Boxen ohne Promis

Trotz Maske, May und alledem: Das Profiboxen in Deutschland wird auch 1998 ein stabiler Markt sein

Berühmte letzte Worte: "Stefan, ich gebe auf", sagte Torsten May Mitte Dezember zu Stefan Angehrn. Beide sind Profiboxer. May hatte zwar als der bessere von beiden gegolten, doch der Schweizer Angehrn konnte den Kampf gewinnen. Torsten May, so war es geplant, sollte von seinem Manager Wilfried Sauerland im Cruisergewicht zu dem aufgebaut werden, was Henry Maske im Halbschwergewicht war: Weltmeister eines angesehenen Verbandes, Sympathieträger, Sexsymbol, Repräsentant einer wunderbar gelungenen Vereinigung von BRD und DDR - und Garant anständig hoher Einschaltquoten im RTL-Samstagabend-Programm. May gab aber auf, und nun fragt sich die Nation, ob es das war mit dem Profiboxen?

Maske ist abgetreten, nachdem er in seinem letzten Kampf noch vermöbelt worden war, Axel Schulz hat drei WM-Kämpfe hintereinander verloren und bezwingt nun erst mal Aufbaugegner, Graciano Rocchigiani läßt seine Kämpfe immer wieder platzen und wird außerdem auch nicht jünger, und einen Boxer wie Dariusz Michalczewski hat die Nation nicht ins Herz geschlossen. Das könnte daran liegen daß er aus Polen stammt oder daran, daß er in der Regel nur auf dem Abosender Premiere zu sehen ist oder auch auch daran, daß er gemeinerweise in der gleichen Gewichtsklasse boxt wie Maske, dort aber wesentlich erfolgreicher ist und Maske sich aus genau diesem Grund immer geweigert hat, gegen Michalczewski zu boxen - womit der Wert von Maskes WM-Titel ziemlich genau bestimmt ist (noch nicht mal auf dem deutschen Markt war er der beste). Außerdem wird sich Michalczewski wahrscheinlich bald in Richtung USA orientieren wird, denn dort warten die wirklich guten Gegner und das große Geld.

Auf den ersten Blick scheint der Boom zuende, und das schon zum dritten Mal in diesem Jahrhundert. Ende der zwanziger/Anfang der dreißiger Jahre hatte der erste Aufschwung stattgefunden. Damals zogen Paul Samson-Körner und Hans Breitensträter die Massen an, bis mit seinem WM-Erfolg Max Schmeling zum großen Idol geworden war. Mit Schmelings Kämpfen war allerdings auch die Boxbegeisterung bald vorbei, denn den vorher gesuchten Helden hatte man schließlich in ihm gefunden. Das gleiche wiederholte sich in den fünfziger Jahren, als der Berliner Bubi Scholz Europameister war und um die WM boxte. Auch hier war der Boom in dem Moment vorbei, als Scholz vom Publikum als Held angenommen worden war - das Profiboxen fand wieder vor und in dem sogenannten Milieu statt. Und nun, in den ausgehenden neunziger Jahren, nachdem mit Henry Maske das Vereinigungssymbol gefunden war, funktioniert dieser Ablauf wieder genauso, nach dem Maske-Rücktritt scheint auch der jüngste Boxboom wieder vorbei zu sein. Die Sitze an den Boxringen werden, nachdem sie von der Gottschalk-Schreinemakers-Becker-Prominenz gewärmt wurden, jetzt wieder von den Menschen eingenommen, die so aussehen, wie man sich Zubälter vorstellt. Leute halt, die auch in den siebziger und achtziger Jahren bereits dort saßen, als das deutsche Profiboxen mit Eckehart Dagge, Renè Weller und Graciano Rocchigiani schon drei Weltmeister stellte und zusätzlich noch paar Europameister, von denen allerdings anscheinend keiner zum Helden taugte.

Anfang der Neunziger kam dann aber Henry Maske, der seinem TV-Sender RTL Einschaltquoten zwischen zwölf bis 17 Millionen bescherte und schließlich dafür sorgte, daß beispielsweise 18 Millionen den Kampf von Axel Schulz gegen Fran ç ois Botha und immerhin noch 15 Millionen Torsten May gegen Adolpho Washington auf Palma de Mallorca sahen wollten. Gerade die letztgenannten beiden Kämpfe belegen, daß der Boxboom in Deutschland nichts mit boxerischer Qualität zu tun hatte. Als Sat.1 zeitversetzt den Sieg von Dariusz Michalczewski über den Maske-Bezwinger Virgil Hill zeigte, schauten nur 5,87 Millionen zu, obwohl es da nicht nur um Maskes vakanten WM-Titel des Verbandes IBF ging, sondern im Paket gleich auch noch um die der Verbände WBA und WBO. Die Quoten erscheinen im Vergleich zu denen der Maske-Kämpfe wenig, deuten aber doch an, daß das Profiboxen im Deutschland der neunziger Jahre eine insgesamt höhere Nachfrage erfährt - noch vor zehn Jahren wären es deutlich weniger als fünf Millionen gewesen, die einen Boxkampf im Fernsehen eingeschaltet hätten.

Auch der bislang weitgehend boxabstinente Sender Sat.1 will im Jahr 1998 vier große Kämpfe präsentieren und verhandelt darüber gerade mit dem Hamburger Promoter Klaus-Peter Kohl, der immerhin Weltmeister Dariusz Michalczewski, die großen Talente Markus Beyer und Michel Trabant sowie die Weltmeisterin Regina Haimich anbieten kann. Dessen Gegenspieler Wilfried Sauerland hat zwar gerade mit Torsten May Schiffbruch erlitten, hält aber immer noch dessen Bruder Rüdiger, Graciano Rocchigiani und Axel Schulz unter Vertrag. Mit diesen und einer Reihe weiterer Boxer wollen die Promoter und ihre Fernsehanstalten ihr Angebot einem stabilen Zuschauermarkt zugänglich machen. 22 Prozent der Bundesdeutschen erklären, sie würden sich häufig Boxkämpfe im Fernsehen ansehen, 39 Prozent gelegentlich, und nur zwölf Prozent schauen nie hin. Auf diesen doch sehr stabilen Markt, der nur nicht mehr auf die gigantischen Maske-Einschaltquoten orientiert ist, drängen nun viele. Willi Fischer etwa, ein "de Ox" genannter und sehr talentierter Schwergewichtler aus Frankfurt/Main, der vom Peter Graf-Erpresser Eby Thust betreut wird, bereitet sich auf einen WM-Kampf vor. Oder Kim Weber aus Köln, der einzige, der Fischer besiegen konnte, als es um die Internationale Deutsche Meisterschaft ging; auch er ist ein Boxer aus Kohls Stall.

Sauerland setzt darüber hinaus auf Kämpfer wie Timo Hoffmann oder Sven Ottke. Nicht die ganz großen Namen wie Henry Maske, aber für die 22 Prozent, die laut Umfragen jeden Kampf gucken wollen, sind die gut genug. So hat die Aufgabe von Torsten May gegen Stefan Angehrn in Düsseldorf nicht symbolisiert, daß das Profiboxen in Deutschland wieder in das alte Milieu zurückfinden wird, sondern etwas ganz anderes: Die Zeit, jemanden so vermarkten zu können, wie RTL und Sauerland das mit Maske vorgeführt haben, ist vorbei. Man muß nicht mehr mit einem ehemaligen Oberleutnant der Nationalen Volksarmee, der den inhaltsleeren Smalltalk beherrscht und die eigene Sauberkeit mit Werbung für Antischuppenshampo unterstreicht, das Anständige des Boxens beweisen.

* Martin Krauß