Der Krieg als Programm

In ihrem Kampf um ein Großalbanien kann sich die UCK auf den albanischen Ex-Präsidenten Berisha verlassen. Auch Präsident Nano setzt zunehmend auf die nationale Karte

Eine "Großoffensive" nannte es der Belgrader Radiosender B 92. Mit Panzern und Artillerie ging die jugoslawische Armee am vergangenen Wochenende in der südserbischen Provinz Kosovo vor, insbesondere an wichtigen Transportwegen. Berichte, die auch von der Gegenseite - den sezessionistischen Kosovo-Albanern - bestätigt wurden. Dort ist außerdem von "Heldentaten" der Kosovo-Untergrundarmee UCK und Plünderungen durch serbische Polizei und Bevölkerung im Kosovo die Rede.

Die Kämpfe vom Wochenende gelten als die bisher schwersten im Konflikt um die Unabhängigkeit Kosovos, der in diesem Jahr bereits mehr als 500 Todesopfer gefordert haben soll. Dabei wollen sich USA und Europäische Union verstärkt um eine Verhandlungslösung bemühen. Und während am Freitag der selbsternannte Präsident der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, mit dem US-Diplomaten Christopher Hill konferierte, bot der serbische Präsident Slobodan Milosevic der Provinz einen Autonomiestatus an, wie sie ihn schon vor 1989 hatte. Damals hatte er selbst diesen Status abgeschafft.

Doch am Sonnabend schien das Thema Verhandlungen vom Tisch. Rugovas LDK appellierte an USA, Nato, UN und EU, die serbische Offensive "dringend" zu stoppen. Auch das Nachbarland Albanien schaltete sich ein: Auf seinem Gebiet seien Granaten jugoslawischer Truppen niedergegangen, hieß es in Tirana. Daraufhin habe die albanische Armee das Feuer erwidert.

Zwischen Kosovo und Albanien versteht man sich schon seit einigen Jahren hervorragend. Als im März 1992 Sali Berisha zum albanischen Präsidenten gewählt wurde, war Rugova einer der ersten Gratulanten: "Dieser Sieg ist für den Kosovo sehr bedeutsam, weil Albanien jetzt mit einer neuen Autorität die internationale Bühne betreten wird", beglückwünschte der international als Präsident nie anerkannte Rugova seinen Kumpanen.

Berisha revanchierte sich mit der Anerkennung der "Republik Kosovo": Auf das "Mutterland", so Berisha damals, könnten sich die Kosovo-Albaner verlassen. Nicht mehr lange, und man werde die "Balkanmauer" zwischen Albanien und dem Kosovo niederreißen. Gefallen ist sie noch nicht, doch sechs Jahre, nachdem Berisha zum ersten Mal die Kosovo-Karte spielte, ist die "Mauer" so durchlässig wie nie zuvor. An der albanisch-jugoslawischen Grenze herrscht inzwischen reger Verkehr. Nach Albanien strömen seit Ausbruch der Kämpfe zwischen serbisch-jugoslawischen Einheiten auf der einen und Kräften der UCK auf der anderen Seite Tausende von Flüchtlingen, um sich in Sicherheit zu bringen. Viele von ihnen kehren jedoch in den Kosovo zurück.

Wie inzwischen auch OSZE-Beobachter bestätigen, sind die gerade geflohenen Männer, die im Norden Albaniens ausgebildet werden, wichtigstes Rekrutierungspotential der UCK. Von Grenzsicherung seitens der albanischen Regierung kann keine Rede sein: Auf 140 Kilometer sind nicht mehr als siebzig Grenzschützer im Einsatz, die noch dazu meist zu Fuß unterwegs sind - ein Paradies für Waffenschmuggler. Im nordalbanischen Tropoja, der Geburtsstadt Berishas, geben sich denn auch Waffenhändler und kampfbereite Flüchtlinge die Klinke in die Hand.

Als "eine Art Waffenbasar" beschreiben CNN und die Frankfurter Rundschau (FR) den Wohnort des Berisha-Clans. Waren Kalaschnikows zu Beginn des Konflikts noch für fünfzehn US-Dollar zu haben, sind die Preise inzwischen auf rund hundert Dollar gestiegen. Für Nachschub ist gesorgt: Während der bürgerkriegsähnlichen Unruhen im vergangenen Jahr verschwanden in Albanien mindestens 600 000 Waffen aus Armeebeständen, von denen sich nicht wenige bereits im Kosovo wiederfinden. Tropoja liegt nur zehn Kilometer von der Grenze entfernt, die schmalen Bergpfade können auch die serbischen Truppen nicht sichern.

Berisha nutzt die Situation auf seine Weise: Daß er seinen großalbanischen Traum nur auf kriegerischem Weg realisierbar sieht, verbindet ihn mit den UCK-Rebellen. Unbedrängt von den staatlichen Autoritäten, die im Norden des Landes kaum über Einfluß verfügen, residiert nach Informationen der FR eine UCK- Kommandozentrale in seinem Familienhaus.

Berishas Unterstützung der bewaffneten Kämpfer ist nicht neu. Schon im März hatte er seinen Teil zur Eskalation der Kämpfe in der südserbischen Krisenprovinz beigetragen, als er "alle Albaner in Albanien, im Kosovo, und wo immer sie sonst leben", aufrief, "als eine Nation gegen die serbischen Aggressoren im Kosovo vorzugehen". Damit hat Berisha inzwischen seinen Nachfolger im Amt des Staatspräsidenten, den Sozialisten Fatos Nano, zu nationalistischen Zugeständnissen gebracht. Befürwortete Nano bis Anfang Juni noch eine Autonomie des Kosovo innerhalb des jugoslawischen Staatenverbandes, fordert er nun eine stärkere Unterstützung für die UCK. Bei einem Treffen mit Vertretern der Westeuropäischen Union (WEU) in Tirana erklärte Nano Anfang vergangener Woche, daß sich die Krise im Kosovo nicht länger auf friedlichem Wege lösen lasse. Die Nato solle nun endlich serbische Stellungen angreifen. Das albanische Staatsfernsehen verbreitete in der letzten Woche eine Botschaft der UCK: Alle Albaner, in welchem Land auch immer sie lebten, sollten sich "in den Dienst des Kampfes für die Befreiung des Kosovo stellen" - eine Wiederholung des Berisha-Aufrufs vom März.

Die Botschaft ist eindeutig: Sollte die Kontaktgruppe der Forderung nach Unabhängigkeit des Kosovo nicht nachkommen, steht eine Ausweitung der Kämpfe auf Mazedonien und Montenegro auf dem Programm. Unweigerlich würden Griechenland und Bulgarien in den Konflikt mit einbezogen - die Eskalation zu einem Balkankrieg wäre erreicht, die Südflanke der Nato in Gefahr. Sollte das nordatlantische Bündnis seine früheren Drohungen wahr machen und der Aufforderung Nanos zu Luftangriffen folgen, dürfte die UCK dies als Aufforderung zur Ausweitung ihrer Aktionen dankend annehmen - diesmal jedoch international abgesegnet.

"Wir sprechen die einzige Sprache, die die serbische Führung versteht: Gewalt", sagte der offizielle UCK-Sprecher Jakup Krasniqi Anfang Juli in einem Interview dem Spiegel und hatdamit die UCK-Strategie auf den Punkt gebracht. Der Krieg ist das Programm; wenn notwendig auf den ganzen Balkan ausgeweitet. "Unser Ziel ist die Vereinigung aller Albaner auf dem Balkan. (...) Wir bekommen mittlerweile genug Waffen, und wir besitzen auch Flugabwehrraketen", ergänzte er.

Die Strategie von Krasniqi und Berisha scheint aufzugehen. Obwohl die Ausbildung von Kosovo-Kämpfern auf albanischem Territorium von internationaler Seite bestätigt wurde, rügten die USA in der letzten Woche nicht die albanische, sondern die serbische Regierung und warf dieser eine "nicht hinnehmbare Verletzung der Souveränitätsrechte Albaniens" vor.