Kleine Gewaltträume aus der Szene

Keine Beweise, ein paar Indizien: Bewährungsstrafe für eine 45jährige Kölnerin wegen Mitgliedschaft in der Roten Zora

Herbert Schmid konnte einen gewissen Respekt kaum verbergen. In "umfangreicher logistischer Arbeit" seien mindestens neun weibliche Personen unterwegs gewesen, um die Brandsätze in den Filialen des Bekleidungs-Discounters Adler abzustellen. Mit akribischer Genauigkeit hätten die Frauen der Roten Zora an jenem August-Wochenende 1987 alle Zündverzögerer so eingestellt, daß sie exakt acht Stunden später die Brandsätze zum Brennen brachten.

Gute Planung und ordentliche Durchführung dürften zu den Tugenden gehören, denen ein Mann wie Herbert Schmid einiges abgewinnen kann. Denn wer ihn aus den zahlreichen Prozessen kennt, die er in den achtziger Jahren gegen RAF-Mitglieder im Stammheimer Mehrzweckgebäude geführt hat, weiß, was der Vorsitzende des 5. Strafsenats beim Stuttgarter Oberlandesgericht (OLG) mag: Ruhe, Ordnung und Disziplin. Wer im falschen Moment hustet, wird des Saales verwiesen. Wer ihn beschimpft, bekommt das spätestens beim Urteilsspruch zu spüren. Herbert Schmid weiß schließlich, wie man mit Terroristen umgeht.

Am vergangenen Freitag jedoch, so schien es, hatte der Jurist Kreide gefressen. Dabei war es wohl weniger die technische Versiertheit der militanten feministischen Frauengruppe, die ihn während seiner Urteilsbegründung gegen Corinna K. hatten zurückhaltender werden lassen. Fernab des berühmt gewordenen Stuttgarter Vororts, im kleinen Saal 18 des OLG im Zentrum der Schwabenmetropole, mußte Schmid ein bescheidenes Resümee ziehen: Weder die jahrelangen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft (BAW) noch der knapp dreimonatige Prozeß konnten beweisen, daß die 45jährige Kölnerin an den Adler-Anschlägen beteiligt war.

Daß sie dennoch wegen der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" zu eineinhalb Jahren Haft, auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, verurteilt wurde, wirkte da schon beinahe wie ein juristisches Kunststück. Denn es waren nur wenige Indizien, die den Staatsschutzsenat zu dem Schluß kommen ließen, die Angeklagte sei mindestens von Juni bis Dezember 1987 Mitglied der Gruppe gewesen: Die Teilnahme an zwei angeblich konspirativen Treffen, den Fund eines für den Bau von Zeitzündern nutzbaren Weckers in K.s Wohnung und die Tatsache, daß sie etwa zeitgleich mit drei weiteren mutmaßlichen Mitgliedern der Revolutionären Zellen (RZ) und der Roten Zora abgetaucht war und daraufhin acht Jahre in der Illegalität gelebt hatte.

Richter Schmid entwarf ein reichlich einfaches Szenario: Wer so lange Zeit unfreiwillig im Exil bleibt, muß irgendwie Dreck am Stecken haben. Schließlich sei der Kölnerin auch im Ausland nicht entgangen, daß Ingrid Strobl wegen Kauf eines Weckers 1990 nicht als Rote Zora-Mitglied, sondern lediglich der "Beihilfe zu einem Sprengstoffvergehen" verurteilt worden sei. Zudem "endeten auch alle anderen RZ-Verfahren für die Bundesanwaltschaft in Niederlagen", fügte der Gerichtsvorsitzende mit leichtem Seitenblick zu den roten Roben auf der Anklägerbank hinzu.

Ihn konnte, daran ließ der Jurist an diesem Tag keinen Zweifel, die Arbeit der Karlsruher Strafverfolger nicht so richtig zufriedenstellen. Die nämlich hatten zwar eine Woche zuvor auch "nur" auf eine Verurteilung von zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung plädiert, allerdings die Schuld K.s mit einem gewagten Indiziengebäuden begründet.

Und diesem Gebilde wollte selbst ein erfahrener Staatsschutzrichter wie Schmid nicht uneingeschränkt folgen. So schien ihm die "Kontaktheorie", nach der die Kölnerin allein wegen ihrer persönlichen Nähe zu gerichtsbekannten RZ-Mitgliedern verdächtig sei, kein taugliches Mittel zur Beweisführung. Auch im 1982 geschriebenen Buch der ehemaligen taz-Redakteurin und Krimi-Autorin - "wir haben den Roman sorgfältig gelesen" - fand das Gericht nicht, was die Bundesanwälte gern hineininterpretiert haben wollten. In der "Zora Zobel" seien zwar "kleine Gewaltträume" aus der Hausbesetzerszene zu lesen, aber das gebe nur ein Indiziengeflecht dafür her, daß die Angeklagte den RZ "als Beobachterin nahestand". Das fand Schmid doch auch etwas wenig.

Was blieb, war also noch jenes "Mindestmaß an Einlassungen", das Corinna K. nach ihrer von Verfassungsschützer "Hans Benz" unterstützten Rückkehr aus der Illegalität im Oktober 1995 gegenüber dem Karlsruher Haftrichter gemacht hatte. Dort hatte sie eingeräumt, daß jener Wecker der Marke Emes-Sonochron möglicherweise für einen Zeitzünder hätte Verwendung finden sollen. Zudem sei sie an den beiden vermeintlich konspirativen Treffen beteiligt gewesen. Was aber bei diesen Meetings, denen neben ihr die noch flüchtigen Adrienne G. und Juliane B. sowie die Hamburgerin Ulla P. beiwohnten, tatsächlich stattgefunden hatte, konnte bis heute nicht aufgeklärt werden.

Immerhin weiß Richter Schmid: Es könnte um interne Auseinandersetzungen zwischen Männern und Frauen der beiden Gruppen gegangen sein. Schließlich lese sich ein Bekennerschreiben, dessen kopierte Reste in der Sickergrube eines Wochenendhauses gefunden worden waren, wie eine "Solidaritäts- und Unterwerfungserklärung der RZ an die Rote Zora".

Keine Frage: Beim Stuttgarter Staatsschutzsenat hatte man sich recht genau in den Komplex Rote Zora/RZ eingearbeitet. Schließlich sollte mit dem für "Terroristenprozesse" milden Urteil, das nicht zuletzt der freiwilligen Rückkehr der Angeklagten zu verdanken ist, eine Weg für die noch Flüchtigen vorgegeben werden. Ob der Richterspruch allerdings Signalwirkung für Adrienne G. und Juliane B. haben wird, scheint fragwürdig. So zeigte Schmid keinen Zweifel daran, daß er die beiden im Gegensatz zu Kawaters für "zentrale Mitglieder" der Roten Zora hält.

Bereits vor wenigen Wochen ließ die BAW durchblicken, man werde wohl fünf Jahre Haft für die Frauen fordern. Die jetzt Verurteilte kann sich "kaum vorstellen", daß die beiden zurückkommen, wenn sie hier fünf Jahre Haft erwarten. Auch sie ist von dem Richterspruch stärker betroffen, als dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Dabei dürften die 45jährige weniger die 200 Arbeitsstunden stören, die sie zudem in einem Projekt ableisten soll, als die "sicher 100 000 Mark Prozeßkosten", die die Arbeitslose nach eigener Einschätzung bezahlen muß.