Rote Zora Zobel

Das Stuttgarter Oberlandesgericht verhandelt gegen eine 45jährige Kölnerin, die in der militanten Frauengruppe organisiert gewesen sein soll

Für die einen waren sie Terroristinnen, Feierabendterroristinnen, um genau zu sein, für die anderen Heldinnen. Sie selbst sahen sich als "Banditinnen für unsere Freiheit, unsere Würde, unser Menschsein". Sie deponierten Sprengsätze bei bio- und gentechnologischen Zentren und setzten Autos von Frauenhändlern in Brand, damit die "Vertreter der patriarchalen Ordnung" in ihrer Ruhe gestört werden. Sie klauten Akten beim Humangenetischen Institut Münster und legten gleich bei zehn Filialen des Bekleidungs-Discounters Adler auf einmal Feuer, um Frauen zu unterstützen, die in der Textilfabrik des deutschen Konzerns in einer südkoreanischen Freihandelszone für bessere Arbeitsbedingungen kämpften. Rund 27 Millionen Mark Schaden verursachten allein diese Brände, insgesamt gingen in den achtziger Jahren über 20 Anschläge auf das Konto der Roten Zora, von diversen anderen Delikten ganz abgesehen. "Radikaler Frauenkampf und Gesetzestreue - das geht nicht zusammen!" erklärte die den Revolutionären Zellen (RZ) nahestehende feministische Gruppe der Emma.

Über zehn Jahre später - genauer: seit dem 24. März - muß sich die Kölnerin Corinna K. vor eben jenem Gesetz verantworten, weil sie nach Meinung der Bundesanwaltschaft (BAW) "Mitglied der terroristischen Vereinigung Rote Zora" gewesen sein soll. Bereits nächste Woche, am 19. Juni, wird der 5. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichtes voraussichtlich das Urteil gegen die 45jährige sprechen. Ein schneller Prozeß - und angesichts der einst großen Beliebtheit der militanten Feministinnen ein ungewöhnlicher: Während sich beim Verfahren gegen die im selben Zusammenhang angeklagte Historikerin Ingrid Strobl vor neun Jahren noch Unterstützer und Unterstützerinnen im Düsseldorfer Verhandlungsraum drängelten, findet das Verfahren gegen Corinna K. in der linken Öffentlichkeit keine Beachtung. Unbesetzte Zuschauerstühle in einem Prozeß, der, anders als bisherige Terrorismus-Verfahren, nicht im Stammheimer Mehrzweckgebäude, sondern ganz unscheinbar im Saal 18 des Stuttgarter Oberlandesgerichtes stattfindet.

Zwar hätten sich ab und zu Freunde und Freundinnen aus dem Ruhrgebiet mit auf den langen Weg gemacht, erklärt die Angeklagte der Jungle World, zu einem politisch geführten Prozeß habe sie jedoch nicht mobilisieren wollen. "Ich kenne die Leute nicht mehr, die das hätten ankurbeln können." Außerdem wolle sie sich nicht vor "irgendeinen Karren spannen lassen". Corinna K. war nach dem groß angelegten Polizeieinsatz "Aktion Zobel" gegen mutmaßliche Mitglieder von Rote Zora und RZ im Dezember 1987 abgetaucht. Nach acht Jahren stellte sich die Krimi-Autorin und ehemalige taz-Redakteurin im Oktober 1995 mit Hilfe des Verfassungsschützers "Hans Benz" bei der BAW.

Die Bundesanwälte können ihr jedoch nur wenig anhaben. Bislang haben sie allerlei Schwierigkeiten, der 45jährigen auch nur die Mitgliedschaft in der Roten Zora nachzuweisen. Eine konkrete Beteiligung an Anschlägen wirft die BAW der Angeklagten erst gar nicht vor. Sie soll einen Wecker des Fabrikats Emes-Sonochron gekauft haben, der bei einer Durchsuchung in ihrer Wohngemeinschaft gefunden wurde. 6 900 dieser Geräte, wie sie Rote Zora und RZ bei mindestens 30 Anschlägen benutzt haben sollen, seien präpariert worden, um sie später wiedererkennen zu können, berichtete ein Uhrmachermeister der Firma Emes den Prozeßbeteiligten.

Und ein Zeuge des Bundeskriminalamts (BKA) ergänzte, diese Wecker seien 1986 im Ruhrgebiet, im Raum Köln sowie in der Rhein-Main-Region mit einer entsprechenden Anweisung in die Juwelierläden gegangen: Jeder Käufer, jede Käuferin sollte fotografiert oder gefilmt werden. Die notwendigen Videokameras hatten die Fahnder gleich mitgeliefert. Ob nun aber, wie die Ermittler ausgemacht haben wollen, neben der verurteilten Ingrid Strobl und den flüchtigen Adrienne G. und Juliane B. auch Corinna K. eine dieser präparierten Uhren gekauft hat, wurde im Prozeß bislang nicht aufgeklärt. Die BKA-eigene Kamera war just in diesem Laden ausgefallen und die als Zeuginnen geladenen Verkäuferinnen konnten nicht bestätigen, daß Corinna K. jene Frau ist, die damals als Käuferin aufgetreten sein soll.

Schlechte Karten also für die Strafverfolger. So bleibt ihnen trotz umfangreicher Observationen gegen Rote-Zora-Verdächtige, bei denen zeitweise fünfzig Beamte und Beamtinnen eingesetzt waren, nur wenig, um die Vorwürfe zu erhärten: Die Beschuldigte soll an zwei Treffen mit weiteren mutmaßlichen Mitgliedern der Gruppe teilgenommen haben. Nach einem dieser Meetings hatten die Fahnder die Reste einer Kopie eines RZ-Bekennerschreibens aus der Sickergrube eines Wochenendhauses im nordrhein-westfälischen Telgte gefischt. Zudem sei verdächtig, daß die 45jährige das gerichtskundige RZ-Mitglied Gerd Albartus und sowie einige mutmaßliche Mitglieder der Gruppe gekannt habe. Last not least: In einem Roman, den Corinna K. 1982 veröffentlichte, könnte möglicherweise die Strategie der Roten Zora niedergeschrieben worden sein. Warum denn, so wollten die findigen Ankläger wissen, die Protagonistin in ihrem Buch "Zora Zobel" heiße?

Äußerst gewagte Konstruktionen, wie Heinz Schmitt, der Verteidiger der Angeklagten, meint. "Ich rechne mit einem Urteil zwischen Freispruch und einer Haftstrafe von maximal zwei Jahren auf Bewährung", sagte der Duisburger Rechtsanwalt der Jungle World. Ohnehin lägen die Aktionen schon lange zurück und die Rote Zora habe sich mittlerweile aufgelöst - eine Vermutung, die auch die BAW-Sprecherin Eva Schübel gegenüber Jungle World nahelegt, wenn auch noch 1995 unter diesem Namen ein Anschlag auf die Lürssen-Werft in Lemwerda verübt wurde. Doch Schmitt führt noch einen weiteren Grund für seine Einschätzung an: "Strafmindernd könnte auch wirken, daß sich meine Mandantin selbst den Verfolgungsbehörden gestellt hat." Dieses Argument werden sich wohl auch die Bundesanwälte zu eigen gemacht haben, als sie schon vor ihrem Plädoyer am Mittwoch eine Strafforderung von maximal zwei Jahren auf Bewährung ankündigten. Denn allein eine dünne Beweisdecke hat die Strafverfolger in Terrorismus-Verfahren noch nie daran gehindert, hohe Strafen zu fordern. Und ebensowenig die Richter an entsprechenden Urteilen: So wurde Ingrid Strobl zu drei Jahren Haft verurteilt, weil sie einen Wecker für einen RZ-Anschlag gekauft haben soll. Daß jedoch das zu erwartende Strafmaß für Corinna K. auf Verhandlungen zurückzuführen ist, die die Angeklagte mit einem Verfassungsschützer führte, der den Decknamen "Benz" führte, verneint Schmitt ebenso wie seine Mandantin. Der Geheimdienstler habe lediglich Pässe beschafft und dafür gesorgt, daß sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland nicht in Untersuchungshaft müsse, sagte die Kölnerin der Jungle World. Andere Absprachen habe es nicht gegeben.

"Wir haben niemanden verraten oder belastet, uns nicht distanziert, keine Erklärungen oder Hinweise auf Zusammenhänge o.ä. gegeben. Insoweit wäre die Entscheidung zur Rückkehr eine rein private Angelegenheit gewesen, wenn sie nicht die politische Moral der Linken berühren würde." Diese Sätze, die Corinna K. gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten zur Erklärung ihrer Rückkehr verfaßt hat, deuten schon darauf hin: Die Hilfe des Verfassungsschützers "Benz" im Rahmen des Aussteigerprogrammes hat in der Linken immer wieder zu Kontroversen geführt. Im Juni 1996 sagte der wie Corinna K. nach der "Aktion Zobel" geflüchtete Uli Dillmann der konkret, Vorbedingung "für ein möglicherweise moderates Vorgehen der Justiz" sei, daß "jemand 'freiwillig' wieder auftaucht, sich zur Anklage äußert und vor Gericht erscheint". Dabei werde nicht nur das zu erwartende Strafmaß, "sondern auch der Umfang der Einlassung zur Anklage im Vorfeld über 'Herrn Benz' abgekaspert", so Dillmann, dessen Eltern und Rechtsanwältin während seiner achtjährigen Zeit in der Illegalität von dem VS-Mann angesprochen worden waren. Er hatte aber Absprachen mit der Behörde abgelehnt. Im Gegensatz zu Corinna K. konnte er allerdings problemlos nach Deutschland zurückkehren, nachdem die Ermittlungen gegen ihn eingestellt worden waren. "Somit befinde ich mich in einer privilegierten Situation."

Entgegen den Befürchtungen Dillmanns mußte sich Corinna K. vor Gericht nicht zur Anklage äußern, um mit einer niedrigen Strafe rechnen zu können. Dennoch zählte die Rückkehr der Kölnerin zu den ersten Erfolgen, die "Benz" gegenüber den Verfolgungsbehörden vorzeigen konnte. Und die braucht der Geheimdienstler. Zwar hatte er vorher schon "erfolgreich" die sogenannten DDR-Aussteiger der RAF bearbeitet und somit durch deren Kronzeugen-Aussagen dafür gesorgt, daß noch einsitzende politische Gefangenen zu weiteren lebenslänglichen Strafen verurteilt wurden, trotzdem stoßen seine Vermittlungstätigkeiten auch im Apparat nicht nur auf Zustimmung. So stand das Aussteigerprogramm im Bundeskanzleramt auf der Kippe, nachdem mit der "Benz"-unterstützten Rückkehr des vermeintlichen Top-Terroristen Christoph Seidler im Dezember 1996 die schlechte Arbeit des BKA offensichtlich wurde.

Doch auch in eine andere Richtung dürfte ein verhältnismäßig mildes Urteil gegen Corinna K. als eine Art vertrauensbildende Maßnahme gelten. Mindestens "zwei weitere RZler" würden dieses "Pilotverfahren" beobachten, zitierte der Spiegel im Dezember 1996 Stimmen aus dem Bonner Justizministerium. Und so geben sich die Stuttgarter Ankläger auch nur wenig Mühe, um den Eindruck zu verschleiern, daß hier nicht nur gegen die Kölnerin, sondern über den gesamten Komplex "Rote Zora" verhandelt wird. In ausführlichen Berichten schildern Polizeizeugen, wie sie Juliane B. und Adrienne G. observierten oder eine verdächtige Wohnung heimlich durchsuchten, ohne Spuren zu hinterlassen.

Ob die beiden Frauen oder andere "Exil-Militante" bei einer freiwilligen Rückkehr mit einem ähnlich milden Umgang rechnen können, steht allerdings auf einem anderen Blatt. So ist auch Corinna K. der Ansicht, "daß das Aussteigerprogramm auch eine härtere Gangart anschlägt und höhere Preise verlangt", wenn die Vorwürfe gravierender seien als die, die gegen sie erhoben werden.

Unfreiwillige Signale haben die Karlsruher Strafverfolger bereits in beide Richtungen ausgesendet: Das Verfahren gegen den ebenfalls nach der "Aktion Zobel" geflüchteten Thomas K. wurde jetzt eingestellt. "Wegen Verjährung", wie die BAW-Sprecherin Eva Schübel der Jungle World erklärte. Damit sei aber bei Juliane B. und Adrienne G. zunächst nicht zu rechnen.