Drogenkrieger im Hinterhof

Auch in der Narco-Demokratie Kolumbien dient die Drug Enforcement Agency (DEA) den USA als Instrument zur Sicherung ihres Einflusses

Einen erfreulichen Fang konnte die kolumbianische Polizei vor zwei Wochen nach Washington melden: Das letzte führende Mitglied des Cali-Drogenkapitals, José Nelson Urrego, ging den Spezialisten um General Rosso José Serrano ins Netz. Die USA wurden gebeten, Kolumbien endlich zu bestätigen, daß es mit den USA im Kampf gegen das Rauschgift voll zusammenarbeite. Aber das nützte nicht viel.

Am 1. März veröffentlichte US-Präsident William Clinton die Liste jener Länder, die nach Meinung von Regierung und Kongreß mit den USA nicht im erforderlichen Maße bei der Drogenbekämpfung kooperiert haben - und Kolumbien war wieder mit dabei. Im "nationalen Interesse" der USA sollen jedoch die seit zwei Jahren gegen das Land verhängten ökonomischen Sanktionen im kommenden Jahr aufgehoben werden. Nach dem bereits am vergangenen Donnerstag publizierten Drogenkontrollbericht werden 22 der 30 begutachteten Länder als voll kooperationsbereit eingestuft. Vier Ländern - Nigeria, Afghanistan, Myanmar (Burma) und Iran - wird das Zertifikat verweigert; bei weiteren drei Ländern, Kambodscha, Paraguay und Pakistan, wird wie im Falle Kolumbiens verfahren.

Schon im Vorfeld der US-Entscheidung galt als ausgemacht, daß Kolumbien - laut dem Bericht der weltweit größte Kokain-Produzent und -Händler sowie einer der wichtigsten Lieferanten von Marihuana und Heroin - auch in diesem Jahr auf der Liste zu finden sein würde, obgleich Präsident Ernesto Samper dem Weißen Haus in vielen Belangen entgegengekommen ist. Zuletzt hatte er im April letzten Jahres klein beigegeben und eine Gesetzesinitiative eingebracht, die die Auslieferung kolumbianischer Drogenbarone an die USA ermöglicht. Allerdings nicht rückwirkend, wie von den USA gewünscht. Allzugern möchte Washington nämlich der Gebrüder Rodriguez Orejuela habhaft werden, den Chefs des Cali-Kartells, die 1995 und 1996 festgenommen worden waren. Doch daraus wurde bislang nichts. US-Vertreter gehen davon aus, daß Samper 1994 rund sechs Milionen Dollar Wahlkampfgelder just aus deren Händen empfangen habe, und dieser Aspekt dürfte bei der Zertifikatsvergabe mit eingeflossen sein.

Anders sieht es im benachbarten Venezuela aus: Dort wurde im vergangenen April einer der letzten bekannten Drogencapos Kolumbiens festgenommen, die USA stellten umgehend ein Auslieferungsbegehren. Ende Mai gab der Oberste Gerichtshof in Caracas grünes Licht, woraufhin Justor Pastor Peraf‡n in die USA überführt wurde. Dort muß er sich nun auf eine bis zu 30jährige Haftstrafe gefaßt machen.

Während die Entscheidung der venezolanischen Richter niemanden in den zahlreichen Büros der DEA (Drug Enforcement Agency) in Lateinamerika überraschte, ist die Entscheidung der kolumbianischen Regierung, die Verfassung zugunsten des Auslieferungsbegehrens der USA zu ändern, als Kniefall bejubelt worden. Juan Tokatl'an, Experte für US-kolumbianische Beziehungen, sieht in dem Zugeständnis Sampers einen Modellfall für die erfolgreiche "Zwangsdiplomatie der USA". In dem kolumbianischen Magazin Cambio 16 erläuterte zudem ein Agent der DEA, Samper sei nicht der erste lateinamerikanische Politiker, dem durch gezielte Indiskretionen zugesetzt worden sei.

Ähnlich erging es dem ehemaligen bolivianischen Präsidenten Jaime Paz Zamora, der 1992 per Dekret die Aktivitäten der in Bolivien akkreditierten ausländischen Beamten reglementieren wollte. Das Dekret mit der Nummer 23 239 wurde allerdings nie wirksam, und den zahlreichen Anschuldigungen gegen die DEA wurde nicht nachgegangen. Erstmals geriet die DEA bereits im Jahr 1986 in die bolivianischen Schlagzeilen: Ihr wurde vorgeworfen, am Kokainhandel beteiligt zu sein und mit dessen Erlösen den Krieg der Contras in Nicaragua zu finanzieren. Der Skandal hatte jedoch kein juristisches Nachspiel, da Zeugen und Beweismaterial "verschwanden". Den Gerüchten um die zwielichtigen Aktivitäten der DEA tat dies keinen Abbruch: Immer wieder war von zahllosen Menschenrechtsverletzungen, von DEA-eigenen Folterhäusern die Rede; auch die Finanzierung rechtsgerichteter Todesschwadronen, die gegen Opposition und Bauernbewegungen vorgingen, wurden der DEA angelastet, ohne daß die Regierung Anstalten machte, den Vorwürfen auf den Grund zu gehen. 1989 umriß Staatssekretär Jorge Alderete das Dilemma der Administration: "Die DEA informiert die Regierung nur über das, was ihr paßt, und erzeugt dadurch eine totale Abhängigkeit."

Drei Jahre sollte es dauern, bis sich die Regierung Paz Zamora ein Herz faßte, um per Dekret mehr Licht in die Aktivitäten der DEA zu bringen. Der Elan des Präsidenten erhielt allerdings schnell einen Dämpfer. Plötzlich mußte er sich gegen den Vorwurf verteidigen, selbst in das Drogengeschäft verstrickt zu sein. Obgleich nie Beweise gegen den Präsidenten und seine Partei MIR (Bewegung der revolutionären Linken) auftauchten, war sein Ruf beschädigt, und die Gesetzesinitiative hatte sich erledigt.

Beim kolumbianischen Präsidenten Samper liegen die Dinge anders: Weder am traditionell guten Verhältnis der Sicherheitskräfte beider Länder hatte Samper rütteln, noch hatte er den Aktionsradius der DEA einengen wollen. Allerdings war der Liberale mit seinem Regierungsprogramm in eine Domäne der kolumbianischen Militärs eingedrungen: Samper hatte angekündigt, mit den drei linken Guerillaorganisationen des Landes einen friedlichen Weg zur Beendigung des seit Jahrzehnten währenden Bürgerkriegs zu suchen. Dem Verhandlungsangebot an die Guerilla, die Schätzungen zufolge über 17 000 Kämpfer verfügt, hatte Samper ein Sozialprogramm zur Seite gestellt - den "salto social". "Menschliche Züge" wollte er der neoliberalen Wirtschaftspolitik seiner Vorgänger verleihen, ohne diese in Frage zu stellen. Mit dem "salto" kam er einigen Forderungen der Guerilla entgegen, schuf die notwendige Verhandlungsbasis und sicherte sich die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit. Sozialprogramme sollten die größte Armut lindern, 400 000 neue Arbeitsplätze sollten entstehen, und das Bildungssystem sollte erweitert und verbessert werden.

In den Augen der kolumbianischen Armee und des Pentagons hatte Samper damit ein Sakrileg begangen. Deren oberste Maxime, Bestandteil der in den sechziger Jahren entwickelten counter insurgency strategy, ist es, nicht mit der Guerilla zu verhandeln, sondern eine militärische "Lösung" des Problems herbeizuführen und die sogenannte "innere Sicherheit" wiederherzustellen.

Was in einem über dreißig Jahre währenden Krieg nicht gelang, wollte Samper nun durch Verhandlungen erreichen. Und er ließ Taten folgen: Der Präsident gestand erstmals die Verantwortung des Staates für das Massaker von Trujillo ein. In diesem Dorf hatten 1990 Armee und Polizei 30 Bauern umgebracht, die verdächtigt wurden, die Guerilla zu unterstützen. Dieses und weitere Massaker von Armee, Polizei und paramilitärischen Todesschwadronen sollten nun untersucht, die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Damit hatte sich Samper die Armee, die es bisher gewohnt war, nach Gutdünken agieren zu können, endgültig zum Feind gemacht. Straftaten von Angehörigen der Sicherheitskräfte wurden zuvor in der Regel ebensowenig untersucht wie deren Verbindungen zu rechtsgerichteten paramilitärischen Todesschwadronen, die gezielt auf Guerilleros und Angehörige der legalen Opposition angesetzt werden. Als Samper sich wenig später anschickte, die Gespräche mit der Guerilla aufzunehmen, verweigerte die Armee dem Präsidenten den Gehorsam, zog ihre Truppen nicht aus dem potentiellen Verhandlungsgebiet ab, sondern verstärkte entgegen der Samperschen Order ihre Operationen. Damit waren die Verhandlungen, bevor sie richtig begonnen hatten, bereits geplatzt.

Daß das eigenmächtige Vorgehen der Armee, das sich im Laufe der Amtszeit des Präsidenten mehrmals wiederholte - zuletzt im vergangen November, als die Armee auf die Dialogpläne Sampers mit einem Bombardement angeblicher Guerillastellungen antwortete - mit dem Pentagon oder der DEA abgestimmt war, ist nicht unwahrscheinlich. Rund 50 Prozent der US-amerikanischen Militärhilfe für den Kontinent fließen nach Kolumbien, keine andere lateinamerikanische Armee ist so weitgehend wie die kolumbianische von US-Ausbildern geschult worden. Zudem existiert ein Eigeninteresse der USA, die Verhandlungen zwischen Regierung und Guerilla zu unterbinden: Die von Samper angekündigten Untersuchungen der Massaker könnten Erkenntnisse über Verbindungen zwischen Todeskommandos und der Armee zutage fördern, die für Pentagon wie DEA peinlich wären.

Unstrittig ist, daß die USA die Kooperation zwischen Militär und Paramilitärs billigend in Kauf nehmen, wie der ehemalige US-Militärattaché Colonel Roach gegenüber Human Rights Watch bestätigte: "Wir wußten aus kolumbianischen Berichten, daß Militärs und Paramilitärs weiterhin zusammenarbeiten. (...) Die Vereinigten Staaten suchen nach der bestmöglichen Vorgehensweise, aber wenn die Hilfe nicht den Kämpfenden zufließen kann, muß man eben andere Wege finden."

Daß sich die USA der Paramilitärs bediente oder deren Praktiken kopierte, gilt in Kolumbien als offenes Geheimnis. Ihre Agenten sollen beispielsweise in die Ermordung des Drogenhändlers Gonzalo Rodriguez Gacha verwickelt sein, wie Coletta Youngers, Wissenschaftlerin am Washington Office on Latin America (WOLA), mutmaßt. Sie stellt zudem die Frage, weshalb die USA über Kontakte zu Paramilitärs verfügen, die nachweislich in den Drogenhandel involviert sind, obgleich der offizielle Grund für die Präsenz der USA in Kolumbien die Bekämpfung des Drogenhandels ist. Dieser wird in US-Militärpublikationen bereits als "war of low intensity" eingestuft.

Auch der Erhalt von Einfluß- und Kontrollmöglichkeiten innerhalb der gewohnten Grauzone der Legalität, der damit verbundene Kampf gegen die Guerilla und die Einschüchterung der legalen Opposition scheinen der DEA und dem Pentagon am Herzen zu liegen. Denn sonst würden die umfangreichen Mittel, die jedes Jahr von Washington nach Bogot‡ oder Mexiko-Stadt fließen, zweckgebunden eingesetzt. Dies ist aber weder in Kolumbien noch in Mexiko der Fall. Dieser Sachverhalt hat Noam Chomsky, Professor am Massachusetts Institute of Technology, zu der These veranlaßt, der Krieg gegen die Drogen diene lediglich als Deckmantel für die Beibehaltung der Guerillabekämpfung nach alten Mustern. Diese These hat in jüngster Zeit neue Nahrung von offizieller Stelle erhalten. Barry McCaffrey, Chef der Drogenpolitik des Weißen Hauses, legitimierte im Herbst bei einem Besuch in Bogot‡ die gängige Praxis: die Umwidmung von Mitteln für die Drogenbekämpfung in solche zur Aufstandsbekämpfung. Auch daß der Fokus der Aktivitäten der DEA nicht im Land der Konsumenten, den USA, sondern dort liegt, wo produziert wird, spricht dafür. Ein weiteres Indiz ist, daß auch enge Vertraute des ehemaligen haitianischen Diktators Raoul Cedras auf der Soldliste der DEA standen. Haiti ist aber weder als drogenproduzierendes Land noch als attraktives Transitland für Drogen, deren Verbreitung die DEA den Kampf angesagt hat, sonderlich in Erscheinung getreten.

Im Zielgebiet der DEA-Aktivitäten in Kolumbien stehen zumeist Koka-Bauern, die eigentlichen Opfer der Repression, die mangels Alternativen zum Anbau der einzig gewinnbringenden Pflanze gezwungen sind. Zuweilen geraten auch die Drogenhändler ins Visier, jedoch steckt die DEA, wie es der peruanische Präsident Alberto Fujimori 1991 in einem lichten Moment den USA vorwarf, selbst tief im Sumpf der Korruption, die mit dem Drogenhandel einhergeht. In den USA selbst hat die DEA trotz eines Jahresbudgets von 800 Millionen US-Dollar kaum spektakuläre Erfolge vorzuweisen. Dabei stünden der in Geheimdienstmanier arbeitende Organisation vielversprechende Wege offen: Weniger kostspielig und erfolgversprechender wäre es beispielsweise, der chemischen Industrie den Export der für die Drogenproduktion unerläßlichen Chemikalien nach Lateinamerika zu untersagen. Über 90 Prozent dieser Chemikalien stammen der Forschungsstelle des US-Kongresses zufolge aus den USA.

Auch bei den US-Banken ließe sich ansetzen: Laut einer Studie der OECD landen rund 50 Prozent der Gewinne aus dem Drogenhandel, die sich alljährlich auf etwa 500 Milliarden US-Dollar belaufen, in den Kanälen des US-Finanzsystems.

Die USA und ihre DEA unternehmen einiges, um in ihrem traditionellen "Hinterhof" Lateinamerika nicht an Einfluß zu verlieren: Im Falle Panamas ist das jüngst eindrucksvoll gelungen. An und für sich wäre es mit der Präsenz von US-Truppen an einer der wichtigsten Schiffahrtsstrecke der Welt zum 31. Dezember 1999 vorbei. Und doch werden auch nach diesem Datum US-Einheiten vor Ort bleiben: als Mitglieder des "multinationalen Antidrogenzentrums", welches auf dem Gelände des US-Stützpunktes Howard entstehen wird. Auch aus militärischen Erwägungen, wie US-Verteidigungsminister William Cohen kürzlich ausführte, sollen 2 000 bis 2 500 Soldaten dort stationiert bleiben. In Unterlagen des US-Senats wurde bereits in den vergangenen Jahren formuliert, daß die geschickteste Form, Truppen vor Ort stationiert zu halten, die Gründung eines gemeinsam verwalteten Drogenzentrums sei.

Die Kehrseite der Truppenpräsenz läßt sich gut am Beispiel Mexikos rekonstruieren: Antidrogen-Ausrüstungen lassen sich schnell, wie 1994 in Chiapas, zur Aufstandsbekämpfung heranziehen. In Kolumbien ist dieses Verfahren, mit dem sich auch Präsident Samper arrangiert hat, bereits Alltag.