Mordskumpel im Vollrausch

Leipziger Landgericht verhängt hohe Haftstrafen wegen Mord an einem Schwulen - und will vom rechtsradikalen Hintergrund lieber nichts wissen

Die Worte schlossen jeden Zweifel aus. "Hau ab, du schwule Ratte", beschimpfte David D. den Leipziger Bernd Grigol. Doch zum Abhauen blieb dem 43jährigen Kaufmann keine Zeit mehr. Kaum hatte D. seinen Satz zu Ende gesprochen, griff er mit seinen Freunden Rainer S. und Michael L. sein Opfer auch schon an. Zunächst verprügelten sie den verhaßten Homosexuellen, stachen ihm dann mit einem Holzstab auf seine Augen ein, schütteten ihm Sand in den Mund und warfen einen Bordstein auf seinen Kopf. "Aus Mitleid", und weil er ja schon fast tot gewesen sei, wie David D. einem Freund im nachhinein beichtet, ging er auch noch mit einem Messer auf den Mann los. 36 Stichwunden stellte die Gerichtsmedizin fest, als Bernd Grigols Leiche elf Tage später, am 19. Mai 1996, in einem See nahe der Messestadt gefunden wurde.

Dieser Mord im Leipziger Stadtteil Wahren beschäftigte seit Mitte September das Landgericht der Stadt. Vergangenen Mittwoch sprach Richter Nikolaus Bierast das Urteil: Lebenslange Haft für den 24jährigen Rainer S., acht Jahre für den zur Tatzeit noch jugendlichen Michael L. David D. hatte Glück. Da er im "Vollrausch" gehandelt habe, wurde er nur zu einer Gefängnisstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Nach seinen Angaben hat er in der besagten Nacht zum 8. Mai soviel Bier und Apfelkorn getrunken, daß er 9,5 Promille im Blut hätte haben müssen - einen Alkoholpegel, den laut Aussagen des Leipziger Rechtsmediziners Scholmeyer niemand überlebt. Zehn Monate Jugendstrafe auf Bewährung erhielt der 21jährige Markus W. Er hat mit seinem Trabant geholfen, die Leiche zum Ammelshainer See zu fahren.

Beim Leipziger Bündnis gegen Rechts ist man nach dem richterlichen Spruch unzufrieden. Nicht gegen das Strafmaß, "sondern gegen die Art und Weise der Urteilsbegründung, die zu den Strafen führte", protestiert die antifaschischtische Gruppe. Rechtsanwälte, Ankläger und auch Richter hätten "entgegen besseren Wissens" den eigentlichen Hintergrund ausgeblendet: "Der Mord war eindeutig rassistisch und schwulenfeindlich motiviert." Tatsächlich sind die Verbindungen der Verurteilten zur rechtsradikalen Szene Leipzigs nicht zu übersehen. Bevor die Männer an jenem Abend im Mai zuschlugen, trafen sie sich wie üblich zum Saufen in der Wohnung von René Lehr, einem ehemaligen Mitglied der verbotenen Nationalistischen Front. Dort beschlagnahmte die Polizei später umfangreiches neonazistisches Material. Rainer S. kann zudem bereits auf mehrere Verurteilungen wegen rechtsextrem motivierter Angriffe, unter anderem auf ein besetztes Haus in der Leipziger Sternwartenstraße im Jahr 1990, zurückblicken. Gemeinsam mit seinem Bruder Roland S. zählt er zum Umfeld des ehemaligen Leipziger FAP-Kaders Dirk Zimmermann. Wenig verwunderlich also, daß regelmäßig bis zu 25 Neonazis den Prozeß aufmerksam verfolgten. Mit im Publikum: Mitglieder der rechtsradikalen Band Oiphorie sowie Steffen Rinck, der nach Informationen des Bündnisses gegen Rechts "zum harten Kern der Wurzener Faschistenszene gehört".

Jenseits der Zuschauerbank wollte man allerdings diese Zusammenhänge nicht verhandeln. "Sie haben aus Lust und Spaß, einen Menschen körperlich zu mißhandeln, getötet", begründet Richter Bierast sein Urteil. Und Staatsanwalt Rainer Baums bedauert: "Aus welchen Motiven heraus die Angeklagten getötet haben, konnte in der Beweisaufnahme vor Gericht aber nicht geklärt werden." Daran zeigten die Strafverfolger auch wenig Interesse. Zahlreiche Zeugen wurden erst gar nicht gehört. Auch der Umstand, daß der Stadtteil Wahren nach Informationen des Schwulenbeauftragten der Stadt, Thomas Krakow, ein Schwerpunkt schwulenfeindlicher Übergriffe in Leipzig darstellt, kam nicht zur Sprache, obwohl das Opfer in dem Viertel seit vielen Jahren als Homosexueller bekannt war. Im Gegenteil: Nachdem die Leiche Grigols gefunden wurde, erstellte die Polizei zunächst eine Bildmappe von Personen aus dem Umfeld des Opfers. Auf die Rechtsradikalen wären die Ermittler wohl nie gekommen, hätte nicht ein Freund der Gruppe versucht, mit Grigols Scheckkarte Geld abzuheben. Dabei hatten sich die Täter wenig Mühe gegeben, ihren Mord zu verheimlichen. So brannten sich Michael L. und Rainer S. nach der Tat mit einer Gabel tiefe Wunden in die Unterarme. Auf den Grund angesprochen, antworten die beiden bereitwillig: "Wir sind jetzt Mordskumpel." Auch die Zeugen Robert Wächter und Janine Müller, Bekannte der Angeklagten, wußten schon lange vor der Polizei von dem Mord. David D., so berichteten sie am zweiten Verhandlungstag, habe bereits auf einem Stadtfest davon erzählt.

Für Reinhard Saß, den Sprecher des Hamburger Schwulenverbandes (SVD), ist der rechtsradikale Hintergrund nicht außergewöhnlich: "Rund zehn Prozent der schwulenfeindlichen Angriffe werden von Neonazis begangen." Dabei können die Täter durchaus mit Zustimmung rechnen. Nach Recherchen des SVD wollen 60 Prozent der Bevölkerung keine Schwulen im Freundeskreis, 20 Prozent wollen alle Homosexuellen kastrieren. Folglich kommen auch die Antifaschistinnen und Antifaschisten vom Leipziger Bündnis gegen Rechts zu dem Schluß: "Nicht härtere Strafen schrecken die Täter, sondern die allseitige gesellschaftliche Ächtung von Rassismus und Deutschtümelei."