Zwangsarbeit für alle

Auf einem Kongreß in Berlin präsentierte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Instrumente, mit denen sie die Arbeitslosigkeit bekämpfen will

Elmar Pieroth hat ein Problem: Nach dem Tanken muß er sich immer die Hände waschen. Da wäre es doch viel praktischer, ein Sozialhilfeempfänger stünde bereit, um sich "gegen ein geringes Entgelt" für den Berliner Wirtschaftssenator die Finger schmutzig zu machen. Ulf Fink träumt davon, daß Tausende von Langzeitarbeitslosen die überflüssigen Gleisanlagen der Deutschen Bahn in den Innenstädten abbauen. Bedauernd fügt der CDU-Sozialpolitiker hinzu, daß "manchmal der Lohn sehr gering sein wird". An den Bau neuer Autobahnen hat er aber noch nicht gedacht.

Auf Anstoß von Wolfgang Schäuble hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 18. November zu einem Kongreß nach Berlin geladen. Unter dem Motto "Arbeit für Alle" sollte nach neuen Wegen in der "Beschäftigungsförderung" gesucht werden. In der Einladung wurde deutlich gemacht, um wen es gehen sollte: Über eine Million Empfänger von Arbeitslosenhilfe und etwa 700 000 arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger sollen sich keinen faulen Lenz mehr machen dürfen. "Leistung gegen Leistung - Arbeit statt staatlicher Alimentation" hieß zum Beispiel das Motto des "Arbeitsforums V".

Für einen Teil der Arbeitslosen bedeutet ein Leben ohne Lohnarbeit den Verlust fast aller sozialen Kontakte und des Lebenssinns. Über diese Gruppe wurde den ganzen Tag geredet, doch gemeint waren eindeutig diejenigen Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen, die sehr wohl in der Lage sind, sich einen Lebenssinn jenseits von Lohnarbeit zu geben und ihre freie Zeit vergnüglicher auszufüllen als mit "Dienstleistungen am Menschen". So wurde wiederholt berichtet, daß in Leipzig ein Drittel der Anträge auf Sozialhilfe zurückgezogen werden, seitdem allen AntragstellerInnen binnen einer Woche eine Arbeit in der kommunalen Beschäftigungsgesellschaft zugewiesen wird. Daß es im Grundgesetz im Artikel 12 heißt "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden", fiel keinem auf.

Bei der eröffnenden Podiumsdiskussion und auf den über den Tag verteilten "Arbeitsforen" wurden die "Instrumente" vorgestellt und diskutiert, mit denen die Union die Arbeitslosen in die Disziplin der Arbeitsgesellschaft zurückführen will. Die Arbeitslosenhilfe soll in die Sozialhilfe integriert und den Kommunen aufgebürdet werden. Damit würden für alle Langzeitarbeitslosen die wesentlich schärferen Bestimmungen der Sozialhilfe gelten; Verwandte ersten Grades könnten künftig zur Unterstützung herangezogen werden. Die kommunalen Sozialämter sollen allen AntragstellerInnen sofort einen Job bei lokalen Beschäftigungsgesellschaften anbieten. Für arbeitsfähige Erwerbslose soll es Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe nur noch gegen Arbeit geben.

Da in den Gemeinden nicht genügend Jobs zu finden sind, ist außerdem geplant, mittels eines sogenannten Kombilohns, der sich aus Sozialhilfe und wenigen Mark pro Stunde geleisteter Arbeit zusammensetzt, neue Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft zu schaffen. Kombilohn-EmpfängerInnen sollen dann all die Arbeiten erledigen, die zur Zeit liegenbleiben, weil die Lohnkosten dafür angeblich zu hoch sind. CDU und CSU haben auch für Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz finden, eine Lösung: Sie sollen für 500 Mark netto im Monat, die das Sozialamt bezahlt, drei Tage in der Woche einen Praktikumsplatz in der Industrie besetzen, an zwei weiteren Tagen sollen sie zur Schule gehen. Überhaupt, trug Dieter Hundt, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, vor, sollten die Tarife für die unteren Lohngruppen um 30 Prozent gesenkt werden, dann würde es auch wieder attraktiv, Leute einzustellen.

Auf dem unvermeidlichen "Markt der Möglichkeiten", der parallel zum Kongreß stattfand, stellten über 30 Beschäftigungsgesellschaften ihre Programme vor. Unumstrittener Star war der "Betrieb für Beschäftigungsförderung - Eigenbetrieb der Stadt Leipzig", bei dem über 4 000 ehemalige SozialhilfeempfängerInnen meist für ein Jahr beschäftigt und weiterqualifiziert werden. Mehr aber auch kaum: So reizvoll eine Ausbildung zur GärtnerIn auf einem ökologischen Bauernhof mitten in Leipzig sein mag, von den 1 400 bis 1 600 Mark netto, die monatlich für vier 40-Stunden-Wochen bezahlt werden, läßt sich kaum leben. Der größte Stand auf dem "Markt der Möglichkeiten" war übrigens derjenige der Leiharbeitsfirma adecco (ehemals Adia). Dort freut man sich schon auf den 1. Januar 1998, wenn das Arbeitsamt die Vermittlung von Arbeitslosen auch an private Firmen weiterreichen darf.