Magdeburger Peace-Keeping

Nur eine Stimme fehlte dem grünen Bundesvorstand, um nachträglich den Bosnien-Einsatz der Bundeswehr zu legitimieren

Der graumelierte Mittfünfziger machte einen etwas enttäuschten Eindruck: "Der Jürgen hätte sprechen sollen." Nein, nein, der Frithjof habe seine Sache schon gut gemacht, reagiert seine etwa gleichaltrige Gesprächspartnerin. Doch mittlerweile, nachts um halb eins im von VW gesponserten Shuttle-Bus auf der Fahrt ins Interconti-Hotel, war sowieso schon alles erledigt. Noch am späten Samstagabend stand ein Thema auf dem Programm der grünen Bundesdelegiertenkonferenz, das in den vergangenen Jahren für viel Ärger in der Partei gesorgt hatte: Wie halten es die Grünen mit Deutschlands Ambitionenen zur Weltmacht - im Wahlkampfdeutsch auch "Außenpolitischer Aufbruch ins 21. Jahrhundert" genannt.

Und tatsächlich hätte wohl eher Jürgen Trittin den Job übernehmen sollen, das bündnisgrüne Wahlprogramm in Sachen Bundeswehr-Auslandseinsätze auf Regierungstauglichkeit zu trimmen. Schließlich war es bislang immer dem Bundesvorstandsprecher vorbehalten, die letzten Rebellen und Rebellinnen in der Partei auf die jeweils gewünschte Linie einzuschwören. An diesem Abend aber hielt sich Trittin im Hintergrund, während Frithjof Schmidt bemüht war, den Angereisten das Vorhaben des Bundesvorstandes nahezulegen: Eine "Neubewertung" des Bosnien-Einsatz sollte die militärische Auslandsmission nachträglich legitimieren und dies auch entsprechend im Wahlprogramm festhalten. Doch Schmidt blieb erfolglos.

Dabei legte sich der grüne Politiker, ausgerüstet mit dem nötigen antimilitaristischen Vorgaben, mächtig ins Zeug: Die Wehrpflicht und alle anderen Zwangsdienste müßten abgeschafft werden, rief er den über 550 noch anwesenden Delegierten zu. Und erntete großen Beifall. Wer in dieser Form öffentlich Rekruten vereidige, wie Verteidigungsminister Volker Rühe das am 13. August in Berlin wolle, dürfe sich nicht wundern, wenn die Truppe zum Anziehungspunkt für Rechtsradikale werden. Und: "Wir wollen keine internationalen Kampfeinsätze zulassen." Wieder große Begeisterung am späten Abend.

Als wäre da nie etwas anderes gewesen als Antimilitarismus und Pazifismus, als habe es nie jene Zustimmung grüner Politiker zum deutschen Bosnien-Einsatz gegeben, ließ sich Schmidt zunächst feiern - im Hintergrund zollte auch Trittin demonstrativen Beifall. Daß die Bundeswehraktion nun von den einstigen Gegnern der parteieigenen Bellizisten nachträglich legitimiert werden sollte, wäre da beinahe untergegangen. Dabei gehörte der Antrag "73,2", für den sich Schmidt stark machte, zu den Essentials des Bundesvorstandes um Trittin und seine Sprecherkollegin Gunda Röstel: Als ein "immer wieder neu zu entscheidender Ausnahme- und Konfliktfall" wollte die Parteispitze künftig den deutschen Auslandseinsatz sehen. Schließlich habe die Stationierung von Nato- und anderen Truppen im Auftrag der UN "nicht zu einer Eskalation geführt" und sei von der betroffenen Bevölkerung überwiegend begrüßt worden. Nun, so sollte es im Wahlprogramm heißen, befürworte Bündnis 90 / Die Grünen "eine verstärkte Unterstützung des zivilen Wiederaufbaus und einen friedenserhaltenden Einsatz der Uno". Schließlich habe die Sfor-Aktion "inzwischen den Charakter einer friedensstiftenden Maßnahme angenommen". So stünde es jetzt im Programm, mit dem die Ökos für Stimmen werben sollen, wenn der Coup nicht knapp gescheitert wäre.

Mit einer Stimme Mehrheit (275 zu 274) wurde der Antrag abgelehnt. Vor allem Uli Cremer aus dem Hamburger Kreisverband hatte sich gegen den Vorstoß des Bundesvorstandes stark gemacht. "Diese Formulierung bedeutet ein Bleiberecht für die Bundeswehr in Bosnien." Auch wenn, wie in Bremen vor zwei Jahren beschlossen, die Grünen Kampfeinsätze und friedenserzwingende Maßnahmen ablehnten, sei die Formulierung vor allem eine Öffnungsklausel für künftige Auslandsaktivitäten deutscher Soldaten, kritisierte Kremer.

Nun bleibt die grüne Absegnung des Bundeswehreinsatzes bei der Wahl außen vor. Geworben wird dagegen mit allem, was der Peace-keeping-Wähler gern hören will: Einseitige Abrüstungsschritte Deutschlands zur Entmilitarisierung und Zivilisierung internationaler Politik, Auflösung der Krisenreaktionskräfte, Reduzierung der Bundeswehr auf rund 150 000 Soldaten bis zum Jahr 2002. Langfristig sollen alle "Militärbündnisse und nationale Armeen in eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung aufgelöst werden". Lediglich multinationale Peace-Keeping-Einheiten unter Leitung der OSZE würden nach grünem Willen künftig international eingesetzt werden. Kurzen Prozeß, so gab Ludger Volmer in Magdeburg gar die Linie vor, soll künftig auch mit Rüstungsexporten gemacht werden: "Wir werden gegen jedes exportierte G-3-Gewehr kämpfen. Da interessieren auch nicht die Arbeitsplätze", rief der zur Parteilinken zählende Bundestagsabgeordnete aus - und erhielt großen Beifall.

Keine Frage, die Parteilinken haben an diesem Abend bis zum bitteren Ende ausgeharrt, um einen künftigen Außenminister Joseph Fischer Zügel anzulegen. Daß aber Gerhard Schröder tatsächlich den grünen Frontmann auf diesen Posten setzen will, scheint mehr als fraglich. Eher hatte der sozialdemokratische Koalitionspartner in spe wohl mit seinem Ministervorschlag kurz vor der grünen Konferenz auf Provokation gesetzt. Denn auch ohne die jetzt abgelehnte Öffnungsklausel für Kriegseinsätze läßt sich mit diesem außenpolitischen Programm keine Regierungspolitik machen, die auch nur ansatzweise mit der SPD konsensfähig wäre. Das wissen auch Ludger Volmer und Uli Kremer, und spätestens, wenn sich die künftigen Koalitionäre erstmals an den Verhandlungstisch setzen, ist Schluß mit lustig.

Daß die Grünen zunächst trotzdem mal Muskeln spielen lassen, ist naheliegend, muß man doch Stimmen am linksgrünen Rand abschöpfen. Die Zielvorgabe gab jedoch Ludger Volmer selbst, als er "den einzigen Satz" zitierte, den er von Helmut Kohl unterstützen könne: "Für die Außenpolitik gilt: Die größten Visionäre sind die wahren Realisten." Der Realpolitiker Joseph Fischer hatte sich indessen längst aus dem Rampenlicht in der Magdeburger Bördelandhalle zurückgezogen. Er weiß, daß im April, wenn im Bundestag die Nato-Ost-Erweiterung diskutiert wird, die Grünen nur ihrem Gewissen verpflichtet sind.