Cornelie Sonntag-Wolgast

»Die SPD war es nicht alleine«

Nur noch in Ausnahmefällen soll geduldeten und ausreisepflichtigen Flüchtlingen Sozialhilfe gezahlt werden. Darin sind sich Regierung und SPD einig. Der Versuch, das 1993 als Flüchtlingssonderrecht geschaffene Asylbewerberleistungsgesetz ein zweites Mal zu ändern, scheiterte Anfang März denn auch weniger am fehlenden Willen, sondern am Unwissen der Parlamentarier darüber, welche Flüchtlingsgruppen von den Kürzungen betroffen sein würden. Inzwischen herrscht Klarheit: Noch diese Woche könnte ein verschärfter Koalitionsentwurf den Bundestag passieren. Auch illegal Eingereiste würden dann von den Leistungen ausgenommen. Die Koalition konnte dabei auf eine SPD-Vorlage aufbauen: Der Gesetzentwurf stammt ursprünglich aus dem niedersächsischen Innenministerium. Cornelie Sonntag-Wolgast ist Asylpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion und Spitzenkandidatin der SPD Schleswig-Holstein für die Bundestagswahl.

Zugespitzt könnte man sagen, daß die SPD 1993 den Asyl-Artikel 16 geopfert hat, um Artikel 1 des Grundgesetzes zu retten. 1998 nun ist den Sozialdemokraten auch die Würde des Menschen nicht mehr unantastbar. Mit der Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes werden einer großen Gruppe von Flüchtlingen grundlegende soziale Menschenrechte gestrichen. Wie kommt es zu dem Sinneswandel?

Also erst einmal muß ich sagen, daß es nicht die SPD alleine war, die das Grundrecht auf Asyl eingeschränkt hat. Da waren CDU und FDP im Bundestag ebenso daran beteiligt. Und die jetzige Diskussion um das Asylbewerberleistungsgesetz geht ja zurück auf eine Initiative des Bundesrates. Die SPD an sich ist nicht auf die Idee gekommen, Leistungen für Asylbewerber noch weiter einzuschränken, als das bisher der Fall ist. Insofern sehe ich für unsere Partei und unsere Bundestagsfraktion keinen Wandel in den Meinungen.

Aber noch 1993, als das Asylbewerberleistungsgesetz eingeführt wurde, setzte sich die SPD dafür ein, daß die Leistungsstreichungen auf ein Jahr begrenzt blieben. Mit der ausdrücklichen Begründung, daß "die Verletzung der Menschenwürde durch Heimunterbringung und Geldentzug nur für eine begrenzte Zeit zumutbar" sei. Bei der ersten Novellierung des Gesetzes 1997 dann stimmte die SPD einer Spanne von drei Jahren zu. Wenn das kein Sinneswandel ist .

Es geht hier nicht um die SPD. Die Änderung des vergangenen Jahres, also die Ausweitung der abgesenkten Sozialhilfeleistungen, ist vom Vermittlungsausschuß angenommen, jedoch von der SPD-Bundestagsfraktion abgelehnt worden. Das muß man auseinanderhalten, denn langsam werde ich ärgerlich, wenn immer zu hören ist, die SPD mache dieses und jenes. Richtig ist, daß die SPD bereits 1993 gesagt hat, es ist eigentlich nicht erträglich, abgesenkte Sozialleistungen länger als eine bestimmte Zeit - nach dem Asylrechtskompromiß ursprünglich drei oder sechs Monate - aufrechtzuerhalten. Ein Jahr für die Absenkung war dann das Äußerste. Das, was im vergangenen Jahr geschehen ist - die Streckung der Streichungen auf insgesamt drei Jahre - hat die Fraktion aus den Gründen, die Sie eben schon skizziert haben, abgelehnt.

Dennoch wird man den Eindruck nicht los, daß die Arbeitsteilung ganz gut klappt: Die Bundestagsfraktion fungiert als gutes Gewissen der Partei, während sich letzten Endes Hardliner wie der niedersächsische SPD-Innenminister Gerhard Glogowski durchsetzen - dessen Positionen mit denen von Bundesinnenminister Manfred Kanther weitgehend konform gehen.

Bei den jüngsten Änderungsvorschlägen zum Asylbewerberleistungsgesetz kam die Initiative tatsächlich aus den Bundesländern. Zwar ist sie nicht ursächlich von Niedersachsen ausgegangen, sondern von Berlin. Aber Niedersachsen und andere SPD-Länder haben diese Vorschläge in der Tat weiter bearbeitet und favorisieren sie, allerdings jetzt in abgewandelter Form. Doch auch bei den SPD-regierten Ländern gibt es Unterschiede: Die rot-grünen Länder haben sich bei der Abstimmung entweder der Stimme enthalten oder auch - wie beispielsweise Schleswig-Holstein - das Gesetz abgelehnt.

Der von der Regierung jetzt eingebrachte Vorschlag, auch sogenannte "illegal" eingewanderten Flüchtlinge von den bislang gewährten Leistungen auszunehmen, ist ja so neu nicht. Auch er stammt ursprünglich aus Niedersachsen und wurde Anfang des Jahres erst auf massiven Druck von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden zurückgezogen. Hat die SPD in den Ländern den Einstieg in einen Diskurs, der die gesellschaftliche Ausgrenzung von Flüchtlingen mit Kennzeichnungen wie "illegal" und "kriminell" betreibt, nicht längst vollzogen?

Nein, so sehe ich das nicht. Es können zwar manche Dinge, die von einzelnen Ländern vorgebracht werden, diesen Eindruck erwecken. Aber es gibt deutliche Unterschiede in der Ausländerpolitik und in der Frage, wie human man mit Flüchtlingen und Asylsuchenden umgeht, zwischen CDU und CSU einerseits und den SPD-regierten Ländern andererseits. Eine Kampagne, wie sie jetzt von der CSU angezettelt werden soll, mit weiteren Verschärfungen im Ausländerrecht und mit dem erklärten Willen, das Thema zum Wahlkampfthema zu machen, werden Sie bei der SPD nicht entdecken - weder in der Fraktion noch in den Ländern.

Aber auch in der SPD herrscht inzwischen ein Sprachgebrauch vor, der Flüchtlinge in "kriminelle" und "geduldete" unterteilt. Da macht es keinen Unterschied, ob der Innenminister einer rot-grünen Regierung vorsteht oder einer schwarzen: Asylsuchende, die ihre Pässe weggeworfen haben, werden als Straftäter angesehen. Abgeschoben werden sie aus dem CSU-regierten Bayern ebenso wie aus dem rot-grünen Hessen.

Man muß wissen, daß viele Flüchtlinge und Asylsuchende keine andere Wahl haben, als illegal - das heißt, ohne ordnungsgemäße Papiere oder Visa - einzureisen. Sie von vornherein wie Kriminelle zu behandeln, halte ich für falsch. Eindeutig. Wenn sich einzelne Beamte in den Ministerien so äußern, dann müssen sie in der Tat ihre Wortwahl überprüfen, weil damit natürlich auch der Durchschnittsbürger nichts anfangen kann. Es ist ja ein schwieriges Gelände, und viele Menschen wissen gar nicht richtig Bescheid. Ein bißchen anders steht es mit der Gruppe von Asylbewerbern, die ihr Verfahren durchlaufen haben, ausreisepflichtig sind, und jetzt wirklich Tricks anwenden, um nicht weggeschickt zu werden. Flüchtlinge also, die ihre Pässe verbrennen oder ihre Identität verschleiern, die nicht mehr sagen, woher sie kommen, die sagen, das stimmt alles nicht, usw. Diese Gruppe ist gemeint, wenn man sagt - und dem schließe ich mich auch an -, daß da die vollen Leistungen vielleicht nicht mehr gezahlt werden sollten. Aber wirklich nur diese Gruppe, bei der der Mißbrauch augenscheinlich ist, und die auch ohne Gefahr in ihr Land zurückkehren kann. Das ist der klare Unterschied zwischen Union und SPD, den muß man auch betonen.

Dennoch gilt, daß das Asylbewerberleistungsgesetz Sozialrecht in Ordnungsrecht umdefiniert. Kommt der verschärfte Gesetzesantrag durch, würden selbst sogenannte "illegal" Eingereiste, deren Asylantrag später anerkannt wird, von den Leistungen ausgeschlossen. Die von Ihnen gemachte Unterscheidung trifft das Gesetz ja beileibe nicht.

Ja, das stimmt. Doch genau dagegen wehrt sich ja die Fraktion. Deshalb werden wir auch nein zu den Absichten der Bundesregierung sagen, daß illegal eingereiste Ausländer unter diese neuen Kürzungen fallen sollen. Meines Wissens wollen die SPD-Länder dies auch nicht. Wenn es nun zu einer Gesamtabstimmung über das Gesetz kommt, wird die Bundestagsfraktion dieses ablehnen.

Und am Ende stimmen die SPD-Länder den verschärften Änderungen im Bundesrat wieder zu.

Das kann so kommen, muß aber nicht. Es gibt noch Gespräche.