Bundeswehr in Unrühe

"Natürlich", sagte Verteidigungsminister Volker Rühe der Bild-Zeitung - und wenn er so ein Wort benutzt, dann denkt er auch an etwas Naturwüchsiges -, "natürlich gibt es unter den Offizieren weniger Anhänger der Grünen und der Jusos als der Jungen Union. Aber die Grünen sind gegen die Bundeswehr und wollen sie auflösen. Wenn es mehr Offiziersnachwuchs auch von den Grünen und den jungen Sozialdemokraten geben soll, dann müssen diese ein anderes Verhältnis zur Bundeswehr finden. So herum wird ein Schuh daraus."

Das Angebot steht also. Und so ganz neu ist es nicht. Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza forderte 1977: "Als Jungsozialist, als Jungdemokrat, als Junggewerkschafter, als Spartakist in die Bundeswehr. Nicht als Wehrpflichtiger, sondern als Freiwilliger, als Unteroffiziers- oder Offiziersanwärter. Wir wollen Abrüstung, wir wollen eine äußere und innere Ordnung, die den Beruf des legitimierten Töters überflüssig macht. Doch nur eine demokratische Armee läßt sich abbauen. Jede andere putscht. Diese Bundeswehr auch."

Die scheinbar gemeinsame Aufforderung an die Linken, sie sollten, um Schlimmeres zu verhüten, doch in die Armee eintreten, hat freilich zwei leicht erkennbare Unterschiede. Das Ziel, die deutsche Wehr endlich abzuschaffen, ist nicht das von Rühe. Und die Erkenntnis, daß von einer Armee prinzipiell immer eine Putschgefahr ausgeht, ist auch nicht die von Rühe.

Trotz dieser erkennbaren Differenz verwirrt ein Umstand: Was noch Ende der siebziger Jahre als ernstzunehmendes Argument zur Debatte zu verstehen war, wie man diese Bundeswehr los wird und wie man politisch eine Putschgefahr verhindern kann, ist nun der verzweifelte Ausruf eines konservativen Militärministers, der merkt, daß sogar das von ihm formulierte "Primat der Politik" bei der Truppe nicht zählt.

"Die Bundeswehr ist eine demokratische Armee", doziert Rühe, und das müßte man sich wohl so vorstellen: Erst wird diskutiert, sodann eine Meinung gebildet, woraufhin es zur Abstimmung kommt, in deren Anschluß sich alle auf einen Befehl geeinigt haben, dem man dann, wenn man möchte, Gehorsam leistet. So etwas, das weiß Rühe, gibt es nicht. Aber Rühe weiß auch, daß die vierzigjährige Ideologie vom "Primat der Politik" nichts wert ist.

In den über vierzig Jahren Bundeswehr ist kein einziges Jahr vergangen, in dem nicht die Generalität einen der ihren vorschickte, um selbstbewußt zu verkünden, daß ihnen das politisch-zivile Brimborium stinkt, daß das eines deutschen Soldaten unwürdig ist, daß man schließlich für den Ernstfall da sei, den man gefälligst selbst auszurufen gedenkt. Mal wurde die Nazi-Rhetorik von der "Schwatzbude Parlament" benutzt, mal wurde Altnazi Hans-Ulrich Rudel in die Kaserne eingeladen (1976), mal Altnazi Manfred Roeder (1995), mal wurden die sozialdemokratischen Minister Georg Leber und Hans Apel im Kasinojargon als "Ungediente" beschimpft, mal die Christdemokraten Gerhard Stoltenberg und Volker Rühe.

Das deutsche Militär hat sich immer seine eigene Welt erhalten. Phasenweise geht es ein Bündnis mit der politischen Rechten ein, phasenweise schottet es sich ab, aber immer hat es sich die Option offengehalten - schließlich ist man Elite -, selbst einzugreifen, wenn es die bürgerliche Demokratie zu weit treibt. Da hilft es auch nicht, wenn auf einmal Jusos oder Grüne in den Offiziersdienst eintreten.