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Gefährliche Orte XXVI: Nach 77 Jahren wurde am vergangenen Wochenende das letzte Rennen auf der Automobil-Versuchs- und Übungsstraße Avus im Grunewald veranstaltet

Porschefahrer sind normalerweise sehr eigen, was den Zustand ihres Kfz betrifft. So wie derjenige, dessen Auto man vor einiger Zeit beim Ausparken nur ein kleines bißchen und völlig folgenlos angerempelt hatte. Natürlich stieg der Besitzer sofort aus, untersuchte den Wagen erfolglos nach Kratzern und konnte schließlich erbost auf eine kleine Schmutzspur deuten. "Sie können mir den Glauben an die Jugend wiedergeben", sagte er, während er seine Visitenkarte überreichte, "wenn Sie sich am Samstagmorgen bei mir melden, um den Wagen zu putzen!" Aber schon damals fühlte man sich nicht für die Resozialisierung von Porschefahrer-Weltbildern zuständig, deswegen blieb das Auto ungeputzt und der Dreck daran ungesühnt.

Es gibt aber auch andere Porschefahrer, das versichern jedenfalls Rennsportfans immer wieder gern, und die hatten sich anläßlich des letzten Rennwochenendes auf der Avus in Berlin versammelt. Autorennen kennt man ja aus dem Fernsehen, aber live sei das noch einmal etwas ganz anderes, behaupten Motorsportexperten. Und ein Stadtkurs wie die vor 77 Jahren erstmals von Rennwagen befahrene Avus sei überhaupt das Allergrößte. Die dort ausgetragenen Rennen seien nicht nur total spannend, sondern man habe auch noch die Möglichkeit, absolut nah dran zu sein und die Atmosphäre hautnah mitzuerleben. Deswegen muß man am letzten Renntag in Berlin wohl doch dabei sein, auch wenn es nicht die Formel 1 ist, die da ihre Runden dreht.

Bis zum Start der Porsche-Klasse dauert es jedoch noch ein wenig. Vom Glamour der Rennfahrerwelt ist auf der Avus weit und breit nichts zu sehen, selbst im Fahrerlager nicht. Auf den Sitzen der Haupttribüne liegen fotokopierte Handzettel, die "Schluß - Aus - Räumungsverkauf" für die offensichtlich pleitegegangene Max Herrenboutique werben.

Das Publikum dumpft währenddessen vor sich hin, vereinzelt versucht man sich die Ereignislosigkeit schönzutrinken, die Familien packen derweilen ihre mitgebrachten Butterbrote aus. Eine durchschnittliche Wurststulle hält ein Kleinkind jedoch nur wenige Minuten vom Quengeln ab, dann muß auch schon wieder Limonade nachgeschüttet werden.

Nur die Zwölfjährigen sitzen ziemlich ruhig da, denn sie haben den dem offiziellen Rennprogramm beigelegten Prospekt eines Automobilzubehör-Versandkatalogs entdeckt. Der wirbt mit einer Blondine im Silberbikini vorne drauf für sein Angebot, zusätzlich verspricht er eine "Sexy Girl-Story". Jetzt kommt es darauf an, die Broschüre möglichst unauffällig durchzublättern, sie gleichzeitig so zu halten, daß die Restfamilie in die sexy Girl-Story, wenn sie denn endlich gefunden ist, nicht reinschauen kann, gleichzeitig muß man immer mal wieder interessiert die abgebildeten Lenkräder und Felgen betrachten. Zu Ende geblättert, haben die Jungs gleich zwei Lektionen fürs Leben gelernt: Umsonstene Werbeprospekte für teure Kataloge enthalten niemals sexy Girl-Storys, und Solid-Ground-Fußmatten, Bremssattellack und Tieferlegungsfedern taugen dafür nur bedingt als Ausgleich.

Bevor auch sie sich zu langweilen beginnen, passiert plötzlich etwas: Junge Damen in Mini-Trägerröcken und hochhackigen Pumps betreten die Rennbahn, in der Hand halten sie Pappschilder mit Nummern, die den Fahrern ihre Startposition zeigen sollen. Danach geschieht jedoch wieder nichts, bis die Ersatzräder in die Boxen gebracht werden. Die werden in rollenden Reifenständern transportiert, die von kleinen Fahrzeugen gezogen werden, die in der rennfreien Zeit vielleicht als Kindereisenbahnen arbeiten. Das ist zwar auch nicht so richtig anregend, aber dann sind plötzlich auch schon alle Rennautos versammelt und es könnte losgehen, jedenfalls bald.

Fünf Minuten vor dem Rennbeginn stellt sich ein Mann mit Trillerpfeife auf die Fahrbahn, der zwei grellfarbene Pappschilder hochhält. "Fünf Minuten bis zum Rennen" steht auf dem einen, "Zuschauer raus" auf dem anderen. Zwei Minuten später ist er schon wieder da, trillert und hat zwei neue Schilder dabei: "Drei Minuten" verkündet das eine, "Helfer raus" das andere. Kurz darauf gibt er neue Order, diesmal an die Fahrer: "Motor aus!"

Regeln sind dazu da, befolgt zu werden, deswegen werden diejenigen, die trotzdem noch heftig Gas geben von vereinzelten Zuschauern angeschrieen: "Haste nich jehört? Mach die Kiste aus!" Die Einführungsrunde wird nicht, wie in der Formel 1, durch ein Ampelsignal gestartet, sondern beginnt erst dann, wenn der Fahrer des Pace-Cars losfährt und sein Beifahrer eine gelbe Flagge aus dem Seitenfenster hält. Auf der Avus ist diese Einführungsrunde zwei Runden lang, damit die Reifen wenigstens halbwegs auf die nötige Betriebstemperatur von 85 Grad Celsius kommen - Räder-Heizdecken wie bei der Formel 1 gibt es hier nicht. Trotzdem hat man was gelernt: Rennautos machen nicht nur eine Menge Lärm, sondern sie stinken auch, hauptsächlich nach verbranntem Gummi, Benzin und Auspuff.

Nach den beiden Runden stellen sich die Wagen wieder auf ihre Startpositionen, die zuvor mit Klebestreifen auf der Fahrbahn markiert worden sind. Und dort bleiben sie auch stehen. Bis der Mann mit der Trillerpfeife wieder auftaucht, ein Schild hochhält, auf dem steht: "Noch fünf Sekunden" und gleichzeitig zur Seite springt.

Das Rennen ist offiziell gestartet. Und, was die Zuschauer betrifft, auch gleich erstmal wieder vorbei, denn der Rest der Strecke ist nicht einsehbar, deswegen ist man auf das angewiesen, was der Sprecher so erzählt. Er erzählt vom "Eiertanz durch die langgezogene Nordkuve hindurch", dann macht es auch schon wieder BRRRrrrmmm, und die Porsches sind zum zweiten Mal vorbeigefahren.

In einem Autorennen ohne Mikka Häkkinen oder Ukiyo Katayama einen Favoriten zu finden, ist ziemlich schwierig, deswegen muß man ästhetische Maßstäbe anlegen. Die helfen jedoch zunächst nur bei der Ermittlung der Lieblings-Haßobjekte. Eines ist ganz klar der kackbraune Porsche, der für UPS wirbt, das zweite ein weißes Modell mit Wunderbaum-Werbung. Wunderbäume sind kleine tannenförmige Gegenstände, die, am Rückspiegel befestigt, ein Auto geruchlich verbessern sollen. Sie kommen in den Hauptgeschmacksrichtungen Zitrone, Meeresbrise und Moschus vor und können mühelos eine ganze Tankstelle verpesten, wenn sie vom Verkaufspersonal ungünstig plaziert werden.

Auf der Rennstrecke sind währenddessen prima Unfälle passiert, die man zwar nicht hat sehen können, die aber vom Sprecher begeistert geschildert werden: "Da fehlt vorne mal ganz gepflegt ein halber Meter", erklärt er den Zustand eines Autos, das ein bißchen später um die Kurve gerumpelt kommt. Es ist blau mit aufgemalten weißen Wölkchen drauf, sieht ziemlich ramponiert aus (oder verblötscht, wie man in Westdeutschland sagt) und ist ab sofort der klare Favorit, jedenfalls bei den Zwölfjährigen, die vor lauter Sorge um Blötschis weiteres Schicksal den Werbeprospekt mit der leichtbekleideten Frau vorne drauf zerrupfen.

Kurze Zeit später steht auch der zweite Favorit fest, "das Auto von Schmickler raucht", hatte der Sprecher zuvor gerufen. Wer ist Schmickler und vor allem wer ist derjenige, von dem der Sprecher erklärt, daß "die anderen nun über ihn herfallen wie Hunde über einen Hasen"? Sind die gemein zu Blötschi, und warum raucht Schmickler, und wieso passiert das alles nicht an einer Stelle, an der man dabei zugucken könnte?

Immerhin hat der Sprecher nicht gelogen: Zwischen den Baumkronen ist auf der nicht einsehbaren Gegengeraden deutlich eine Rauchwolke zu erkennen, und als Schmickler näherkommt, kann man feststellen, daß sein Auto nicht nur raucht, sondern auch stinkt. Motorschaden, das kennt man auch auf der Tribüne, deswegen wird die Szene mit der Videokamera festgehalten.

Wenig später ist das Rennen für Schmickler gelaufen, in der Box wird das Auto sofort von einer jener Männerrunden umringt, die angesichts eines kaputten Kfz unweigerlich überall und immer entstehen und deren Hauptzweck es ist, um den Wagen herumzustehen, den Schaden zu begutachten und Sachen wie "Der is hin" und "Kannste verschrotten, das Teil" zu sagen.

Blötschi, und das ist ein Trost, treibt derweil das restliche Feld vor sich her, das geht rundenlang so, und alles könnte sehr schön sein, wäre da nicht die jähe Erkenntnis, kurz vor Schluß, daß etwas Schreckliches passiert sein muß. Blötschi ist nämlich nicht aufgetaucht. Die Sekunden werden zu Minuten, lähmendes Entsetzen macht sich breit, jedenfalls unter den Zwölfjährigen, während ihre Eltern mehr damit beschäftigt sind, die quengelnden Kleinkinder davon abzuhalten, die Fetzen des Zubehörkatalogs zu verspeisen und so die Essensnachschubfrage zu lösen.

Aber dann wird doch noch alles gut, denn Blötschi kommt um die Ecke gerumpelt. Gewonnen hat jedoch ein anderer, "ein kantiger Typ, der hat Ecken und Kanten", wie der Sprecher feststellt, und Patrick Simon darf mit den anderen beiden Plazierten, dem "Typ mit dem unverschämten Jungengrinsen" und dem "aus dem noch richtig was wird, er war Vorjahressieger und ist nun Dritter" auf den zum Siegerpodest umgebauten Lkw-Anhänger klettern.

Sekt spritzen wird zwar schwierig, denn es gibt nur eine kleine Flasche Schaumwein für alle drei, aber ganz insgesamt war es eine schrecklich spannende Veranstaltung. Schade, daß die Haupstadt wieder um eine Attraktion ärmer ist