Eine Stadt als Mahnmal

Im kroatischen Vukovar hat sich seit Ende des Krieges kaum etwas verändert

Der Hoffnung auf einen Freispruch beraubt, zog er die Konsequenzen: Ende Juni erhängte sich der ehemalige Bürgermeister der ostslawonischen Stadt Vukovar, Slavko Dokmanovic, in seiner Zelle in Den Haag. Seit Juni vergangenen Jahres saß der Serbe dort ein. Vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal wurde ihm vorgeworfen, als Bürgermeister der damals vorwiegend von Serben bewohnten Stadt im November 1991 an einem Massaker an 260 kroatischen Zivilisten teilgenommen zu haben.

Selbstmord scheint bei den in Kroatien verbliebenen Serben zur Zeit zu einem traurigen Trend zu gehören - selbst wenn sie nicht an Kriegsgreueln beteiligt waren. Besonders in Vukovar. Fragt man den Chef der Filiale des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR), Mike Aitchinson, nach dem Weg zu seinem Hauptquartier, verweist er auf markante geographische Punkte: "Wenn Sie durch das Zentrum kommen, finden Sie rechts einen völlig zerschossenen Wasserturm, an dem sich vielleicht wieder einmal einer erhängt hat." Obwohl der Wasserturm nur noch zum Abriß taugt, blieb er bisher stehen. Als Mahnmal. Oben weht eine riesige kroatische Flagge.

Symbolträchtig wirkt auch der zerschossene Bahnhof des Donaustädtchens. Die wenigen Züge, die hier durchfahren, halten an einem Nebengebäude. Die Ruine selbst hat keine Funktion mehr. Außer einer - aus einem Fenster hängt eine große kroatische Flagge. Ebenso gespenstisch wirkt das Stadtzentrum. Drei Jahre nach der Rückeroberung der Stadt durch die kroatische Armee sehen die Ruinen noch immer aus wie frisch zerbombt. Nur wenig wurde renoviert. Zwei Cafés haben geöffnet, ein paar Männer sitzen am Gehsteig zwischen den Bombenkratern. Auf der anderen Straßenseite versuchen Polizisten Autos zu kontrollieren. Viel zu tun haben sie nicht, für die Zivilbevölkerung sind Fahrzeuge Mangelware. Die einzige Obstverkäuferin, die am großen, aber leeren Marktplatz ihre Ware anbietet, sieht verzweifelt aus. Von dem wenigen Geld, das die Menschen in Vukovar besitzen, werden sie sich keine braunen Bananen kaufen.

"Dollar? Deutschmarks?" Der freundliche Einheimische in T-Shirt, Bermudas und Badeschlappen begrüßt ausländisch anmutende Besucher. Doch außer Journalisten verirrt sich kaum jemand nach Vukovar. Selbst für sensationsgeile Kriegstouristen dürfte die Stadt zu unsicher wirken. Wiesen, Felder und sonstige freien Flächen sollte man möglichst nicht betreten. Tausende Tellerminen warten dort auf vergeßliche Opfer. Minenräumkommandos wurden schon lange nicht mehr gesehen.

Vukovar, einst Zentrum der Kämpfe zwischen Kroaten und Serben, wirkt wie eine Geisterstadt. Mike Aitchinson will nicht ausschließen, daß politisches Kalkül dahinter steckt: "Die kroatische Regierung verhindert mit zahlreichen Tricks, daß die 1991 geflohenen Kroaten wieder zurückkehren." Schließlich hatte der Krieg in Ostslawonien auch propagandistische Effekte. Die kroatische Nation, heißt es noch heute in den Think-Tanks Kroatiens, habe durch den Kampf ihre Einheit bewiesen. Und gerade Vukovar zeige die ungebändigte Zerstörungswut der Serben. In diese Schablone paßt die Rückkehr ehemaliger Bewohner nicht.

Tatsächlich haben die Serben zwischen 1991 und 1995 in Vukovar gewütet: 90 Prozent der Häuser wurden zerstört, Tausende Menschen beider Kriegsparteien wurden getötet, noch mehr mußten fliehen. Daß die Kroaten die "Heimholung" Vukovars trotz hoher militärischer Risiken 1995 mit großer Energie betrieben, ist nicht verwunderlich: Als Donauhafen ist Vukovar von besonderer strategischer Bedeutung. Und die Eroberung durch die Serben im November 1991 setzte den Kroaten lange zu. "Es gibt keinen Frieden, bevor Vukovar nicht wieder kroatisch ist", ließ die Regierung in Zagreb verkünden, als sich die Anzeichen für einen kroatischen Aufmarsch im August 1995 mehrten.

Heute ist Vukovar kroatisch und Frieden gibt es auch. Allerdings ist der nicht besonders stabil. Die internationale Gemeinschaft weiß das: Nach wie vor sind 180 Uno-Polizisten und eine OSZE-Delegation vor Ort. An den Einfahrten sind Straßensperren errichtet, beinahe jedes Auto wird kontrolliert. Doch Waffenfunde halten sich in Grenzen. Kaum jemand fährt in die Geisterstadt, umso mehr aber finden den Weg heraus. Meist sind es Serben, die, wenn doch einmal ein Kroate in seinem ehemaligen Haus wohnen möchte, meist den kürzeren ziehen. Zwar besagt ein Vertrag zwischen der kroatischen Regierung und Vertretern der Serben, daß niemand einfach so rausgeschmissen werden darf, doch im Alltag bleibt es meist beim "einfach so".

Die OSZE muß zugeben, daß Gerichtsprozesse über die Rückgabe eines Hauses an einen Kroaten grundsätzlich zu dessen Gunsten entschieden werden. Wenn es zu keinem Verfahren kommt, greifen manche Kroaten zu mehr oder weniger sanftem Psychoterror, um Serben als "Hausbesetzer" loszuwerden. Umgekehrt bedarf es dieses Aufwandes nicht: Im Gebäude des UNHCR-Hauptquartiers, das einem Serben gehört, befindet sich auch ein kroatisches Geschäft. Miete muß nicht bezahlt werden - der Serbe wohnt inzwischen in Belgrad.

Aitchinson schätzt, daß langfristig nur 30 000 Serben in Ostslawonien bleiben werden. Zur Zeit sind es 70 000. Und weil die kroatische Regierung sich bisher erfolgreich gesträubt hat, die Gegend für "eigene Landsleute" attraktiv zu machen, bleibt Vukovar wohl, was es bisher war: ein lebloses Mahnmal.