Im Land der Zombie-Ökonomen

Cash gegen Kontrolle: Der Währungsfonds will die indonesische Wirtschaft einer radikalen Liberalisierung unterziehen

Die Demütigung war perfekt: Zähneknirschend, gebückt und mit verkniffenem Gesicht unterschrieb der einstige Herrscher über das Reich der 1 000 Inseln das Dokument; hinter ihm, aufrecht, mit verschränkten Armen und Siegerlächeln, stand sein neuer Boß: IWF-Chef Michel Camdessus. Um den völligen Wirtschaftskollaps zu verhindern, hatte Indonesien Mitte Januar ein Kreditabkommen über 43 Milliarden Dollar mit dem Internationalen Währungsfonds abgeschlossen. Als Bedingung beanspruchte die Finanzorganisation dafür das Recht, massiv in die Wirtschaftspolitik des Landes einzugreifen.

Das Lächeln dürfte Camedessus mittlerweile vergangen sein - sein derzeit größtes Sorgenkind macht ihm nichts als Schwierigkeiten. Von den 80,2 Milliarden Außen-Schulden fallen nach Angaben der indonesischen Zentralbank rund 67 Milliarden auf Privatunternehmen; der IWF kann also mit den Schuldnern nicht direkt verhandeln. Ganz anders als bei der letzten großen Krisenintervention des Fonds; damals stand der mexikanische Staatshaushalt vor dem Bankrott. Camdessus diktierte seine üblichen Konditionen für die Rettungsaktion: Streichungen von Subventionen, Öffnung des Marktes und Abbau von Investitionsbeschränkungen, Privatisierung von Staatsunternehmen. Und damit war der Fall für ihn erledigt. Die Umsetzung dieser Maßnahmen - samt ihrer häßlichen sozialen Folgen - überließ man der Regierung.

In Indonesien greifen diese Methoden nicht. Die drastische Erhöhung der Nahrungsmittelpreise und Streichung der Subventionen klappt zwar wie gewöhnlich - der UN-Organisation FAO zufolge nahm die Unterernährung in den unteren Bevökerungsschichten bereits vor den jüngsten Preiserhöhungen drastisch zu. Doch die strikte Austeritäts-Politik des IWF hat die Krise insgesamt eher noch verschärft. Denn der Auslöser der Misere ist diesmal nicht ein kollabierender Staatshaushalt - Indonesien verfügt diesbezüglich sogar über eine ausgeglichene Bilanz -, sondern die symbiotische Verflechtung von Kreditinstituten, Unternehmen und dem Familienclan Suharto. Erst diese Verbindung hatte das derzeitige Finanzchaos ermöglicht - und die Entflechtung der einheimischen Elite bringt den IWF in ernsthafte Probleme.

Ähnlich wie bei den anderen Ländern Südostasiens wurde es den indonesischen Unternehmen leicht gemacht, in Schulden zu versinken. Von den enormen Wachstumsraten angezogen, wurden dem Land die Kredite auf dem Kapitalmarkt hinterhergeworfen - im Vertrauen auf endloses Wachstum gaben die nationalen Kreditinstitute diese Gelder an die Unternehmen weiter. Die enorme Geldflut stand jedoch in keinem Verhältnis zu dem tatsächlichen produktiven Wert der meisten Betriebe. Besonders finster ist die Lage bei Firmen, die sich mit einer minimalen Kapitalbasis riesige Summen von den Banken liehen.

Nachdem die ersten faulen Kredite platzten, gingen die Unternehmen reihenweise pleite, im Domino-Effekt purzelte die Landeswährung innerhalb weniger Monate hinterher: von 3 500 im Herbst 1997 auf nun 9 000 Rupiah pro Dollar. Indonesien hat, wie die anderen Länder der Region, in der Logik der globalen Finanzmärkte über seinen Verhältnissen gelebt und muß nun die Rechnung dafür bezahlen.

Welch absurde Dimensionen die Finanzgeschäfte angenommen hatten, zeigt die Geschichte von Steady Safe, einem Bus- und Taxiunternehmen in Jakarta. Der Betrieb erhielt 1996 von Peregrine, einem der größten Investmenthäuser Asiens mit Sitz in Hongkong, einen Millionenkredit. Wichtigstes Kapital des Unternehmens: Eine der Präsidententöcher saß im Verwaltungsrat. Der Firmenumsatz betrug hingegen gerade mal neun Millionen Dollar - und dies auch noch ausschließlich in der Landeswährung. Nach dem Verfall der Rupiah explodierten die Schulden auf 270 Millionen Dollar, Peregrine mußte den Bankrott erklären, eines der größten Finanzdebakel Asiens war perfekt. Wo das Geld versickert ist, war nicht mehr festzustellen - vermutlich ging es in Währungsgeschäften und im Finanzdschungel der Suharto-Familie unter. (Jungle World, Nr. 4/98)

Die Pleite ist kein Betriebsunfall: Bis zu zwei Drittel aller indonesischen Banken und Betriebe gelten nach Schätzung des Währungsfonds als technisch bankrott; d.h. ihre Verbindlichkeiten übersteigen bei weitem ihr Vermögen. Doch der Suharto-Clan zeigte bisher kein gesteigertes Interesse, die Liquidität der Unternehmen zu klären. Schließlich wird 80 Prozent des Bruttosozialprodukts von 50 Tycoons kontrolliert, die eng mit der Präsidenten-Familie verbunden sind. "Firmen schließen wir hier nie", beschreibt eine Angestellter einer Consulting-Firma die Landessitten. "Wir nennen sie Zombie-Gesellschaften, sie sind tot, aber arbeiten immer noch."

Der IWF erklärte daher im April die Auflösung der Familienmonopole und eine unabhängige Kontrolle des Banken- und Finanzwesens zur obersten Priorität. Diese Reformen soll Suharto durchführen, bevor die Dollars fließen. "Im Moment hat die Krise eher einen politischen als ökonomischen Charakter", umschrieb der Weltbank-Funktionär Mark Malloch Brown vorsichtig die Situation in der Jakarta Post. Das bedeutet jedoch, den Familienclan als Vollstrecker seiner eigenen Demontage einzusetzen. Keine gute Ausgangsbasis für den Fonds, dem vor allem vom US-Kongreß vorgeworfen wird, in Asien das Geld zum Fenster hinauszuwerfen.

Doch angesichts der massiven Unruhen und der Angst, die ganze Situation könne völlig aus dem Ruder laufen, ist die Organisation bemüht, Suharto unter die Fuchtel zu bekommen, ohne ihn dabei gänzlich zu demontieren. So gibt es die dringend benötigte Kredite nur in kleinen Raten; im April erhielt Indonesien eine Milliarde, im August sollen zwei weitere folgen - vorausgesetzt, die IWF-Maßnahmen werden brav befolgt. Suharto besitzt inzwischen die Vertrauenswürdigkeit eines Gebrauchtwagenhändlers: Statt wie üblich quartalsweise will der Fonds die Auflagen ab sofort monatlich überprüfen. Bei den Verhandlungen mit den privaten Gläubigerbanken sieht es nicht viel besser aus. Eine Einigung über eine Umschuldung kam auch am vergangenen Wochenende nicht zustande.

Die katastrophale Situation Indonesiens haben die internationalen Finanzorganisationen jedoch selbst mitverursacht - schließlich galt ihnen das Land noch vor wenigen Monaten als vorbildliches Modell. "Indonesien hat eine bemerkenswerten Erfolg in den letzten Dekaden erzielt und gehört zu den am besten funktionierenden Ökonomien in Ostasien", jubelte beispielsweise die Weltbank noch im Herbst vergangenen Jahres. Nach japanischen Vorbild konzentrierte sich Indonesien auf komparative Vorteile beim Weltmarkt-Export. Und wie dort wurde die Verbindung zwischen Finanzmarkt, Industrie und Regierung autoritär zum nationalen Entwicklungsweg erklärt.

Der "crony-capitalism", die kapitalistische Vetternwirtschaft, konnte durchaus Erfolge aufweisen. "1970 lebten noch rund 60 Prozent der indonesischen Bevölkerung in Armut, knapp drei Dekaden später hatte sich ihre Zahl auf elf Prozent gesenkt", beschrieb der Sozialwissenschaftler Faisal H. Basri Anfang Mai auf einer NGO-Konferenz über Indonesien die Entwicklung. Doch ähnlich wie die Zaibatsus in Japan oder die südkoreanischen Chaebols entwickelten sich auch in Indonesien aus der Kumpanei des nationalen Establishments unkontrollierbare Wirtschaftskonglomerate, die mit dem Ende der Export-Industrialisierung zu den größten Problemen der Länder zählen. Deregulierung steht nun in der ganzen Region auf dem IWF-Programm: Soziale Sicherheiten werden abgebaut, Massenentlassungen vorgenommen, Großunternehmen in Einzelteile zerlegt, die Finanzmärkte liberalisiert. Nur ein Teil der bisherigen Wirtschaftsstrukur wird die Krise überleben, der Rest ist überflüssig.

Der radikale Umbruch erfolgt in den jeweiligen Ländern jedoch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Während in Japan derzeit in Korruptionsskandale verwickelte Manager gleich reihenweise aus dem Fenster springen, sitzt die indonesische Wirtschaftselite mit gutem Gewissen in ihren Führungsetagen. Was jahrzehntelang als Garant des privaten und - in weitaus geringerem Umfang - des öffentlichen Wohlstands galt, kann doch nicht plötzlich Anlaß für Schande sein. Doch die Zeit läuft den Ländern davon. Die südostasiatische Wirtschaft zu reformieren "ist in etwa so schwer, wie bei einem Auto die Reifen zu wechseln, während es fährt", erklärte kürzlich Lee Kark-Bum, ehemaliger Staatssekretär im Wirtschaftsministeriums in Seoul. Und im Falle Indonesiens erfolgt diese katastrophische Modernisierung ohne jede Bremse.