Ruheraum im Bundesrat

Die SPD nimmt ihre Rufe nach einem Abschiebestopp für algerische Flüchtlinge selbst nicht ernst

Von ihren humanitären Ansprüchen läßt sich die SPD bürokratische Gepflogenheiten nicht durcheinanderbringen - das hat vergangene Woche die Innenministerkonferenz (IMK) gezeigt: Um das nicht institutionell festgeschriebene, sondern nur auf einer Absprache zwischen den Innenministern der Länder und dem des Bundes beruhende Konsensprinzip nicht anzutasten, ließen die SPD-regierten Länder ihre noch tags zuvor geäußerte Forderung nach einem generellen Abschiebestopp für algerische Flüchtlinge schnell wieder fallen. Sie hätten Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) eine Prüfung des Begehrens abringen können - die SPD hat die erforderliche Stimmenmehrheit von elf Ländern -, doch die Aussicht auf einen negativen Bescheid ließ die Sozialdemokraten zurückzucken.

Wegen der brisanten Situation in Algerien, so der hessische Innenminister Gerhard Bökel stellvertretend für seine sozialdemokratischen Länderkollegen, habe man eine "bundeseinheitliche Regelung" nicht gefährden wollen. Mit der beschlossenen Einzelfallprüfung könne er gut leben, schließlich komme auch sie den Flüchtlingen zugute. "Das war das Beste, was rauszuholen war", kommentierte Bökel nach der Konferenz. Die bundeseinheitliche Regelung war den SPD-Ländern so wichtig, daß sie mit Ausnahme Schleswig-Holsteins auch darauf verzichten, ihrerseits einen vorübergehenden, sechsmonatigen Abschiebestopp zu verhängen.

Die Sozialdemokraten folgen mit ihren Rufen nach einem Abschiebestopp der Konjunktur der Massaker in Algerien. Werden dort innerhalb einiger Tage wieder erheblich mehr Menschen umgebracht als in den Wochen zuvor, meldet sich in Hessen, Sachsen-Anhalt oder Rheinland-Pfalz mit Sicherheit ein SPD-Politiker zu Wort und fordert die Aussetzung der Abschiebungen. In schöner Regelmäßigkeit schließen sich die Innenminister der SPD-regierten Bundesländer den Argumenten von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen an - und lassen nach überstandener Sitzung mit der CDU weiter abschieben.

Nach Algerien wird im Durchschnitt jeden Tag ein Flüchtling abgeschoben. Nur zwei Prozent aller algerischen Asylbewerber werden als politisch Verfolgte anerkannt. Gegen rund 6 500, vor allem abgelehnte Asylbewerber, besteht eine Ausweisungsverfügung. Nach Einzelfallprüfung gewährte das zuständige Bundesamt 1997 gerade neun abgelehnten Asylbewerbern wenigstens einen vorläufigen Abschiebeschutz.

Die jetzt beschlossene Regelung ist keine wirkliche Neuerung. Lediglich die Zuständigkeit ändert sich: Nicht mehr die Ausländerbehörden prüfen, sondern zentral die jeweiligen Innenministerien. Die Frage der Abschiebung wird von einer reinen Verwaltungsangelegenheit zu einer politischen Entscheidung. Ob ein Algerier abgeschoben wird, entscheidet nun beispielsweise in Berlin statt des Ausländeramts der Staatssekretär des Innensenators, Kuno Böse. Böse ließ vergangenes Frühjahr zwei bosnische Mädchen aus einem Heim für traumatisierte Frauen heraus in Abschiebehaft nehmen, erst auf öffentlichen Druck hin kamen die beiden wieder frei. Der Berliner Innensenat unter Jörg Schönbohm (CDU) ist für seine ausländerrechtlich harte Linie bekannt, die Bundesratsinitiative zur Streichung von Sozialhilfe für Migranten stammt aus seinem Haus.

In den rot-grün-regierten Ländern dürfte die Vereinbarung Flüchtlingen eine relative Sicherheit garantieren. Allerdings wird aus diesen Ländern schon jetzt weniger abgeschoben als beispielsweise aus Baden-Württemberg oder Bayern. Dort wiederum gaben schon bisher die Innenministerien eine restriktive Linie vor, und die Ausländerbehörden fügten sich weitgehend den Weisungen der oberen Landesbehörden. Nicht umsonst stehen die beiden südlichen Bundesländer bei Abschiebungen fast aller Flüchtlingsgruppen ganz oben auf der Liste. Bessere Chancen auf einen sicheren Aufenthaltsstatus können sich die Algerier nach dem Beschluß der Innenministerkonferenz nicht ausrechnen.

Ein Abschiebestopp könne eine Massenflucht aus Algerien heraufbeschwören, begründeten die unionsregierten Länder ihre Haltung auf der Innenministerkonferenz. Und der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) fügte nach der Sitzung ein weiteres Bedrohungsszenario hinzu: Deutschland dürfe nicht zum "allgemeinen Ruheraum" für islamische Fundamentalisten werden.

Setzt sich diese Argumentation durch, bedeutet das eine weitere Verschlechterung der Situation für die Flüchtlinge. Werden auch diejenigen abgeschoben, die staatlicher Verfolgung ausgesetzt sind, also tatsächliche oder vermeintliche Islamisten, hat in der BRD kein Algerier mehr Anspruch auf Asyl. Wer sich nur auf nichtstaatliche Verfolgung berufen kann - wie die durch die Fundamentalisten -, wird nach den deutschen Asylgesetzen ohnehin nicht anerkannt.