Wie in der richtigen Welt

Das Beispiel FC St. Pauli zeigt, daß die Linke nun auch beim Fußball gescheitert ist

"Fußball ist unser Leben, / Ja, König Fußball regiert die Welt", sang einst die Deutsche Nationalelf. Fußball ist Leben, die Welt ist ein Fußball, das Leben ist die Welt, Fußballwelt ist "Lebenswelt" (Habermas, Stoiber u.a.), und die Wahrheit ist auf dem Platz. So hängt doch alles mit allem irgendwie zusammen.

Es gab nun eine Zeit, da wollten einige notorische Weltverbesserer nicht wahr haben, daß der Fußball eine kleine Bonsaiwelt ist und daß es im Fußball genauso zugeht wie in der richtigen Welt, daß nämlich die Starken gewinnen und die Schwachen verlieren, daß die Reichen den Armen die Starken wegkaufen und mit ihren gekauften Starken die Schwachen besiegen, die noch immer den Armen dienen, weil die Reichen sie nicht haben wollen. Diese romantischen Weltverbesserer glaubten nun, sie könnten diesen Weltgesetzen trotzen, ausgerechnet in einer Zeit, in der die Welt alle wissen ließ, daß es von nun an keine Ausnahmen mehr von den ehernen Weltgesetzen mehr geben würde.

Natürlich mußten sie schnell feststellen, daß die Welt sie belächelte, wenn sie mit feuchten Augen von Revolution und Klassenkampf faselten, später ernteten sie bereits für das Propagieren von Rebellion und Opposition Gelächter. Doch sie waren Romantiker, sie mochten nicht resignieren, und so hofften sie, wenigstens in der kleinen Welt des Fußballs ihrer großen Utopie einer lebenswerten und gerechten Welt näherzukommen. Jeder kennt diese Geschichte vom Klassenkampf des Underdogs FC St. Pauli. Dem Klassenfeind schmeckte dieser Quatsch nicht schlecht, denn er brachte ein paar Schlagzeilen und ein wenig Würze in die nicht allzu aufregende Fußballwelt. Kurzum: Allen gefiel das Spiel vom Klassenkampf, den Großen und Starken, weil es nur ein Spiel war und niemand Angst haben mußte, daß aus diesem Spiel nochmal Ernst werden könnte, oder daß sie wirklich mal ein wichtiges Spiel verlieren könnten, den sentimentalen Revoluzzern, weil wenigstens in diesem Spiel die Welt durchschimmerte, von der sie träumten.

Nun ist das Spiel aus. Spielverderber waren nicht etwa die Konzerne, die großen bösen Kapitalisten, sondern die Spielverderber kamen aus der eigenen Familie, sie spielten Konterrevolution, daß es eine Art hatte. Ausgerechnet das Familienoberhaupt, der Präsident Heinz "Papa" Weisener, hatte die Rolle des Führers der Konterrevolution übernommen, und alle spielten wieder mit. Als Papa Weisener Mitte Januar mit dem Manager Helmut Schulte den letzten Repräsentanten einer Zeit schaßte, in der linke Fans und Mannschaft noch vage verbunden waren, konnte sogar die Springerpresse in Gestalt des Hamburger Abendblattes sich den einschlägigen Revolutionsjargon nicht verkneifen und schrieb von der "dritten Phase" der "vereinsinternen Säuberungswelle" (die Opfer der beiden ersten Säuberungswellen waren Trainer Krautzun und Vizepräsident Hinzpeter).

Natürlich verkaufte auch der Patriarch seine Aktion als kulturrevolutionäre Notwendigkeit, indem er verkündete, er habe begonnen, "die alten Zöpfe abzuschneiden". Dabei war Schulte gar kein Mann der Basis. Sein Ruf als Freund der Rebellen stammte noch aus seiner erfolgreichen Trainerzeit Ende der achtziger Jahre, als er nach dem unvermeidlichen Rauswurf in der Gegengerade auftauchte und damit für manchen unsterblich wurde. Als Manager aber war er nichts weiter als ein verunsicherter Vasalle der Vereinsführung. Noch die Fehler, die der Padrone als Säuberungsanlaß nannte, resultierten letztlich aus Angst und Arschkriecherei. Um dem Gerücht zu begegnen, er sei noch immer scharf auf den Trainerposten, stützte Schulte wider seinen fußballerischen Verstand die Trainer Maslo und Krautzun zu lange und erweckte damit den Eindruck einer Schlaftablette.

Nun sind die Säuberungen in der Vereinsführung weitgehend abgeschlossen, doch erfolgreiche Konterrevolution heißt nicht automatisch Erfolg in der nachrevolutionären Welt. Den Verein drücken - ob mit oder ohne Hinzpeter und Schulte - drei Millionen Mark Schulden, bei einem Etat von 15 Millionen Mark nicht wenig. Dieser, noch unter Erstligabedingungen geplant, soll laut Schatzmeister Niewiecki in diesem Jahr unter die Zehn-Millionen-Grenze gedrückt werden, ein professionelles Management aber soll den Club wieder in die erste Liga führen. Dies hätten dem Papa allenfalls die Träumer geglaubt, die der mit seinen Säuberungen vergrault hat. Ansonsten weiß jeder, der seine sieben Zwetschgen beisammen hat, daß die Wahrheit auf dem Platz ist und ein Manager keine Spiele gewinnt, jedenfalls nicht ohne Geld. Und im richtigen Leben verliert das Gute sowieso, die Hoffnung, am Millerntor sei die Welt besser, ist sentimentale Sülze. Auch dort haben und hatten die Fans mit Verein und Mannschaft kaum mehr gemein als der Kunde an der Tankstelle mit dem Vorstand der Shell AG, auch wenn sich ein paar Profis einmal vor den besetzten Häusern der Hafenstraße ablichten ließen.

Einzig die Projektion seiner politischen Grillen auf Menschen, die sich für jene Weltanschauung nicht die Bohne interessieren, unterscheidet den St. Pauli-Supporter vom Shell-Kunden. Was konnte der Profi des FC St. Pauli dafür, daß er für Punks, Autonome, Sozialrevoluzzer, Soziabzocker, Utopisten und Chaoten den Klassenkampf repräsentiert hat? Er spielte ja nur deshalb beim Underdog, weil er für einen Vertrag bei den großen Nummern eine Nummer zu schlecht spielte.

So sind sie eben, die Welten, die Starken besiegen die Schwachen, die Schwachen aber wollen stark werden, damit sie ihrerseits die Schwachen schlagen können. Klassenkampf und Antifaschismus sind in St. Pauli die Sache der Fans, die Profis hat das nie interessiert, ihre Sache sind gute Verträge und nicht Antirassismus. Zur Blütezeit des Klassenkampfes unter Trainer Schulte nannte Dieter Schlindwein seinen schwarzhäutigen Kollegen Manzi "schwarze Sau", während einige Fans im Verein ein Stadionverbot fur Naziparolenplärrer und Nazifirlefanzträger durchsetzten. Die Mehrheit der Fans aber jubelte weiter Eisen-Dieter zu, den der Papa inzwischen in seine Familie aufgenommen hat, als verdienten Ex-Profi mit einem Posten in der PR-Abteilung.