus den Forderungen von DDR-Rentnern Peanuts zu machen: Mindestens eine halbe Milliarde Mark Nachzahlungen würde es die Bundesregierung kosten, wenn sie das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht um die Kürzung von DDR-Renten verliert. Diese Summe hat die Bundesregierung nach der Wiedervereinigung bei 330000 laufenden Zusatz- und Sonderrenten in den Jahren bis 1996 eingespart. Betroffen von den Rentenkürzungen sind zudem zwei Millionen Rentenanwartschaften aus 60 Berufsgruppen, von der Ballettänzerin, von Künstlern, Wissenschaftlern, Eisenbahnern und allen Beschäftigten im Staatsapparat bis zu den nach heutigen Maßstäben beamtenähnlichen Sonderversorgungssystemen für Volkspolizisten, Soldaten, Feuerwehrleute, Stasi- und Zoll-Bedienstete.

Der Gesetzgeber schaffte die aus seiner Sicht "überhöhten und ungerechtfertigten" Leistungen ab. Rentenansprüche wurden zum einen gekürzt, indem eine Beitragsbemessungsgrenze von 20000 Mark je Jahr vorgeschrieben wurde. Die tatsächlich in die Sonderversorgungen eingezahlten Beiträge von meist zehn Prozent des Einkommens wurden bei der Neuberechnung nicht berücksichtigt. Die zu berücksichtigenden Einkommen von MfS-Mitarbeitern wurden zudem vorab auf 70 Prozent des DDR-Durchschnittsgehalts abgesenkt. Das ergab schließlich eine monatliche Rente von maximal 802 Mark. Renten von Wissenschaftlern und Künstlern wurden auf maximal 2 700 Mark beschränkt.

Die Folge war nicht nur, daß die MfS-Rentner damit auf Sozialhilfeniveau gedrückt worden waren, sondern auch 20 000 Streitfälle vor Gerichten und Behörden. Diese sind zumeist ausgesetzt - alles schaut nach Karlsruhe.

Dort mußte sich der Vorsitzende Richter Hans-Joachim Jentsch am Dienstag vergangener Woche an die Begutachtung neun exemplarischer Einzelfälle machen. Darunter auch der Berliner Medizin-Professor Moritz Mebel, ein Fachmann für Nierentransplantation. Der heute 75jährige hatte sich in der DDR eine Altersversorgung von 4 100 Mark erworben. Wären seine Ansprüche bei der Überleitung in das bundesrepublikanische Rentensystem anerkannt worden, würde er heute gar 7 000 Mark gezahlt bekommen. Auch seine Bezüge wurden auf 2 700 Mark gekürzt. Nun, damit könnte man leben, doch zementiert wird damit auch das Ost-West-Gefälle.

Die DDR-Elite betreffend, ist das mehr oder weniger offen eingestandene Absicht. Nebenbei wurde aber auch bei einer ganzen Reihe von Berufsgruppen gespart, die man nur schwerlich zur DDR-Elite zählen kann. Auf die Frage der Verfassungsrichterin Renate Jaeger, warum ein Hausmeister des MfS anders eingestuft werde als der Hausmeister einer Schule, antwortete der Vertreter der Bundesregierung, der Parlamentarische Staatssekretär im Sozialministerium, Rudolf Kraus, dies sei eine dem Gesetzgeber erlaubte Typisierung, eine Unterscheidung nach Berufsgruppen sei eben nicht möglich gewesen, so sei die Rente von MfS-Angehörigen pauschal gekürzt worden.

Er beharrte darauf, daß die Kürzungen der Sonderrenten "systemnaher" Personen "keine individuelle Sanktion für Unrechtsnähe" darstellten. Wegen der aus Steuern zu finanzierenden Überleitung der Sonderrenten habe man aber auf die Akzeptanz im Westen achten müssen.

Mit Rücksicht auf die Bevölkerung im Osten begründete Peter-Michael Diestel, letzter DDR-Innenminister, die ersten und nach dem Anschluß verschärften Rentenkürzungen durch die letzte Volkskammer. Der Möllemann der Ost-CDU plauderte aus dem Nähkästchen: "Die Kürzungen der Renten für die Stasi-Leute haben wir nur gemacht, um kurzfristig den Volkszorn zu besänftigen." Heute nennt er das selbstkritisch "Opportunismus". Die aus damaliger Sicht "richtige" Entscheidung müsse knapp zehn Jahre nach der Einheit überdacht werden. Schon damals habe er den Generälen von NVA und MfS eine faire Behandlung zugesichert, wenn sich die Wendewogen wieder geglättet hätten.

Nicht ungeschickt versuchten die Anwälte der Kläger, die Richter auch bei ihrer "nationalen" Ehre zu packen. Der Anklagevertreter Axel Azzola argumentierte, die Bundesrepublik habe den "Amtswaltern des NS-Regimes" auf dem Grundsatz der politisch-moralischen Neutralität des Rentenrechts ihre Bezüge gewährt. Bis zu den Angehörigen der Reichs- und Gauleitungen wurde auf Kosten des Bundes bei der BfA nachversichert. Dagegen sei die derzeitige Praxis bei den DDR-Eliten verfassungswidriges "Rentenstrafrecht".