Monolog mit Tauben

Streiken ist immer gut - und sei es nur, um den katastrophischen Gang der Dinge ein wenig zu verlangsamen. Und wenn der Depressionen auslösende Alltag in der Qualifikationsfabrik unterbrochen wird, wenn die Aneignung der Räume und der Zeit um sich greift - dann setzt sich Protestpotential frei.

Ein netter Prozeß ist es, wenn die Unzufriedenheit sich Bahn bricht. Tausende Studierende bundesweit protestieren gegen die desolaten Zustände an den Hochschulen. Von Bundespräsident Herzog zu Monatsbeginn angemahnt, kommt sie nun aus den Universitäten selbst: eine Debatte über Bildung in der BRD. Über Qualifikation und Fachidiotentum redet niemand, es muß schon die längst obsolete Vorstellung vom Bildungsbürgertum sein, an der man sich orientiert. Und - schwups! - klinken sich auch schon alle in den Monolog der Verhältnisse ein.

Zukunftsminister Rüttgers steht an der Spitze der Bewegung: Ein Sofortprogramm für die deutschen Hochschulen soll auf den Tisch. Altväterlich attestiert er den Streikenden, daß ihr Unmut legitim sei, denn jeder könne schließlich sehen, daß sie ihr Studium zügig abschließen wollten.

In einem sind sich Rüttgers und die Streikenden einig - Geld muß her. Was Rüttgers nicht sagt: Für den 18. Dezember ist der nächste Griff ins Portemonnaie von Studierenden und deren Eltern terminiert, 470 Millionen Mark soll dieser weitere Abbau des Bafög in den Bundeshaushalt bringen. Zur freien Verwendung. Die rot-grünen Verhandlungspartner aus den Ländern wollen die Gelder lediglich anders verteilen; sämtliche Freibeträge, die Eltern bislang für das Studium ihrer Kinder geltend machen konnten, wollen aber auch die Rot-Grünen streichen.

Solidarpakt Uni. Ein Bündnis soll es wieder einmal richten. Im vergangenen Jahr einschlägig erprobt, fordert Rüttgers Länder, Hochschulen und "engagierte Bürger" an einen Tisch - zum Bündnis der Eliten. Die Studenten hat er vergessen. Was wiederum denen Raum eröffnet, die sich Kontrolle über die Bewegung verschaffen wollen. "Studenten an den Runden Tisch!" Der Köder ist schon ausgeworfen, und ein paar Nachwuchspolitiker aus den studentischen Reihen werden schon anbeißen. Danach kann immer noch darüber diskutiert werden, wie sich der Gürtel selbstbestimmt enger schnallen läßt.

Gebannt richten die bürgerlichen Medien ihre Aufmerksamkeit auf den sich formierenden Protest. Die Internet-Bewegung mailt zurück, Presseerklärungen und Resolution blockieren die Faxgeräte in den Redaktionen. Medien-Präsenz steht an erster Stelle, spektakuläre Aktionen ersetzen die praktische Kritik. Zehn Stunden lang joggten Sportstudenten die Frankfurter Einkaufszeile rauf und runter - Mitspielen in der Entfremdung will trainiert sein, ebenso entfremdet. Als der höchste Repräsentant der hessischen Exekutive, Ministerpräsident Eichel, letzte Woche das Gießener Audimax betrat, begrüßte ihn schon ein studentisches Plakat mit den Worten: "Bildungspolitik ist Standortpolitik".

Doch die Unzufriedenheit breitet sich aus. Schülerinnen und Schüler in Hessen haben sich den Studenten-Streiks bereits angeschlossen. Das läßt hoffen - sind sie doch noch nicht so lange in den Qualifikationsmaschinen verbildet worden, als daß sie ernsthaft mit Tauben über Institutionen diskutieren wollen, die abgeschafft gehören.