Johannes Frese, Pädagogik-Erstsemester in Gießen

»Das pusht!«

Der Präsident der Gießener Uni sagte vor einigen Tagen, wegen der Proteste seien die Studenten jetzt stolz auf ihre Uni. Bist du wirklich stolz, in Gießen zu studieren?

Stolz? Ich konnte wählen zwischen mehreren Studienorten. Ich komme aus Northeim in Niedersachsen, und da habe ich mir gedacht, ein bißchen weiter weg ist gut, und die Stadt ist auch von der Größe her okay. Ich hab dann angefangen, hier zu studieren. Das war dann nicht so doll von den Studienbedingungen her. Aber im nachhinein muß ich sagen, ich bin froh hier zu studieren. Unter den Studierenden ist die Stimmung echt gut, und die Gemeinschaft wird vom Streik auch gefördert.

Macht es nicht mißtrauisch, wenn sogar der Präsident der Frankfurter Börse eure Forderungen unterstützt und auch Bundesbildungsminister Rüttgers lobt, die Studenten wollten nicht die Weltrevolution, sondern stellten ganz handfeste Forderungen.

Ist natürlich gut, wenn viele unserer Meinung sind. Dann sollen sie aber auch etwas bewegen. Zum Beispiel war der Hans Eichel hier in Gießen. Der soll aber nicht nur sagen: Ist okay, was ihr macht, der soll auch was bewegen. Und solange streiken wir, bis wir irgendwelche Ziele erreicht haben.

Welche?

Wir haben ja einen detaillierten Forderungskatalog. Aber grob gesagt: Die Studienbedingungen sollen sich ändern. Daß auf 700 Studis nur ein Prof fällt, wie zum Beispiel im Fachbereich Pädagogik, das ist untragbar.

Da könnte man sagen: Wir führen strengere Auswahlverfahren ein, dann gibt es weniger Studenten, und schon sind die Studienbedingungen besser.

Ja, aber da sind wir auch gegen. Wir haben ja mehrere Forderungen. Ich finde es zum Beispiel gut, daß das Land Hessen einen Numerus Clausus bei Pädagogik ablehnt. Aber dann muß das Land auch dafür sorgen, daß die Studierenden auch gut studieren können. Ich bin kein Freund vom NC. Nicht, daß mein Abi schlecht wäre, aber ich finde, Abi ist die Zulassung zum Studium - da soll man nicht auch noch einen NC draufsetzen.

Welche Forderungen müßten denn mindestens erfüllt werden, damit ihr aufhört zu streiken?

Wir haben einen Mindestforderungskatalog, und den sollten sie schon erfüllen. Wir haben erst jetzt auf einer VV beschlossen, daß wir unbefristet streiken, bis die politischen Forderungen erfüllt sind. Es kann natürlich immer sein, daß wir eine Vollversammlung haben, in der die Studis sagen, jetzt reicht's.

Wie ist denn die Stimmung?

Vor ein paar Tagen sah es so aus, als würde der Streik abbröckeln. Aber jetzt hat die Vollversammlung einstimmig die Fortsetzung des Streiks beschlossen - das ist ein super Zeichen. Auch in Marburg bröckelte es, und als die hörten, daß wir weiter machen, zack, waren die auch wieder voll dabei, und Frankfurt genauso.

Es werden immer wieder Studierende zitiert mit Sätzen wie: "Ich habe in dem Streik schon mehr gelernt, als während meinem ganzen Studium."

Was lernt man denn beim Streiken?

Man hat auf einmal den Überblick, wie so eine Uni überhaupt funktioniert. Sich mit Leuten zu unterhalten, mit anderen Studierenden, Profs, mit dem Kanzler, mit dem Präsi, das bringt echt 'ne Menge.

Was hat dir während des Streiks bisher am besten gefallen?

Mein spaßigstes Erlebnis war eine Aktion in Wetzlar. Dort tagte die EKD, und da waren Helmut Kohl und Hans Eichel. Wir waren drei Teams. Eines war im Dom, da war ich dabei, und hat dort nach dem Gottesdienst ein Transparent entrollt. Und wir haben ein Lied gesungen auf der "Danke"-Basis: Danke für den BildungsabbauÖ war ganz lustig. Helmut Kohl war schon ein bißchen entsetzt, die Security war total sauer. Helmut Kohl kam dann raus, und da standen wieder ein paar Studis mit einem Transparent. Und dann hatten wir noch zwei Studenten mit Presseausweisen in der Kongreßhalle, und die haben auch ein Transparent entrollt. Damit haben wir den Vogel abgeschossen. Die Security war richtig sauer, hat auch gut hingelangt. Aber Helmut Kohl hat's gesehen, Hans Eichel ist in seiner Rede auf unsere Aktion eingegangen, und die evangelische Kirche hat sich dann mit uns solidarisch erklärt. Kam gut an, echt.

Sonst ist der Streik nicht wirklich lustig, sondern vor allem anstrengend. Wenn man wie ich über drei Wochen das Haus besetzt, dann wird man schon mal knatschig und muß mal eine Nacht zu Hause schlafen. Aber die Gemeinschaft die man hat, daß alle zusammenhalten, das ist schon ein schönes Gefühl. So richtig Freundschaften werden hier geknüpft. Man kommt hier an als Erstsemester, kennt niemanden, und auf einmal kennt man die halbe Uni.

Der Streik scheint die beste Einführungsveranstaltung zu sein.

Es gibt eine Einführungswoche an dieser Uni, die sollte man vielleicht in eine Streikwoche umwandeln - nein, das ist Schwachsinn. Aber der Streik ist schon eine feine Sache, man lernt eine Menge Leute kennen und ich glaub auch, wir haben Erfolg. Wir hören jeden Tag: Die Uni macht mit oder die Fachhochschule, das ist echt ein tolles Gefühl. Das pusht ungemein!