Schreiber und lebt in Berlin

Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

1974 war der letzte Sommer, bevor ich zur Armee mußte. Ich war gerade mit der 12. Klasse fertiggeworden und hatte das Gefühl, daß ich noch einmal alle meine Freunde besuchen mußte, denn ich war mir sicher, daß danach alles auseinanderfliegen würde, man würde heiraten, Häuser bauen und das wäre das Ende der Freundschaften - und ich hatte natürlich recht.

In diesem Sommer fuhr ich also nach Polen und Ungarn, von der WM bekam ich nichts mit. Ich war selbst Fußballspieler, bei Traktor Rerik, meinem Heimatverein an der Ostseeküste. Dort war ich Rechtsaußen, manchmal schneller als der Ball

und zuständig für Eckstöße - beim Rechtsaußen gehört die Eckfahne ja noch mit dazu. Fußball im Fernsehen interessierte mich nicht, eine Fußballmannschaft waren meine Kumpels und ich, so ein Spiel auf einer kleinen Mattscheibe zu verfolgen, fand ich abwegig. Erst später, als ich nicht mehr aktiv war, interessierte ich mich für andere Mannschaften, heute gehe ich manchmal zu Hansa Rostock, weil die der einzige Ostverein in der Bundesliga sind, und zu Hertha BSC. Es gibt nichts Schöneres, als sich diese Berliner Rasenkomiker anzusehen ...

In diesem Sommer 1974 fand ich nicht selbst gespielten Fußball jedoch noch langweilig. Als Sparwasser das Tor schoß, trampte ich vielleicht gerade durch Ungarn. Eigentlich war ich allein unterwegs, aber alleine blieb man nur mutwillig - in Budapest schlief man zum Beispiel auf der Margaretheninsel, dort trafen sich die Tramper, und man fand immer jemanden, der dasselbe Ziel hatte.

Nach diesem Sommer 1974 kam aber für mich die Armeezeit. Da wurde ich dann an der grünen Grenze stationiert, am Ratzeburger See. Das fand ich schon ulkig, denn meine Eltern waren, als ich noch ein Baby war, aus der DDR abgehauen, und mich stellte man dahin, um auf die Grenze aufzupassen. Ich habe mir dort auch kurz überlegt, ob ich nicht flüchten sollte, 1 000 Mark, so hatten wir gehört, bekam man, wenn man in voller Uniform und mit MP abhaute. Aber dann war mir die Sache doch zu heiß. Damals fing ja die Friedensbewegung an, ich dachte ernsthaft, ich sei einer der letzten, die noch eingezogen wurden, denn die Friedensbewegung würde sich durchsetzen und dafür sorgen, daß auf der ganzen Welt die Armeen abgeschafft würden.